# taz.de -- Südkorea vor Olympia 2018: Normalität nur vorgetäuscht | |
> Olympia-Euphorie gibt es keine – der größte Korruptionsskandal des Landes | |
> trübt die Vorfreude. Bange Blicke richten sich nach Nordkorea. | |
Bild: Ehrenbotschafterin und Maskottchen der Olympischen Winterspiele 2018 | |
PYEONGCHANG taz | Wenn Lee Hee-beom dieser Tage Journalisten in Pyeongchang | |
empfängt, dann spürt man förmlich, welch schiere Belastung sein Job als | |
Organisationschef der Winterspiele mit sich bringt: Nach neun Monaten im | |
Amt wirkt der einstige Handelsminister um Jahre gealtert, dunkle Schatten | |
umranden seine Augen. „Wir werden die erfolgreichste Winterolympiade | |
veranstalten, die die Welt gesehen hat. Und auch die größte: Noch nie gab | |
es so viele Medaillen“, sagt Lee während der Pressekonferenz zum | |
Ein-Jahres-Countdown. Südkoreaner sind gut darin, Normalität vorzutäuschen, | |
wo Ausnahmezustand herrscht. | |
Zwar läuft in Pyeongchang, im gebirgigen Osten des Landes, tatsächlich | |
alles nach Plan. Bereits 98 Prozent der Sportstätten sind errichtet, sie | |
sind allesamt in weniger als einer halben Stunde zu erreichen. Bei der | |
Sponsorenacquise hinken die Organisatoren nur marginal hinterher. Und auch | |
mit den Kosten, die zwar um ein knappes Drittel höher zu Buche schlagen als | |
ursprünglich geplant, komme man zurecht. Nur: 200 Kilometer westlich, in | |
der 10 Millionen-Metropole Seoul, steht momentan niemandem der Sinn nach | |
Winterspielen. | |
Seit Monaten bereits befindet sich Südkorea im größten innenpolitischen | |
Skandal in der noch jungen Demokratie. Dieser drohte zuletzt auch, auf die | |
Olympischen Spiele überzugreifen: Laut Ermittlungen der | |
Untersuchungskommission soll die derzeit suspendierte Präsidentin Park | |
Geun-hye einen ihrer Berater dazu aufgefordert haben, dem Schweizer | |
Unternehmen Nüssli dabei zu helfen, einen hochdotierten Bauvertrag von | |
knapp 250 Millionen Euro für die Olympischen Spiele einzuheimsen. Nur kurz | |
zuvor hatte eine Jugendfreundin der Präsidentin, die momentan in | |
Untersuchungshaft sitzt, einen exklusiven Beratervertrag mit Nüssli | |
unterschrieben. | |
Zu dem umstrittenen Deal sollte es jedoch nicht kommen. Der vormalige | |
Leiter des Organisationskomittees von Pyeongchang, Cho Yang-ho, hat die | |
Pläne missbilligt. Kurz darauf ist er von seinem Amt zurückgetreten. | |
Offiziell hieß es zunächst, Cho müsse sich vermehrt um die Leitung seiner | |
Hanjin-Gruppe kümmern, die in finanzielle Probleme geraten ist. Später kam | |
jedoch heraus, dass die Kündigung von Präsidentin Park Geun-hye angeordnet | |
wurde. | |
Sein Nachfolger Lee Hee-beom bürgt nun persönlich dafür, dass die | |
Winterspiele sauber ablaufen werden: „Ich habe nach dem Antritt meines | |
Amtes jeden einzelnen Vertrag neu überprüfen lassen. Dabei gab es keinerlei | |
Unregelmäßigkeiten.“ | |
## Es geht um mehr als nur um Sport | |
Dennoch drückt das politische Klima auch auf die Olympiastimmung. Zudem | |
plagt die Organisatoren, die immerhin 70 Prozent der Ticketverkäufe auf | |
dem heimischen Markt absetzen wollen, dass sportlich keine allzu großen | |
Erfolge zu erwarten sind. Um im Medaillenspiegel besser dazustehen, wird | |
mit einer umstrittenen Methode nachgeholfen: allein für das Eishockeyteam | |
wurden kurzfristig sechs Kanadier und ein US-Amerikaner eingebürgert. Auch | |
die deutsche Rodlerin Aileen Frisch, die bereits daran dachte, ihre aktive | |
Karriere aufzugeben, wurde mit einem südkoreanischen Pass umgestimmt. Die | |
Einbürgerung der Athleten hat nicht nur aus Fairnessgründen einen zynischen | |
Beigeschmack: Abgesehen von Nordkoreanern hat Südkorea überhaupt erst 600 | |
Geflüchteten Asyl gewährt. | |
Eine weitere Herausforderung war es, einen geeigneten Berghang für die | |
Alpinabfahrt zu finden. Dem Vernehmen nach soll Pistenbauer Bernhard Russi | |
verzweifelt mit dem Helikopter über das Taebaek-Gebirge geflogen sein, das | |
eher an Schwarzwald denn an Dolomiten erinnert. Mit Mühe und Not fand man | |
die heutige Jeongseong-Strecke, die die IOC-Mindestanforderung von 800 | |
Metern Höhenunterschied knapp erfüllt. Der Start der Piste liegt 1.400 | |
Meter über dem Meeresspiegel, mit 2.857 Metern ist sie eher kurz geraten. | |
