# taz.de -- Deutsch-türkische Beziehungen: Wut auf Journalist*innen | |
> Ein „Zeit“-Journalist wurde in Hamburg von AKP-Anhänger*innen körperlich | |
> angegriffen. Er hielt ein „Free Deniz“-Schild hoch. | |
Bild: Die AKP will sich den Wahlkampf in Deutschland nicht verbieten lassen | |
Sebastian Kempkens schlugen die Wogen der Auseinandersetzungen um die | |
verbotenen Auftritte türkischer Minister in Deutschland buchstäblich ins | |
Gesicht. Seit Tagen war der Ton zwischen Ankara und Berlin rauer geworden. | |
Als der Hamburg-Redakteur der Zeit am Dienstagabend den Auftritt des | |
türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu vor dem türkischen Konsulat in | |
Hamburg verfolgte, bekam er die Wut türkischstämmiger AKP-Anhänger*innen zu | |
spüren. | |
Männer aus dem Publikum hätten mit ihren Türkeiflaggen auf ihn | |
eingeschlagen, er sei geschubst worden, berichtet Kempkens in einem Artikel | |
auf Zeit Online. Dann habe ihm ein Mann ins Gesicht geschlagen; dabei sei | |
seine Brille heruntergefallen. | |
Der Grund für die Angriffe: Kempkens hatte ein Schild mit der Aufschrift | |
„Free Deniz“ hochgehalten – eine spontane Reaktion auf die Rede des | |
türkischen Außenministers, der an diesem Abend viel von Demokratie und dem | |
Recht auf freie Meinungsäußerung sprach, während der Welt-Korrespondent | |
Deniz Yücel in der Türkei inhaftiert ist. | |
[1][In seinem Artikel] nennt Kempkens die Aktion trotz der guten Intention | |
einen Fehler: Er habe in diesem Moment seine Rolle als Journalist | |
verlassen, sei zu einem Aktivisten für die Pressefreiheit geworden. | |
„Falsche Zeit, falscher Ort“, räumt er ein. Die Inhaftierung von Yücel ist | |
an den deutschen Journalist*innen nicht spurlos vorbeigegangen. Für sie ist | |
der verhaftete Korrespondent nicht nur eine Nachricht, sondern ein | |
Kollege. Dass die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus | |
verschwimmen, kommt vor. | |
## Verbote als Steilvorlage | |
Das wurde Sebastian Kempkens zum Verhängnis: Schnell bemerkte eine Frau, | |
die neben dem Journalisten im Publikum stand, das Schild und rief: „Ein | |
Provokateur, ein Provokateur!“ | |
Der Vorfall zeigt, wie sensibel Erdoğan-Anhänger*innen auch in Deutschland | |
in diesen Tagen auf Kritik an der Türkei reagieren. Jede Meinungsäußerung, | |
die nicht mit dem Diskurs der AKP übereinstimmt, wird als Affront | |
aufgefasst. Deutschland hat sich keinen Gefallen damit getan, die Auftritte | |
türkischer Minister zu verbieten. | |
Die Verbote lieferten der AKP eine Steilvorlage, bei türkischstämmigen | |
Deutschen das Gefühl der Ausgrenzung anzusprechen. Die Rhetorik geht auf: | |
wir gegen die Deutschen, die uns von oben herab behandeln, die | |
Meinungsfreiheit predigen, aber unsere Minister nicht in Deutschland | |
auftreten lassen. | |
## Wut auf Journalist*innen | |
Dass sich die Wut derer, die sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, | |
auf Journalist*innen richtet, ist von Pegida-Demonstrationen bekannt. In | |
den vergangenen Jahren wurden immer wieder Reporter*innen bei ihrer | |
Recherche von Demonstrant*innen attackiert. | |
Laut einer Studie des Mediendienstes Integration zum Thema „[2][Hass im | |
Arbeitsalltag Medienschaffender]“ sind Journalist*innen vor allem bei | |
Außenterminen Ziel von Angriffen: Ein Viertel der Befragten wurde 2016 auf | |
Demonstrationen oder bei Interviews verbal oder körperlich attackiert. | |
Dass Journalismus zum Feindbild geworden ist, wie die Studie nahelegt, | |
trifft nicht nur für das Spektrum der Rechten zu, sondern auch für | |
AKP-Anhänger*innen. Mit denen, die auf Demos „Lügenpresse“ rufen, teilen | |
viele die Meinung, deutsche Medien verzerrten die Wirklichkeit. Ein in den | |
Kommentarspalten sozialer Medien häufig geäußerter Vorwurf lautet: Die | |
deutschen Medien berichteten nur schlecht über die Türkei. | |
Dahinter wittern Leser*innen der regierungsnahen türkischen Zeitungen die | |
Einflussnahme der deutschen Regierung. Deutschland, so der Verdacht, wolle | |
verhindern, dass die Türkei zu mächtig werde. Zugleich verbreiten türkische | |
Pool-Medien die Falschmeldung, Deniz Yücel sei kein Journalist, sondern ein | |
Spion. In dieser Logik ist der Schritt zum tätlichen Angriff nicht mehr | |
weit. | |
9 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/hamburg/politik-wirtschaft/2017-03/mevluet-cavusoglu-tue… | |
[2] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Studie-hatespeech.pdf | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
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