# taz.de -- Livemusik zu Stummfilm: Ein anderes Zuhause für ihre Musik | |
> Die isländische Gruppe múm vertont „Menschen am Sonntag“ neu. | |
> Bandmitglied Örvar Smárason über die Besonderheit des Filmes. | |
Bild: Na wenn das mal keine Anweisung für die Motzkis von der Spree ist. Bild … | |
Wochenendaktivitäten in der Hauptstadt. Schwarz-Weiß-Bilder. Menschen beim | |
Baden am See. Bilder des unzerstörten Berlin Ende der 1920er Jahren. Dazu | |
elektronische Musik aus Island. Ob das passt? Das kann man am Wochenende, | |
11. und 12. Februar, im Radialsystem V in Berlin-Friedrichshain erleben. | |
Die isländischen Musiker der Band múm spielen – wie bereits im Vorjahr – | |
live die Begleitung zu dem Kultfilm „Menschen am Sonntag“ von Robert | |
Siodmak und Edgar G. Ulmer. | |
Die múm-Gründungsmitglieder Gunnar Örn Tynes und Örvar Smárason kennen | |
Berlin gut. Fünf Jahre haben sie hier gelebt und Musik gemacht. Für ihr | |
musikalisches Projekt „Menschen am Sonntag“ kehren sie regelmäßig in die | |
Hauptstadt zurück – am liebsten – wie nun – zur Berlinale, wenn die Stadt | |
im Zeichen der Kreativität stehe. | |
Aktuell wohnen beide wieder in Islands Hauptstadt Reykjavík. In dem am | |
dünnsten besiedelten Land Europas hat sich die Band 1997 gegründet: „Gunnar | |
und ich haben beide nicht Musik studiert. Wir haben uns als Teenager | |
kennengelernt und zusammen in einer Indieband gespielt. Wir haben beide | |
aber schon jeder für sich als Kind elektronische Musik am Computer | |
gemacht“, sagt Örvar Smárason im Telefoninterview. Múm sei dann vor allem | |
entstanden, weil sie für diese Musik „kein anderes Zuhause gefunden | |
haben“. | |
## Faszination Stummfilme | |
Neue Musik zu alten Stummfilmen zu machen gefiel der Band schon früh. Mit | |
ihrer Filmmusik zu dem russischen Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ hatten | |
sie vor mehr als 10 Jahren einen großen Erfolg. „Das war eine große | |
Produktion, jedoch war es bei dem Film wegen der Struktur relativ | |
schwierig, freiere Musik zu machen“, erzählt Smárason. „Menschen am | |
Sonntag“ erlaube ihnen, deutlich öfter zu improvisieren, jede Aufführung | |
sei daher etwas anders: „Ich habe den Film das erste Mal in Prag gesehen, | |
wo ich Film studierte und direkt gedacht: Der ist perfekt für uns, dazu | |
neue Musik zu machen“, sagt Örvar Smárason. Ihn faszinierte „Menschen am | |
Sonntag“ durch seinen dokumentarischen Blickwinkel auf die Unbeschwertheit | |
der jungen Menschen in Berlin am Wochenende. Der Film sei heute auch wegen | |
seiner genderpolitischen Thematik spannend „und ist einfach sehr schön | |
gefilmt“, sagt der Musiker. | |
In „Menschen am Sonntag“ spielen größtenteils Laienschauspieler. Bei der | |
Uraufführung kam die Musik von Otto Stenzeel, die meisten Filmvorführungen | |
wurden jedoch von Marlene Dietrich begleitet. Durch múms experimentelle | |
Musik bekämen einige Szenen eine Ambiguität, die vorher so nicht spürbar | |
gewesen sei, so Smárason: „Außerdem schauen durch diese Mischung Menschen | |
einen Film, den sie normalerweise nicht sehen würden, und Menschen hören | |
Musik, die sie sonst nicht hören würden.“ | |
Vor zwei Jahren spielte múm in Reykjavík zum ersten Mal live zu einer | |
Vorführung von „Menschen am Sonntag“ – und direkt vor Publikum. Smáraso… | |
Bandkollege Gunnar Örn Tynes hatte den Film damals davor nicht einmal | |
gesehen. Die ersten Shows haben sie dann mit verschiedenen befreundeten | |
Musikern variiert. Ein Konzept von múm: Je nach Projekt verändern sie ihre | |
Bandgröße. Mal spielen sie zu zweit, mal zu zehnt. Bei der Filmmusik zu | |
„Menschen am Sonntag“ spielt múm gemeinsam mit dem finnischen | |
Perkussionisten Samuli Kosminen. Während des Auftritts schaut sich Smárson | |
den Film nicht durchgängig an, verliert sich in der Musik. Tynes hingegen | |
schaue den Film meist konstant, bekomme seine „Stichwörter“ durch die | |
Filmszenen: „Da sind wir als Musiker einfach alle sehr unterschiedlich“, | |
sagt Smárason. | |
## Musikalisch verbundene Hauptstädte | |
Auf den ersten Blick haben die Städte Berlin und Reykjavík nicht viel | |
gemein, außer dass esbeide Hauptstädte sind. Berlin eben mit 3,5 Millionen | |
Einwohnern und Reykjavík mit 119.000 – womit die Stadt ähnlich groß ist wie | |
etwa das gemütliche Göttingen in Niedersachsen. | |
Viele Künstler aus Reykjavík zieht es jedoch in die Metropole Berlin. Denn | |
es gebe eine Gemeinsamkeit: In beiden Städten herrsche ein starker | |
„Do-it-yourself“-Gedanke bei Künstlern und Musikern, sagt Smárason. Er hat | |
gute Erinnerungen an seinen Lebensabschnitt in Berlin: „Es war eine schöne | |
Zeit damals. Man war jung, machte verrückte Dinge, und wir merkten immer | |
wieder, dass Berlin offen für unterschiedliche Kunstformen ist“, sagt der | |
heute 40-Jährige. Zwischen Reykjavík und Berlin habe sich eine | |
künstlerische Verbindung entwickelt, die Kulturschaffende aus beiden | |
Städten schätzten. Bei der Erstauflage 2014 des jährlich im Mai | |
stattfindenden XJAZZ- Festivals in Berlin-Kreuzberg war Island das | |
Partnerland. Begründung: Es gebe dort eine Offenheit für Klangexperimente | |
und ein Negieren von Genregrenzen. | |
Wenn Smárason heute in Berlin ist, sieht er dennoch einen deutlichen | |
Unterschied zu der Stadt, wie er sie 2004 erlebte und in der múm ihr | |
viertes Album, „Summer Make Good“, aufnahmen. Mittlerweile, so Smárason, | |
lebten alle Künstler, die er in Berlin kenne, nicht mehr in Prenzlauer | |
Berg, sondern in Neukölln. Prenzlauer Berg sei jetzt ganz anders. Wenn er | |
in Berlin sei, gehe er am liebsten viel spazieren, schaue sich die | |
Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadtvierteln an. | |
Ein großer Wunsch von ihm wäre, das Liveset von múm zu „Menschen am | |
Sonntag“ in einer dem Film ähnlichen Szenerie zu spielen, etwa bei einem | |
sommerlichen Open-Air-Konzert am Wannsee: „Das wäre sicher eine | |
wunderschöne Erfahrung“. | |
10 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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