# taz.de -- Berlinale Panorama: Indignados: Ein Hymnus auf die Empörten | |
> Tony Gatlif, ein Regisseur aus dem Maghreb, folgt in "Indignados" der | |
> Spur der Massenbewegungen in Madrid, Paris und Marseille. Er träumt von | |
> einem mediterranen Kulturraum. | |
Bild: Es geht um das lustvolle Gefühl sommerlicher Massencamps. | |
Ein starkes lyrisches Bild bleibt aus Tony Gatlifs Film "Indignados" in | |
Erinnerung: Irgendwo in einer südlichen Ortschaft rollen mit einem Mal | |
Orangen die Gassen herunter. Immer mehr leuchtende Früchte springen auf | |
einen imaginären Treffpunkt zu. | |
Die "Rolling Stones" vergangener Straßenkämpfe kommen als rollende Orangen | |
wieder - Gatlifs enthusiastische Allegorie auf die Massenproteste des | |
vergangenen Jahres in Frankreich, Spanien, Griechenland, die über den | |
bürgerkriegsgleichen Umwälzungen in arabischen Ländern schon ein wenig in | |
Vergessenheit zu geraten drohen. | |
Gatlifs Film versteht sich als Aufruf: Er will die Botschaft weitertragen, | |
die Stéphane Hessel, der vierundneunzigjährige ehemalige Résistancekämpfer, | |
Häftling im KZ Buchenwald, spätere UN-Diplomat und Mitautor der | |
Menschenrechtserklärung mit seiner Flugschrift "Empört euch!" 2010 in | |
Frankreich und anderen europäischen Ländern auslöste. Hessel ruft darin zum | |
friedlichen Widerstand gegen die verkrustete Gesellschaft auf, die | |
Auswüchse des Finanzkapitalismus zulässt, die Menschenrechte von | |
Flüchtlingen mit Füßen tritt, den Planeten zerstört. | |
Er erinnert an die heroische Widerstandsgeschichte gegen den Faschismus und | |
setzt die Empörung gegen Unrecht als ersten und wichtigsten Schritt ins | |
Recht, denn: "Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit." | |
"Indignados" ist Tony Gatlifs emphatischer Hymnus auf die Empörten, die | |
sich 2011 auf den Straßen zeigten. In eingeblendeten Zitaten verweist er | |
auf den weisen Paten Hessel, doch was den algerisch-französischen | |
Filmemacher viel mehr interessiert, ist der Sound der spontanen Bewegungen, | |
das lustvolle Gefühl sommerlicher Massencamps, die strömende | |
Aufbruchsdynamik, die eine gut montierte Kompilation der Demos in Madrid, | |
Paris, Marseille und anderswo ausdrückt. | |
## Ein Flüchtling namens Betty | |
Seine stumme Zeugin für die Ereignisse ist eine junge Westafrikanerin, ein | |
Flüchtling namens Betty, die der Film in einem griechischen Auffanglager, | |
unter Illegalen in einem Hafen auf der Suche nach einer Transportchance und | |
weiter als einsame Obdachlose auf ihrer Wanderung durch Europa begleitet. | |
Dieser ortlose "ewige Flüchtling" findet Unterschlupf in bizarren | |
Bauruinen, toten Immobilien, die das ganze Ausmaß sinnloser | |
Kapitalverschwendung unmittelbar anschaulich machen. | |
Doch Tony Gatlifs Sehnsucht nach Steigerung macht nicht davor Halt, unter | |
anderem ein ruinöses Sportstadion plötzlich zur Bühne einer andalusischen | |
Tänzerin zu erklären, so dass sich das allegorische Flüchtlingsdrama allzu | |
prätentiös mit gestylten Kunstperformances vermengt. | |
Gatlif, ein in Algier geborener Roma, dreht seit 1975 Filme, die um die | |
verdrängten Einflüsse der Sinti und Roma und des Maghreb auf die | |
europäische Kultur kreisen. Als Akt des Widerstands gegen die Ausgrenzung | |
setzt er die Vision eines großen mediterranen Kulturraums. "Indignados" | |
träumt diesen Traum mit Bildern des Jahres 2011. | |
Eine Analyse, ob und wie Stéphane Hessels Aufruf "Empört euch!" sich in den | |
unterschiedlichen Problemlagen der griechischen Finanzkrise, der spanischen | |
Jugendarbeitslosigkeit und den Facetten der Occupy-Bewegung niederschlägt, | |
kann man von dem Film nicht erwarten. Ob Gatlifs Revolutionsromantik mehr | |
als ein Sommermärchen war, wird sich zeigen müssen. | |
9 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
Spielfilm | |
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