| # taz.de -- Jón Gnarr über sein Leben und Literatur: „Schrecklich und läch… | |
| > Jón Gnarr war Punk, Comedian und Bürgermeister von Reykjavík. Nun liest | |
| > er in Berlin aus seinem autobiografischen Roman „Der Outlaw“. | |
| Bild: Der Künstler als junger Mann | |
| taz: Jón Gnarr, Sie sind neulich 50 geworden. Warum haben Sie die | |
| Coming-of-Age-Geschichte „Der Outlaw“ erst vor Kurzem schreiben können? | |
| Jón Gnarr: Ich habe lange versucht, es zu vertagen – aber es war Stoff, der | |
| erzählt werden wollte. Mit dem Schreiben begann ich gegen Ende meiner Zeit | |
| als Bürgermeister von Reykjavík. Vorher hatte ich ein Alibi, nicht darüber | |
| schreiben zu müssen. Es war eine alberne Idee, zu jenem Zeitpunkt ein | |
| solches Buch zu schreiben. Ich war ein populärer Politiker, dessen | |
| Geschichte man weltweit kannte. Und ich schmiss den Politikerjob hin und | |
| schrieb ein Buch, in dem es um einen lächerlichen Teenager geht. | |
| Es geht um die Zeit, die Sie als Jugendlicher im Internat verbracht haben. | |
| Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihr weiteres Leben mitgenommen? | |
| Ich habe verstanden, dass das Leben eine Aneinanderreihung von Problemen | |
| ist und ein endloses Puzzle, das man zusammensetzen muss. Und dass Gewalt | |
| ein Weg aus den Problemen heraus sein kann, aber ein schlechter Weg. Sehr | |
| effektiv, aber meist mit komplizierten Nachwehen. Und ich begriff, dass | |
| Kommunikation die vielleicht wichtigste Sache im Leben ist. | |
| Die Kommunikation, die im Internat fehlte? | |
| Ja. Meines Erachtens ist das ein fundamentales Problem des | |
| Erziehungssystems. Nicht dass es keine Kommunikation gäbe – aber sie | |
| funktioniert nicht, ist kaum wirksam. Aber wenn ich daran zurückdenke, wie | |
| ich damals war, so galt mein Interesse aber vor allem den Mädchen. Und wie | |
| ich sie ins Bett bekomme. Das war mein vorderstes Ziel. (lacht) | |
| Die Jungs kommen ziemlich schlecht weg bei Ihnen. Michel Houellebecq hat | |
| mal sinngemäß geschrieben, pubertierende Jungs spiegelten das ganze Elend | |
| der Menschheit wider. Hat er recht? | |
| Sexualität ist eine treibende Kraft in so vielerlei Hinsicht. Man kann fast | |
| sagen, dass sich am Ende alles um Sex dreht. Männliche Sexualität ist | |
| etwas, das Leute in vielerlei Hinsicht fürchten. Oder sie blicken darauf | |
| herab – das ist aber nicht der richtige Weg. Stattdessen sollten wir jungen | |
| Männern beibringen, wie man Verantwortung für diese sexuellen Energien | |
| übernimmt. Als ich das Buch schrieb, habe ich viel mit den Frauen in meinem | |
| Leben über diese Themen gesprochen. Ich habe ja auch zwei Töchter – fünf | |
| Kinder insgesamt – und habe mich extrem darum gesorgt, wie sie auf den Text | |
| reagieren würden. | |
| Wie haben sie reagiert? | |
| Ich habe positives Feedback von ihnen bekommen; sie haben die Bedeutung | |
| verstanden, die das Buch für mich hat. Eine gute Freundin von mir, die das | |
| Werk als eine der Ersten gelesen hat, meinte, es sei wichtig, dass jemand | |
| so über männliche Sexualität schreibe. Sie sagte, sie verstehe die Männer �… | |
| ihre eigenen Männer, Söhne – oft nicht; nun verstünde sie sie immerhin | |
| besser. | |
