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# taz.de -- Tony Gatlifs Spielfilm „Djam“: Roadmovie mit Rembetiko
> Starke Frauen, schöne Bilder, gute Musik. Tony Gatlifs „Djam“ setzt in
> der griechischen Schuldenkrise auf den Widerstand des Rembetiko.
Bild: Tritt so beiläufig auf, als würde sie in ihrem Alltag von der Kamera be…
Der französisch-algerische Regisseur Tony Gatlif macht Filme, die so
wirken, als seien ihre Szenen zufällig im Vorbeigehen aufgenommen worden.
Seine fragmentarische Erzählweise buchstabiert Dinge nicht aus, sondern
deutet sie oft nur an; doch kann man sich beim Zuschauen in der Regel
darauf verlassen, dass Bezüge, die zunächst unverständlich bleiben, sich
später von selbst klären werden.
Seinen neuen Film widmet Gatlif, der es wie sonst kaum einer versteht,
Musik in Filmerzählungen umzusetzen, dem Rembetiko: einem in Griechenland
gepflegten traditionellen Musikstil, der als Sound der Hafenarbeiter und
einfachen Leute entstand und griechisch-türkische Wurzeln hat. Gleichsam
als Seele des Rembetiko stellt Gatlif eine eigensinnige junge Frau ins
Zentrum: Djam (Daphné Patakia).
Djam ist eine Waise, als Tochter einer berühmten Rembetiko-Sängerin in
Paris aufgewachsen. Nun lebt sie mit ihrem Onkel Kakourgos (Simon
Abkarian), der auf der Insel Lesbos ein Touristen-Ausflugsboot betreibt.
Doch seit der Flüchtlingskrise bleiben die Touristen aus, und ohnehin ist
der Motor des Schiffs kaputt. Da es sich um ein altes russisches Fabrikat
handelt, muss die defekte Treibstange nachgebaut werden. Dazu schickt
Kakourgos Djam zu einem Schmied nach Istanbul.
Was folgt, ist ein Roadmovie mit viel Musik. In Istanbul liest Djam die
junge Französin Avril (Maryne Cayon) auf, eine verlorene Seele, die
eigentlich Flüchtlingen helfen wollte und nun selbst gestrandet ist. Zu Fuß
– denn in Griechenland wird gestreikt – machen die beiden Frauen sich auf
den Rückweg nach Lesbos.
Auf dem Weg haben sie allerlei Begegnungen: In einem Bahnhof, aus dem keine
Züge fahren, verbringen sie eine Nacht gemeinsam mit anderen Musikern, die
ebenfalls nicht weiterkommen. Man macht aus der Not eine Tugend und
veranstaltet eine nächtliche Rembetiko-Session zwischen leeren Gleisen.
Anderntags geraten die Reisenden zufällig in ein Familiendrama: Ein Mann
will lebendig begraben werden, weil er die Hypothek auf sein Haus nicht
mehr bezahlen kann. Später werden sie ihn noch einmal treffen: Mittlerweile
hat er sich zur Emigration nach Norwegen entschlossen.
## Ganz nebenbei sehr große Themen anreißen
Tony Gatlif setzt in seinem filmischen Mosaik Fragmente nebeneinander, von
denen etliche von großer existenzieller Not handeln, andere von
selbstverständlicher menschlicher Solidarität und sehr viele von der großen
Kraft, die in der Musik liegt. Seine Erzählweise erlaubt es, ganz nebenbei
sehr große Themen anzureißen (die Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise, die
griechische Militärdiktatur), ohne dass der Film sich dabei zu viel Gepäck
auflüde.
Seine Darsteller treten so beiläufig auf, als würden sie lediglich in ihrem
alltäglichen Leben von der Kamera begleitet. Hauptdarstellerin Daphné
Patakia als Djam agiert auch als Sängerin und Tänzerin sehr überzeugend.
Und Tony Gatlif inszeniert die schöne junge Frau mit erstaunlicher
Selbstverständlichkeit gleich in der ersten Szene im kurzen Rock ohne
Unterhose.
Bei jedem anderen Regisseur wäre das eine peinliche Altmännerfantasie. Bei
Gatlif hat die Unverstelltheit, mit der Djam ihren Körper lebt, aber schon
etwas Kultisches. Die Kamera beutet diese Frau nicht aus, sie sieht zu ihr
auf: Denn Djam ist die auf die Erde herabgestiegene Göttin des Rembetiko.
26 Apr 2018
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Spielfilm
Rembetiko
Spielfilm
Filmgeschichte
Stummfilm
Film
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