Auch mit Naturschnee ist nicht unbedingt zu rechnen. | |
Für die Bewohner in Pyeongchang geht es jedoch um weitaus mehr als nur um | |
Sport. Sie erhoffen sich einen wirtschaftlichen Aufschwung für die | |
abgelegene und vergleichsweise rückständige Gegend. „Als Kind wollte ich | |
nur so schnell wie möglich weg“, sagt Choi Ji-eun, die als Freiwillige bei | |
den Vorbereitungen der Spiele mithilft. Ihre Heimat habe sie stets als | |
provinziell empfunden, die Winter als zu windig und kalt. Nach ihrem | |
Schulabschluss zog Choi wie viele ihrer einstigen Klassenkameraden in die | |
Metropole Seoul. Erst mit der Olympiabewerbung sei sie wieder | |
zurückgekehrt. | |
Im ersten Anlauf mussten sich die Koreaner zunächst gegen die Konkurrenz | |
aus Vancouver geschlagen geben, vier Jahre später verlor man gegen Sotschi. | |
Als es beim dritten Mal klappte, stand die gesamte Bevölkerung patriotisch | |
geschlossen hinter der Idee der Olympischen Spiele. | |
Es gibt wohl kaum ein Volk, in dessen kollektivem Gedächtnis sich | |
internationale Sportereignisse derart eingebrannt haben wie in Südkorea. | |
Die Olympischen Sommerspiele 1988 in Seoul symbolisierten nicht weniger als | |
die Aufnahme in die globale Gemeinschaft. Erstmals konnte sich der | |
Tigerstaat als wirtschaftlich aufstrebende Demokratie präsentieren. In der | |
Hauptstadt wurde nicht nur ein ikonisches Olympiastadion errichtet, sondern | |
komplette Hochhausviertel und U-Bahn-Linien aus dem Boden gestampft. Die | |
Leute erfüllte es mit Stolz, im medialen Scheinwerferlicht das | |
jahrzehntelange Stigma von Armut, Militärdiktatur und Koreakrieg | |
abzulegen. | |
## Hoffen auf eine Annäherung zu Nordkorea | |
30 Jahre später soll dieser Erfolgsgeschichte in Pyeongchang ein weiteres | |
Kapitel hinzugefügt werden. Winterspiele gelten als perfektes Vehikel, um | |
die Botschaft von einer wohlhabenden Hightech-Nation in die Welt | |
hinauszuposaunen. Schließlich ist in ganz Asien bislang nur Japan die | |
Gastgeberehre zuteil geworden. Nun also könnte Südkorea mit dem Erzrivalen | |
und einstigen Kolonialherrn gleichziehen. | |
Wenn es nach Choi Moon-soon geht, dann bietet die Olympiade jedoch auch | |
eine politisch historische Chance. In einer kühnen Vision schlug der | |
Gouverneur der Gangwon-Provinz symbolische „Friedensspiele“ vor. Sein Ziel | |
war die sportdiplomatische Annäherung mit Nordkorea. Die Athleten beider | |
Koreas sollten bei der Eröffnungszeremonie gemeinsam einlaufen, zuvor | |
sollten sie in denselben Sportstätten trainieren. „Wir wollen eine | |
Wiedervereinigung – nicht nur für die getrennten Familien, sondern auch für | |
die wirtschaftliche Entwicklung der Region“, sagt Choi. | |
Die Teilung des Landes ist noch tief unter der älteren Bevölkerung von | |
Pyeongchang verankert. Die Provinz Gangwon wird seit dem Koreakrieg durch | |
die Demarkationslinie geteilt. Damals haben sich viele Flüchtlinge aus dem | |
Norden in der bergigen Region angesiedelt, um ihrer Heimat möglichst nahe | |
zu sein. | |
Von der Zentralregierung in Seoul hat Gouverneur Choi jedoch wenig | |
Rückendeckung bekommen. Zudem haben sich die Beziehungen der beiden Koreas | |
seit den jüngsten Atomtests rapide verschlechtert. Mittlerweile ist nicht | |
einmal klar, ob Nordkorea überhaupt an den Spielen teilnehmen wird. Vom | |
Organisationskomitee wird das Thema noch aus einem anderen Grund möglichst | |
weit umschifft: Es besteht die Gefahr, dass das Kim-Regime die mediale | |
Aufmerksamkeit während der Spiele für militärische Provokationen nutzen | |
könnte. | |
Während der Fußballweltmeisterschaft 2002, die Südkorea gemeinsam mit Japan | |
ausgetragen hat, startete die nordkoreanische Marine ein Feuergefecht, bei | |
dem sechs Soldaten aus dem Süden ums Leben kamen. Der Angriff ereignete | |
sich ausgerechnet, als das südkoreanische Nationalteam gegen die Türkei um | |
Platz drei spielte. Im November 1987 soll der damalige Staatschef Kim Jong | |
Il einen Bombenanschlag auf eine südkoreanische Verkehrsmaschine mit 115 | |
Passagieren angeordnet haben – angeblich, um die Vorbereitung der Spiele zu | |
torpedieren. | |
19 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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