# taz.de -- Französischer Spielfilm „Bonjour Paris“: Eine Welt voller Kons… | |
> Léonor Serraille lässt in ihrem Debüt die Heldin Laetitia Dosch kaum aus | |
> den Augen. Diese dient als Fixpunkt für Fragen einer ganzen Generation. | |
Bild: Letitia Dorsch alias Paula (links) ist im Film allgegenwärtig | |
Wegschauen ist keine Möglichkeit. Laetitia Dosch alias Paula ist fast in | |
jedem Moment des Films zu sehen. Denn „Bonjour Paris“, das Spielfilmdebüt | |
von Léonor Serraille, fühlt sich der jungen Frau und ihrem Blick auf das | |
Leben ganz und gar verpflichtet. Alles spielt sich in ihrer Nähe ab, in | |
einer Art absoluter Gegenwart und gleichermaßen in einem unmittelbar | |
gegenwärtigen Paris. | |
Die Eindrücke der Stadt sind für sie gerade ziemlich unsortiert. Denn Paula | |
war in Mexiko und kehrt nun mit einer chaotischen Bruchlandung in die Stadt | |
zurück. In eine Stadt, die keine Menschen mag, meint Paula einmal. Als sie | |
in der Eröffnungsszene ihren Kopf gegen die Tür ihres Exfreunds knallt und | |
bewusstlos wird, verschwindet für einen Moment das Bild. | |
Gleich danach, in der Notaufnahme, starrt sie mit ihren zweifarbigen Augen | |
frontal in die Kamera und feuert ihren Frust einem Krankenpfleger um die | |
Ohren. Sie hasst die Stadt und sie hasst Frankreich. Aber sie kann sich | |
anpassen, natürlich. Sogar in schwierigen Situationen. Der Film ist die | |
Probe aufs Exempel, denn derlei Situationen wird es viele geben. | |
Paula sitzt auf der Straße, muss die Geduld ihrer Freunde strapazieren, | |
irgendwie an Geld kommen, sich nach den nächsten Schritten fragen. Denn ihr | |
Ex Joachim ist ein angesehener Fotograf und hat sie ausgehalten. Das | |
scheint nach einem wütenden Schlagabtausch vorbei. Entlang ihrer Reise und | |
überall in der Stadt bläffen sie jetzt Poster und Zeitungsartikel über ihn | |
an, als wäre diese vermaledeite Stadt nur dazu da, sie weiter zu | |
provozieren. Noch dazu hat sie Joachims Katze am Hals, eine exzentrische | |
Gestalt, weiß und plüschig, mit einer komplizierten Ausstrahlung. | |
Léonor Serraille weiß, dass ihre Heldin keinen Sinn für Grenzen kennt, und | |
hat den Film diesem Temperament gemäß als Skizze entworfen, in der lose | |
Szenen aufeinanderfolgen und viele Auslassungen möglich sind. Ihre Heldin | |
nimmt sie dabei nicht nur als Figur ernst, sondern als Fixpunkt für ihre | |
Fragen an eine Generation und an die größte Stadt Frankreichs: Paula setzt | |
mehr als die Stimmung des Films, sie setzt auch die Farben. | |
Ganze Räume, die ganze Welt, sie passen sich dem Orange ihrer Haare an. | |
Immer wieder sucht Kamerafrau Emilie Noblet Antworten auf die Farbtöne | |
ihrer Augen. Paula, wie sie lebt und die Stadt erspürt, wie sie eine | |
emotionale Unmittelbarkeit gegen alle Widerstände durchsetzt und sich nie | |
den vermeintlichen Ausweglosigkeiten der Stadt ergibt. Sie spart in der Tat | |
nicht damit, der filmischen Welt um sie herum den Mittelfinger zu zeigen. | |
Diese Paula ist eine philosophische Ansage. Daher auch der Originaltitel | |
des Films: „Jeune femme“, junge Frau. | |
## Wie schnell geht Nähe? | |
Besonders im Hinblick auf den naheliegendsten Vergleichsfilm der jüngeren | |
Vergangenheit, Noah Baumbachs „Frances Ha“, erscheint Léonor Serrailles | |
Film in seiner sozialrealistischen Ungefälligkeit beachtlich. Weil hier das | |
Spiel mit dem biografischen Fehlschlag und der Alltagsblick auf das | |
Künstlerische nicht einfach auf Pointen hin zugespitzt werden. | |
Statt einer Leichtigkeit des Scheiterns sucht Serrailles Film nach einem | |
profunden Sinn für Aufgewühltheit, Rastlosigkeit und einer damit untrennbar | |
verbundenen, einer sich daraus speisenden Widerständigkeit. Paula wird | |
nicht einfach als grundsympathisch inszeniert, sondern als unberechenbar, | |
borstig und mitunter aggressiv bis hin zur Selbstverletzung. Nachdem sie | |
anfangs den Kopf gegen die Wand schlägt, bleibt ihr die Wunde den gesamten | |
Film über erhalten. Was im Film geschieht, das hinterlässt innerliche wie | |
äußerliche Spuren. Diese Welt soll als Welt voller Konsequenzen erscheinen. | |
## Nachdenken über ein neues Leben | |
Es gibt dennoch die thematischen Spitzen. „Bonjour Paris“ reiht sie auf, | |
die Bausteine des selbstgewählten, prekären Großstadtlebens Anfang 30, | |
veranschaulicht anhand von Paulas Biografie und den Biografien, denen sie | |
auf ihrer Reise begegnet. Und wie die Tänzerin Frances Ha hat auch die | |
Kunststudentin Paula die klaren Verbindungslinien zur Ästhetik. | |
Paulas Dialog mit Joachim über Fotografie kostet, nur für einen Moment, die | |
Möglichkeit von Schönheit und Liebe im Bild. Sie spricht von sich als | |
seinem Modell, von Schaum-Kitsch und von Arbeiterfotos. „Selbst die“ seien | |
schöner als die Bilder der gemeinsamen Beziehung – nicht wirklich ein | |
Kompliment. Bei der Verhandlung mit einer Krankenschwester schwingt die | |
Frage mit, wer sich denn eigentlich fremd ist in der Stadt und wie schnell | |
es Nähe und Freundschaft geben kann. | |
Und dann ist da das Nachdenken über neues Leben. Paula meint, ein Kind muss | |
mitten im Lärm geboren werden, mitten im Geschehen. Doch was ihr eigentlich | |
zu schaffen macht, ist die Wehmut für das nicht Erlebte, für das, was noch | |
kommt, wenn sie ihren Sinn für sich weiter behauptet in der unwirtlichen | |
Stadt: die Geburt eines neuen Gefühls. | |
7 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Dennis Vetter | |
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Christian Petzold | |
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