| Es gibt sehr viele harte Erlebnisse Ihres Protagonisten; etwa, als er einen | |
| Selbstmordversuch unternimmt und als er einen epileptischen Anfall bekommt. | |
| War es für Sie belastend, über diesen Stoff zu schreiben? | |
| Ja. Es war der schwierigste Teil der autobiografischen Trilogie, die ich | |
| geschrieben habe. Ich habe meinem Verleger sogar angekündigt, es nicht zu | |
| Ende schreiben zu wollen. Es geht ja auch um sehr kontroverse Dinge – zum | |
| Beispiel bekommt der Protagonist etwas von sexuellem Missbrauch an einem | |
| Mädchen im Internat mit. | |
| Gab es denn Kontroversen um das Buch in Island? | |
| Ja. Die Andeutungen über den Missbrauchsfall in dem Internat in den | |
| Westfjorden sind in ganz Island diskutiert worden. Leute, die dort in der | |
| Kindheit zur Schule gingen in verschiedenen Zeiträumen, haben sich auf | |
| Facebook und Indymedia darüber ausgelassen, ob diese Passagen wahr seien | |
| oder nicht. Frühere Lehrer haben mich kontaktiert. Birgitta Jónsdóttir, die | |
| Vorsitzende der Piraten, sagte in der Öffentlichkeit, ich hätte gelogen – | |
| sie war auch in dem Internat, aber nicht zur gleichen Zeit wie ich. Ich | |
| solle mich entschuldigen. | |
| Wieso akzeptierte man Ihre Erinnerungen nicht? | |
| Mich wunderte es, weil es nicht mein erstes Buch ist. Es ist nicht mein | |
| Stil, Dinge zu beschönigen und mich oder andere besser darzustellen, als | |
| ich bin oder sie sind. In meinem Buchdebüt habe ich über die schwierige | |
| Beziehung zu meinem Vater geschrieben. Er hatte es gelesen und wurde | |
| gefragt, wie er es finde. Er sagte: „Okay.“ Ob es wahr sei, was ich im Buch | |
| beschriebe? Er sagte: „Ja, für ihn ist es wahr. Es ist seine Version der | |
| Geschichte.“ Genau so ist es. Es war so, wie ich es zu der Zeit empfunden | |
| habe. Es ist nicht zwingend die einzig mögliche Wahrheit. | |
| Ist Humor für Sie eine Art, mit den Härten des Lebens umzugehen? | |
| Ich habe immer versucht, meinen Humor einzusetzen, um mit schwierigen | |
| Situationen in meinem Leben fertig zu werden. Ich bin dankbar für die | |
| Lebenserfahrungen. Es ist immer ein schmaler Grat zwischen Komödie und | |
| Tragödie – wie Carol Burnett sagte: „Comedy is tragedy – plus time.“ E… | |
| Situationen in meinem Leben klingen schrecklich, aber zugleich sind sie | |
| lächerlich. (fängt an zu lachen) | |
| Denken Sie gerade an die Penisoperation, die Sie beschrieben haben? | |
| Ach, manchmal, wenn ich über all diese Dinge spreche, könnte ich weinen. | |
| Aber ich tendiere dazu, darüber Witze zu machen. | |
| Die Band „Crass“ ist sehr wichtig für den Protagonisten Jonsi Punk. Welche | |
| Bedeutung hatte die Band für Sie? | |
| Crass war wie eine Person für mich. Wie jemand aus meiner Familie, der sehr | |
| weise und lebenserfahren ist. Einer, dem ich zuhören konnte. Die Band half | |
| mir, durchs Leben zu kommen. Crass wurde zur Obsession für mich, es wurde | |
| Teil meiner Identität, als ich danach am Verzweifeltsten gesucht habe. Ich | |
| wollte nicht einfach ein Freak sein. Ein Freak ja, aber dann auch bitte ein | |
| Crass-Punk. | |
| 17 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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