# taz.de -- Krieg und Hungersnot im Südsudan: Erst verzehrt der Körper | |
> Südsudans Regierung führt weiterhin einen erbitterten Vernichtungskrieg | |
> gegen das eigene Volk. Die UNO ruft nun eine Hungersnot aus. | |
Bild: Südsudan, Bundesstaat Unity, am 18. Februar: Ein Junge waret auf Lebensm… | |
Berlin taz | Es dauert lange, an Hunger zu sterben. Erst verzehrt der | |
Körper sich selbst. Wenn alles Fett und alles Gewebe aufgebraucht ist und | |
nur Haut und Knochen übrig sind, kommt jede Hilfe zu spät. Meist tritt der | |
Tod vorher ein, verursacht von Infekten. | |
Es dauert noch länger, bis die Vereinten Nationen eine Hungersnot ausrufen. | |
Von drei Kriterien lautet das wichtigste: Mindestens zwei Hungertote pro | |
10.000 Menschen pro Tag. Das klingt wenig – aber auf die Bevölkerung | |
Berlins hochgerechnet wären das rund 700 Hungertote täglich. Zuletzt | |
stellte die UNO im Jahr 2011 eine Hungersnot fest, in Somalia. | |
Schätzungsweise die Hälfte der 250.000 Opfer war zum Zeitpunkt der | |
Verkündung schon tot. | |
Am Montag stellten UN-Hilfswerke gemeinsam mit Südsudans Ernährungsbehörde | |
IPC eine Hungersnot in den südsudanesischen Landkreisen Leer und Mayendit | |
fest. Dort leben 100.000 Menschen. Hungersnot heißt also: mindestens 20 | |
Tote pro Tag. Oder 600 pro Monat. Oder mehrere tausend bis Juli, wenn die | |
magere Jahreszeit vor der nächsten Ernte ihren Höhepunkt erreicht. | |
Leer, im Bundesstaat Unity gelegen, ist das Epizentrum des Hungers im | |
Südsudan – und zugleich die Heimatgemeinde von Riek Machar, dem exilierten | |
Rebellenführer. Die Regierung des Südsudan betrachtet die Angehörigen von | |
Machars Volksgruppe der Nuer kollektiv als Feinde. | |
## 90 Prozent auf der Flucht | |
Als im Dezember 2013 Regierungstruppen in der Hauptstadt Juba Massaker an | |
Nuer verübten, antworteten meuternde Nuer-Soldaten in Unitys Hauptstadt | |
Bentiu mit Massakern an Dinka, der Volksgruppe des Präsidenten. Unity ist | |
der einzige Bundesstaat des Landes, wo Nuer in der Mehrheit sind. | |
Regierungstruppen haben Bentiu mittlerweile zurückerobert, aber die Stadt | |
ist verwüstet. Über 120.000 Zivilisten sind in die UN-Basis von Bentiu | |
geflohen, mehr als irgendwo sonst im Südsudan. Über 90 Prozent der | |
Einwohner von Unity sind auf der Flucht, ebenfalls ein Rekord. Immer, wenn | |
die Regenzeit endet und die Sumpfgebiete im Nil-Binnendelta mitten im | |
Südsudan wieder zugänglich werden, stoßen die Regierungstruppen, die im | |
Norden von Unity die Ölfelder bewachen, nach Süden vor, wo die Rebellen | |
stehen. | |
Bei diesen Feldzügen werden systematisch zivile Einrichtungen | |
ausgeplündert. Das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Leer wurde | |
mehrfach verwüstet und inzwischen geschlossen. „Die Menschen hier haben | |
alles verloren“, berichtete am Dienstag MSF-Projektkoordinator Nicolas | |
Peissel. | |
Das Hilfswerk verbreitete den Erlebnisbericht der Südsudanesin Nyayolah, | |
die sich in Leer zu MSF gerettet hat: „Im Oktober und November mussten wir | |
drei Mal aus unserem Dorf fliehen. Wir haben gelernt, die Geräusche von | |
Autos und Panzern zu erkennen, und haben jedes Mal mitgenommen, was wir | |
