# taz.de -- Stummfilmkonzerte: Mächtiges Brausen, großes Georgel | |
> Dass Stummfilmevents mit Live-Musikbegleitung boomen, hat auch mit | |
> Stephan von Bothmer zu tun: Vor 20 Jahren startete er seine | |
> Stummfilmkonzerte. | |
Bild: Klassischer Dreier: Stephan von Bothmer inmitten von Stan Laurel und Oliv… | |
Bei Lichte betrachtet, ist es gar nicht so ohne weiteres erklärbar, dieses | |
offenbar tiefsitzende menschliche Bedürfnis, zu bewegten Bildern Musik zu | |
hören. Als wäre es nicht sensationell genug gewesen, damals, als die Bilder | |
laufen lernten, ihnen einfach mit den Augen zu folgen, begann man alsbald, | |
aus dem einfachen Filmgekurbel eine Multimediashow zu machen. | |
Die Frühzeit des Kinos muss eine goldene Zeit für Pianisten gewesen sein. | |
Heutzutage ist die Arbeit der Musiker getan, sobald die Tonspur eines Films | |
fertig ist. Ab in die Konserve damit. Zu Stummfilmzeiten dagegen war jede | |
Filmvorführung ein einmaliges musikalisches Liveerlebnis. | |
So wie damals wird es natürlich nie wieder. Aber auch wenn man heute nicht | |
mehr wie einst noch die Urgroßeltern allabendlich die Auswahl zwischen | |
zahlreichen Lichtspielhäusern mit Livemusik hat, ist die Kunst des | |
Bespielens bewegter Bilder längst nicht ausgestorben. | |
In den Großstädten, zumal in Berlin, ist sie sogar überaus lebendig. Man | |
könnte beinahe behaupten, sie erlebe seit etlichen Jahren so etwas wie eine | |
neue Blüte. Eine Herbstblüte sozusagen. | |
Vom solistischen Auftritt am Tasteninstrument bis zum Sinfonieorchester ist | |
bei den Playern alles dabei. Auch die etablierten Kulturpaläste der Stadt | |
wie etwa die Komische Oper, das Konzerthaus und die Philharmonie hatten in | |
der laufenden Saison schon große Stummfilmkonzerte im Programm. | |
## Ein Festival zum Jubiläum | |
Für die eigentliche Kontinuität in der Szene aber sorgen die | |
spezialisierten SolistInnen an den Orgeln der Stadt. Dazu gehört auf jeden | |
Fall Stephan von Bothmer (auch bekannt als Graf von Bothmer), der sich zu | |
seinem zwanzigjährigen Jubiläum im Einsatz als orgelnder Filmvertoner nun | |
ein ganzes Festival organisiert hat. In einem auf Januar und März | |
verteilten Stummfilmkonzert-Reigen zeigt der Pianist/Organist/Komponist in | |
zwei Kreuzberger Kirchen, welch breites Spektrum an Genres er bedienen | |
kann. | |
Der umtriebige Musiker, der mitunter auch Fußballspiele live an der Orgel | |
begleitet, scheint musikalisch kaum Berührungsängste zu kennen. Zur | |
Eröffnung des Festivals am 11. Januar tritt von Bothmer mit Orchester zum | |
französischen Antikriegsfilm „Verdun“ aus dem Jahr 1928 in der | |
Passionskirche auf – ein eher selten zu sehendes Werk, ebenso wie Ernst | |
Lubitschs „Die Puppe“ (13. 1.) und die Märchenfilme von Lotte Reininger, | |
die Bothmer am 14. Januar zur kinderfreundlichen Zeit um 17 Uhr an der | |
Orgel der Emmauskirche begleitet. | |
Familienkompatibel dürfte auch das „Stan & Olli“-Programm sein. Ansonsten | |
bietet das Festivalprogramm bewährte Klassiker wie natürlich Fritz Langs | |
„Metropolis“. | |
## Weitere Stars der Szene | |
Neben von Bothmer ist die russischstämmige Organistin Anna Vavilkina zu | |
einer Art Star der Berliner Stummfilmszene geworden. Vavilkina pflegt im | |
Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz die große Kinoorgel zu bedienen, die | |
regelmäßig bei den samstäglichen Stummfilmnächten zum Einsatz kommt. | |
Diese Orgel, die schon bei ihrer Einweihung im Jahr 1929 als Sensation | |
bestaunt wurde, ist eine kostbare Seltenheit in der heutigen | |
Kinolandschaft. Nachdem sie um die Jahrtausendwende herum jahrelang | |
generalüberholt wurde, verfügt das Babylon seitdem wieder über eine der | |
mächtigsten akustischen Illusionsmaschinen, die derzeit in deutschen Kinos | |
zu hören sind. Am 13. Januar wird Anna Vavilkina ab Mitternacht zum | |
britischen Film „Picadilly“ von 1929 an der Orgel zu hören sein. | |
Einer der Höhepunkte des Stummfilmmonats Januar wird sicherlich der 17. | |
Januar sein: Dann gibt es wieder eine Gelegenheit, die legendäre Mighty | |
Wurlitzer in großem Einsatz zu hören, die größte Kinoorgel Europas (aus | |
amerikanischer Produktion und ebenfalls aus dem Jahr 1929), die einst der | |
Familie Siemens gehörte und nach dem Krieg im Musikinstrumentenmuseum ihre | |
endgültige Heimat fand. | |
Die Mighty Wurlitzer heißt so, wie sie heißt, weil sie über mehr als 200 | |
Register – damit gut dreimal so viele wie die Kinoorgel des Babylon! – und | |
1.228 Pfeifen verfügt. Beim abendlichen Mittwochskino am 17. Januar zeigt | |
das Musikinstrumentenmuseum den erst vor zwei Jahren rekonstruierten Film | |
„Varieté“ mit Emil Jannings und Lya de Putti. Die musikalische Seite der | |
Show verantworten diesmal Anna Vavilkina und die Mighty Wurlitzer. | |
Und wer zwar Stummfilme mag, aber Orgelmusik eigentlich immer viel zu viel | |
findet, kann das alles an sich vorüberziehen lassen und am 18. Januar ins | |
Arsenal gehen. Da gibt es „Menschen am Sonntag“, darin ist schön Sommer, | |
und im Kino sitzt dazu ein Mensch, es ist die Pianistin Eunice Martins, an | |
einem Klavier. Das geht nämlich auch. | |
10 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Stummfilm | |
Festival | |
Spielfilm | |
Stummfilm | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tony Gatlifs Spielfilm „Djam“: Roadmovie mit Rembetiko | |
Starke Frauen, schöne Bilder, gute Musik. Tony Gatlifs „Djam“ setzt in der | |
griechischen Schuldenkrise auf den Widerstand des Rembetiko. | |
Livemusik zu Stummfilm: Ein anderes Zuhause für ihre Musik | |
Die isländische Gruppe múm vertont „Menschen am Sonntag“ neu. Bandmitglied | |
Örvar Smárason über die Besonderheit des Filmes. | |
Stummfilme vertonen: "Ein Fehler kann genial sein" | |
Stephan von Bothmer ist einer der bekanntesten Stummfilm-pianisten | |
Deutschlands. Am heutigen Freitag startet seine Konzertreihe im Dom | |
90 EM-Minuten in der Kirche: Traurig, aber schön | |
Beim Public Viewing in der Kirche wird das Finale zum Stummfilm und die | |
spanischen Fußballer tänzeln in tiefem Moll an ihren Gegnern vorbei. |