# taz.de -- Frühwarnsystem gegen Ernährungskrisen: Das Geschäft mit dem Hung… | |
> Oft tragen Spekulanten am hohen Preis für Reis, Weizen und Soja eine | |
> Mitschuld. Nun wurde ein Warnsystem gegen Hungersnöte entwickelt. | |
Bild: Reisernte in Indien | |
Somalia, Südsudan, die Region um den Tschadsee – seit Jahren herrschen in | |
diesen Gebieten Hungersnöte und Mangelernährung. Weil Krieg und Gewalt | |
Alltag sind, bestellt kaum einer die Felder. Der Klimawandel sorgt für | |
Überschwemmungen oder Dürren. Preisschwankungen für Grundnahrungsmittel an | |
den Börsen verschärfen Hungersnöte. Denn Händler reagieren in | |
Sekundenschnelle auf Signale, die Knappheit andeuten. | |
„Wenn die Märkte schon angespannt sind, treibt Spekulation die Preise noch | |
weiter in die Höhe“, sagt Joachim von Braun, Forscher an der Universität | |
Bonn. Etwa während der Nahrungsmittelkrise 2008. Exzessive Spekulationen an | |
den Märkten für Mais und Weizen sorgten für zusätzliche Preissteigerungen | |
um knapp 30 Prozent. Die Folge waren Hungerrevolten und Aufstände. | |
Von Braun und seine Kollegen haben ein Frühwarnsystem entwickelt, das | |
Engpässe vorhersagt. Die Internetplattform [1][foodmonitor.org] – | |
mitfinanziert von der Bundesregierung – sammelt nahezu in Echtzeit die | |
Preise für Grundnahrungsmittel. Eine Ampel zeigt die Versorgungslage in den | |
Ländern an. Per Twitter kann jeder folgen. Hilfsorganisationen hoffen, dass | |
sie damit schneller auf Hungersnöte reagieren können. | |
Der Monitor warnt, hindert Spekulanten aber nicht an ihrem Treiben. Derzeit | |
befasst sich das EU-Parlament mit neuen Regeln für die Terminmärkte – einem | |
Aspekt der neuen EU-Finanzmarktrichtlinie. Sie soll ab 2018 gelten. Für die | |
Grundzüge der Richtlinie wurde das Parlament von Entwicklungsorganisationen | |
bereits gelobt. Die EU-Kommission hat nun technische Details für die | |
Umsetzung vorgeschlagen. | |
## Wenige Händler kontrollieren den Markt | |
Doch die könnten Schlupflöcher für Händler schaffen. Auf Widerstand stoßen | |
vor allem die Grenzwerte der sogenannten Positionslimits. Sie bestimmen den | |
maximalen Anteil eines Werts, den der Händler halten darf. Für Marita | |
Wiggerthale von Oxfam sind die Werte von über 30 Prozent zu hoch angesetzt. | |
Damit besteht aus ihrer Sicht die Gefahr, dass nur wenige Händler am Ende | |
der Laufzeit eines Termingeschäfts den Markt für einen lieferbaren Rohstoff | |
kontrollieren. Die Folge sind extreme Preisschwankungen. Wiggerthale wirft | |
den Abgeordneten Wortbruch vor, wenn sie dem Vorschlag zustimmen sollten. | |
Die Grünen fordern Nachbesserungen. „Das EU-Parlament hat | |
parteiübergreifend klare Forderungen gestellt, um diese Regeln effektiv zu | |
machen, aber dem wurde von der Kommission nicht nachgekommen“, sagt der | |
EU-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne). „Europa kann stolz darauf sein, dass | |
wir Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation verabschieden werden. Aber sie | |
müssen auch wirksam sein.“ | |
Darum geht es auch Markus Ferber (CSU), Berichterstatter für die | |
EU-Finanzmarktrichtlinie. Auch er will ein Ende exzessiver Spekulationen – | |
und wird dem Vorschlag zustimmen. Denn „würde man die Limits noch weiter | |
absenken, wären Verwerfungen an den europäischen Agrarmärkten und die | |
Verlagerung von Handelstätigkeiten in andere Jurisdiktionen die Folge“, | |
sagt Ferber. Zum Beispiel in die USA. Ferber schließt nicht aus, dass die | |
US-Administration unter Donald Trump ihren eigenen Rechtsrahmen lockern | |
wird, um Geschäfte, die noch in Europa stattfinden, in die USA zu ziehen. | |
Diese Gefahr sieht auch Wissenschaftler von Braun. Er spricht von einer | |
neuen Ernährungsfront, die der Protektionismus öffnet. | |
7 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.foodmonitor.org/ | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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