konnten, bevor wir geflohen sind. Die bewaffneten Männer haben auf uns | |
geschossen und unsere Häuser geplündert. Ich bin mit den Zwillingen im Arm | |
und meiner vierjährigen Tochter weggelaufen. | |
## Geplünderte und verbrannte Häuser | |
Manchmal sahen wir Menschen, die beim Laufen zu Boden fielen, nachdem auf | |
sie geschossen wurde, oder Menschen, die ihre Habseligkeiten wegwarfen, da | |
sie damit nicht schnell genug rennen konnten. Wir versteckten uns bis | |
Einbruch der Dunkelheit und gingen zurück, wenn die Soldaten weg waren. | |
Jedes Mal fanden wir danach weniger zu Hause vor. Zuerst waren unser Vieh, | |
unsere Ziegen und Hühner weg, dann unsere Ernte, und schließlich wurden | |
unsere Häuser geplündert und verbrannt.“ | |
Ihre letzte Ernte haben die Menschen dieser Region auf diese Weise | |
verloren, neu anpflanzen konnten sie nicht, weil sie fliehen mussten. | |
Deswegen wird es kein schnelles Ende der Hungerkrise in Unity geben. | |
Die Region ist der Brennpunkt des Hungers, aber nicht der einzige | |
Brennpunkt des Krieges. Heftige Gefechte werden derzeit aus dem Bundesstaat | |
Upper Nile gemeldet. | |
## Das Problem ist nicht nur der Krieg | |
Am 3. Februar berichtete Ärzte ohne Grenzen, die 20.500 Bewohner des Ortes | |
Wau Shilluk, der am Nil gegenüber Upper Niles Provinzhauptstadt Malakal | |
liegt, seien alle in den Busch geflohen, weil Artilleriegeschosse ihren Ort | |
trafen. Zwei Wochen später berichtete die UN-Mission im Südsudan (UNMISS), | |
die Menschen dort seien spurlos verschwunden – und die Regierungsarmee habe | |
die UN daran gehindert, die Fliehenden zu suchen. | |
UNMISS moniert, dass die Regierung Helfern den Zugang zu Bedürftigen | |
erschwert – durch bürokratische Hürden und mit Gewalt. 74 Mitarbeiter von | |
Hilfswerken wurden im vergangenen Jahr im Südsudan getötet und 108 | |
verletzt, ein Weltrekord. Weil das Land fast keine Straßen hat, müssen | |
Hilfsgüter per Flugzeug transportiert werden. Keine Maschine kann ohne | |
staatliche Genehmigung starten und landen. Die Regierung macht kein Hehl | |
daraus, dass sie Blauhelme und Hilfswerke am liebsten loswerden möchte. | |
Das Problem ist nicht nur der Krieg. Die Wirtschaft ist komplett | |
zusammengebrochen. Was es noch an Geld gibt, schaffen die Machthaber ins | |
Ausland – in Kenia gibt es viele gut gefüllte Bankkonten von Südsudanesen. | |
Die Preise für das Grundnahrungsmittel Maismehl haben sich 2016 | |
verachtfacht. Und die Lage wird sich weiter verschlechtern: Laut IPC leben | |
jetzt 4,9 Millionen Menschen in „schwerer Ernährungsunsicherheit“, bis Juli | |
dürften es 5,5 Millionen sein. Viele Menschen, berichten die Helfer, | |
ernähren sich von Beeren, Zweigen, Baumrinde und Wasserlilien. | |
„Verlässliche, ausreichende und rechtzeitige humanitäre Interventionen | |
könnten die Hungersnot-Einstufung rückgängig machen und viele Leben | |
retten“, so die IPC-Erklärung. „Es ist unerlässlich, dass alle Parteien d… | |
aktuellen politischen Konflikts bedingungslosen humanitären Zugang | |
gewähren.“ | |
21 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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