# taz.de -- Musikstil Rembetiko: Ein Vagabund und Angeber | |
> Unser Autor ist Historiker und Musiker. Er kommt aus dem New Wave und dem | |
> Punk. Inzwischen spielt er Rembetiko. Hier beschreibt er, warum. | |
Bild: Rembetiko in Piräus, 1933 | |
Rembetiko ist vielfältiger und gegenwärtiger, als man denken mag. Und | |
weiblicher. Die Rembetisses, die Sängerinnen des Rembetiko, waren | |
emanzipierte Frauen, die ihre Freiheit auskosteten und sich in der | |
Männerwelt der „Macker“, der Magkas, behaupteten. Aus Konstantinopel kam | |
anfangs des letzten Jahrhunderts die Jüdin Roza Eskenazi nach Griechenland. | |
Sie sang in griechischer, türkischer und armenischer Sprache. Der | |
Dokumentarfilm „Mein süßer Kanarienvogel“ erzählt das Leben der Sängerin | |
und Tänzerin. | |
Es stimmt, in alten Rembetiko-Liedern werden Frauen als Puppe, Obdachlose | |
oder Zigeunermädchen bezeichnet. Viele Lieder sind Oden an die Mutter oder | |
die Geliebte. Aber es gibt eben auch wichtige Frauenfiguren. „Meine | |
Wasserpfeife, warum erlischst du?“, gesungen von Georgia Myttaki, wird oft | |
neu interpretiert. Marika Ninou wurde 1922 auf einem Flüchtlingsschiff | |
während der Fahrt nach Piräus geboren. Sie lebt in dem Kinofilm „Rembetiko�… | |
von Costas Ferris weiter. Noch heute geben Frauen auf Gläser, Zimbeln, | |
Löffel oder Tamburin den Takt an und rücken in den Vordergrund. | |
Die Schlüsselfigur des Rembetiko der 1930er Jahre war allerdings | |
tatsächlich der Magkas, ein derber Vagabund und Angeber. Er trug eine | |
Schärpe für Messer und Tabaksbeutel, Stiefeletten, Republikaner-Hut oder | |
Schiebermütze, Sakko und Stock. Er posierte mit Schnauzer und Pomade, war | |
tätowiert und spielte lässig mit seiner Kummerkette, dem Komboloi. Er zog | |
ein Bein nach, sprach mit heiserer, langsamer Stimme und drohendem Blick | |
Straßenslang. | |
Giorgos Batis von der Halbinsel Methana bekam den Spitznamen „O Magkas“ | |
verpasst. Sein Kafenion, Musikaliengeschäft und seine Tanzschule waren | |
Mittelpunkt der Szene in Piräus. Batis würdigte in seinen Texten die Arbeit | |
der Schwammtaucher, Seemänner, Tabakarbeiter und Barbiere. Auch Markos | |
Vamvakaris von der Insel Syros übte einen bürgerlichen Beruf aus, er war | |
Hafenarbeiter in Piräus und Metzger. | |
Sänger Stratos Pagioumtsis, genannt „der Faulpelz“, geflüchtet aus | |
Kleinasien, war Fischer und Fährmann. Anestis Delias, genannt „die schwarze | |
Katze“, flüchtete auch aus Kleinasien. Er starb 1941 als Streuner auf der | |
Straße an Heroin, mit seiner Bouzouki im Arm. Die vier Musiker bildeten in | |
den 30er Jahren die Tetras, das legendäre Quartett aus Piräus. | |
## Holzbude und Haschischhöhle | |
Die meisten Rembetika der 30er Jahre haben ihre Wurzeln in Volksliedern aus | |
der heutigen Türkei, dem Café Aman, in dem Straßenmusiker Sängerinnen und | |
Tänzerinnen begleiteten, den orientalischen Weisen aus Smyrna, der | |
italienischen Oper, der Athener Revue und der Operette. | |
Rembetiko klingt schwer, oft traurig, und wird manchmal als griechischer | |
Blues bezeichnet, beinhaltet aber weder betonte blue notes noch das gängige | |
Blues-Schema, sondern eigenständige Tonleitern, die Piräotische oder | |
Arabische. Der Tanz des Rembetiko ist meist der Zeibekiko im 9/8-Rhythmus, | |
entstanden in Gebieten der heutigen Türkei. Der Tänzer improvisiert, aber | |
hält sich auch an eindeutige Tanzfiguren. | |
Die 30er Jahre bildeten die überragende Epoche dieser Musik. Die Szene | |
fungierte als Nährboden. Treffpunkte waren Plätze in Athen und Piräus und | |
die teke als eine Art Holzbude und Haschischhöhle. Dort spielten die | |
Vagabunden das Brettspiel Tavli und Karten, rauchten Wasserpfeife, die | |
nargile, und musizierten. | |
Viele Rembetiko-Musiker lebten in Baracken, Waggons, Hütten oder in Zelten, | |
die für die Geflüchteten aus Kleinasien ab 1922/23 gebaut worden waren. Die | |
Kleinasiatische Katastrophe, die in der Rembetiko-Literatur auch als | |
„ethnische Säuberung“ bezeichnet wird, führte zu einer Zwangsumsiedlung v… | |
1,25 Millionen Griechen und 500.000 Türken. | |
Ursache war die griechische Megali Idea, vormals griechisch besiedelte | |
