| # taz.de -- Kommentar Wahlprogramm der Grünen: Edle Ziele, vage Wegbeschreibun… | |
| > Die Grünen sind nach links und rechts anschlussfähig. Gerade deshalb | |
| > brauchen sie mehr Erkennbarkeit und Eigensinn. | |
| Bild: Vielleicht da lang? Oder da? Die Grünen-Spitze aus Katrin Göring-Eckard… | |
| Das Timing für die Grünen ist unglücklich. Bei den Themen, die die | |
| Gesellschaft umtreiben – Sicherheit und soziale Gerechtigkeit –, traut man | |
| ihnen wenig zu. Klimawandel und Agrarpolitik sind vom Radar fast | |
| verschwunden. Kraftvolles, frisches Spitzenpersonal, das diese missliche | |
| Lage überspielen könnte, gibt es auch nicht. Das ist im Wahljahr ungünstig. | |
| Zudem gibt es leisen Verdruss, versteckte Selbstzweifel. Die Grünen haben | |
| ein Problem, das typisch für reformistische Parteien ist. Sie entstanden | |
| mit kühnen, radikalen Visionen und wandelten sich in eine Organisation, die | |
| sehr kleine Schritte macht. Die SPD leidet schon lange an dieser mitunter | |
| erstickenden Nostalgie, in der früher immer alles klarer, heroischer, | |
| bedeutsamer war und im grauen Heute Staatssekretäre den Ton angeben. | |
| Treibstoff des Aufstiegs der Grünen war lange eine Erzählung vom | |
| glücklichen Ankommen. Sie war die Partei, in der die Ex-68er sich mit der | |
| liberalen Demokratie versöhnten. Als Ganzes bewegte sie sich langsam, aber | |
| unaufhörlich vom linken Rand in Richtung Mitte. Dort ist sie politisch und | |
| gesellschaftlich angekommen. Es ist kein Zufall, dass ihre | |
| Spitzenkandidaten, der schwäbische Migrantensohn Cem Özdemir und die | |
| ostdeutsche Protestantin Katrin Göring-Eckardt, biografisch die glückliche | |
| Ankunft in der Mitte der Republik verkörpern. | |
| Doch diese Erzählung verblasst. Sie glänzt nicht mehr, weil sie | |
| abgeschlossen zu sein scheint. Und weil die Kosten – die Überanpassung, das | |
| Kantenlose, Rundgeschliffene – sichtbar sind. Das Motto „Wir bleiben | |
| unbequem“ des letzten Parteitags klang eher wie Selbstermahnung. Was | |
| passiert eigentlich, wenn man angekommen ist? | |
| ## Deutliche Handschrift | |
| [1][Das Wahlprogramm], das deutlich die Handschrift von Özdemir und | |
| Göring-Eckardt trägt, passt ins Bild. Der Text ist gefälliger als die | |
| übliche Mixtur aus Spiegelstrichprosa und Zahlengewitter. Ökologie und | |
| Umwelt rangieren vorne, soziale Gerechtigkeit hinten. Die zwischen den | |
| Flügeln heftig umstrittene Vermögensteuer ist so platziert, dass klar ist: | |
| Dies ist kein grünes Wahlkampfthema. Im letzten Programm 2013 wurde viel | |
| haarklein vorgerechnet, dieses ist anders: viel Wünschenswertes und, außer | |
| bei Bildung und Klima, eher wenig Zahlen, Konkretes, Fakten. | |
| Die Ziele sind durchweg edel, die Wegbeschreibungen vage. Zum Beispiel: Die | |
| Grünen wollen in 20 Jahren die Massentierhaltung abschaffen. Der radikale | |
| Umbau der Landwirtschaft ist ein Projekt, das sich nur die Grünen glaubhaft | |
| auf die Fahnen schreiben. Das bedeutet Kampf gegen eine schlagkräftige, gut | |
| organisierten Lobby, auch gegen Konsumenten, die Billigfleisch gewohnt | |
| sind. Wie die Ökopartei dies umsetzen will, bleibt diffus. 150 Millionen | |
| Euro im Jahr für Ökolandbau auszugeben und Lebensmittel besser zu | |
| kennzeichnen wird nicht reichen. | |
| Beispiel zwei: eine freiwillige Arbeitsversicherung für Selbstständige. Das | |
| ist ein Feld, das die liberale Ökopartei besser beackern kann als SPD oder | |
| Linkspartei, die auf Angestellte und Normalarbeitsverhältnis fokussiert | |
| sind. Doch wie viele diese Versicherung nutzen sollen, was sie kostet, wer | |
| sie bezuschusst – alles offen. | |
| ## Komfortable Position | |
| Die Grünen befinden sich im Parteienspektrum an einem strategisch günstigen | |
| Ort. Sie können mit Union und FDP regieren, aber auch mit SPD und | |
| Linkspartei. Diese Position ist komfortabel, aber auch riskant. Für die FDP | |
| mag es reichen, an die Macht zu wollen – für die Grünen nicht. Der | |
| Eindruck, bloß regieren zu wollen, ruiniert ihr politisches Kapital: | |
| Moral. | |
| Gerade weil die Partei nach links und rechts anschlussfähig ist, muss sie | |
| deutlicher, schärfer sein. Man möchte gern wissen, wo ihre Schmerzgrenze | |
| bei der Agrarwende verlaufen wird, wenn sie mit der Union regiert, die | |
| traditionell mit der Agrarindustrie verbandelt ist. Oder ob sie, wenn es | |
| zu Rot-Rot-Grün kommt, bei jeder Umverteilung auf der Bremse stehen wird. | |
| Das Wahlprogramm lässt das offen. Das ist zu wenig. | |
| 10 Mar 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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