Gebiete in Kleinasien militärisch zurückzugewinnen. Dies scheiterte jedoch | |
an der Armee Atatürks und spitzte sich in dem Massaker von Smyrna zu, das | |
in Schutt und Asche gelegt wurde. Bei diesem Massenexodus ertranken | |
Tausende Griechen jämmerlich im Meer. Danach strebte die bürgerliche, nach | |
Westeuropa ausgerichtete städtische Gesellschaft Griechenlands einen | |
Nationalstaat westlicher Prägung an. | |
## Eine Keimzelle des Rembetiko war das Gefängnis | |
Dagegen pflegten die Rembetiko-Musiker ihre eigene hedonistische Subkultur, | |
bis sie schließlich von Geschäftemachern aus Clubs und Varietés und der | |
Schallplattenindustrie vereinnahmt wurden. Nicht wenige geflüchtete | |
Rembetiko-Musiker waren dem nationalistischen Bürgertum als „orientalisch | |
minderwertige, in Joghurt getauchte Türkenbrut“ ein Dorn im Auge, sie | |
waren Feindseligkeiten ausgesetzt und wurden nicht selten von der Polizei | |
verprügelt. Die faschistische Diktatur unter Ioannis Metaxas (1936–1941) | |
zensierte nicht salonfähige Rembetika. Nicht wenige Rembetiko-Musiker | |
verstummten. | |
Eine weitere Keimzelle des Rembetiko war das Gefängnis, denn viele | |
Rembetiko-Musiker lebten als Kleinkriminelle, Drogenkonsumenten, | |
Schmuggler, Zocker oder Taschendiebe. Im Gefängnis musizierten die | |
gerissenen Kerle auf dem selbstgebauten Baglamas, hergestellt aus Draht, | |
Holz und einem Klangkörper aus Kürbis oder einer Dose: Sessions im Knast! | |
Die Eingesperrten hockten im Kreis, klatschten, schnipsten oder schnalzten. | |
Abwechselnd wurden Stegreifzeilen zugerufen. So entstanden die | |
Gefängnislieder. | |
Die osmanische Gesellschaft in Kleinasien war facettenreich. Griechen | |
lebten neben Türken, Juden, „Zigeunern“, Armeniern, Russen, Syriern, | |
Bulgaren, Slawo-Makedonen und Albanern. | |
In der aufgefächerten osmanischen Gesellschaft Kleinasiens und in | |
Griechenland lebten am Ende des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. | |
Jahrhunderts verschiedene Randgruppen, in denen Männer dominierten. Sie | |
gehören zu den Wurzeln des Rembetiko-Kosmos der 30er Jahre: Der Kapadais | |
war der autoritäre Gegenspieler zum Polizisten des Stadtviertels. Der | |
Tsiribasis war eine Art Robin Hood. Er lebte von Schmuggel und Spiel und | |
kontrollierte die Hafenarbeiter, Kaffeehäuser und Bordelle. Der bewaffnete | |
Zeybekis war Partisan. Er war Mitglied einer Bande, die in Kleinasien gegen | |
das Osmanische Reich kämpfte. Die Klephten waren Räuber, Rebellen und | |
Freiheitskämpfer gegen die osmanische Herrschaft. | |
## Kombinierbar mit Metal, HipHop oder Dub | |
Im Dezember 2017 wurde Rembetiko in die repräsentative Liste des | |
immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Ganz zu Recht, wer | |
Griechenland verstehen will, muss den Rembetiko verstehen. Gemütlich sitzt | |
die parea, die Gemeinschaft, bei Häppchen zusammen. Das Essen gehört zur | |
Musik wie die Sonne zu Griechenland! Der Besuch eines Rembetiko-Clubs ist | |
ein kostspieliger Höhepunkt, um dem Alltag zu entfliehen. Es wird getanzt, | |
viele trinken Whisky, man isst Früchte, pafft eine Zigarre und wirft mit | |
Tellern oder Blumen. | |
Aber auch in der weltweiten Szene ist diese Musik anschlussfähig. Die Band | |
Markos Elektrik aus Athen, mit der Sängerin Nektarillia Tsompanoglou, | |
widmen ihre YouTube-Filme dem Patriarch des Rembetiko: Markos Vamvakaris. | |
In den sozialen Medien tummeln sich Jung und Alt und zelebrieren Rembetiko | |
wie immer auf Bouzouki und Baglamas. Experimentierfreudige Bands | |
kombinieren Oldtime-Rembetiko mit Synthesizer, Drumcomputer und Loops. | |
Locomondo verbindet Rembetiko mit Reggae. Meet-Sos und Imam Baildi arbeiten | |
mit Remixes. In den Suchmaschinen lassen sich Begegnungen zwischen | |
Rembetiko und Metal, HipHop oder Dub finden. Und in den ländlichen Tavernen | |
der griechischen Inseln gehören Auftritte einer Rembetiko-Kompania zu den | |
warmen Sommerabenden wie die Sterne, die am Himmel tanzen. | |
2 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Simon Steiner | |
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