| # taz.de -- Berlinale Forum: Regisseur über "Bestiaire": "Käfige sind ein äs… | |
| > Heute stellt man Tiere auf verschiedene Arten dar. Der kanadische | |
| > Filmemacher Denis Côté über seine lebenden Organismen im Zoo in | |
| > "Bestiaire" im Berlinale Forum. | |
| Bild: Eine Art Bilderbuch: Bestiaire. | |
| taz: Herr Côté, für Ihren Film "Bestiaire" haben Sie in Quebec im Parc | |
| Safari gedreht. Wie kamen Sie auf die Idee, Tiere in Gefangenschaft zu | |
| filmen? Um ein Machtverhältnis aufzuzeigen oder eine gewisse Klaustrophobie | |
| zu bebildern? | |
| Denis Côté: In Ihrer Frage steckt eine Projektion. Andere Zuschauer mögen | |
| anderes in den Film hineinprojizieren. Doch der Film beweist nichts; er | |
| zeigt nur. Heute stellt man Tiere auf verschiedene Arten dar: Man lacht | |
| über sie auf Youtube, schaut sich schöne Tierdokus auf "Animal Planet" an | |
| oder aber man versucht, Tiere in Kino und TV zu vermenschlichen. Wann filmt | |
| man sie schon dafür, was sie sind, nämlich Tiere? "Bestiaire" bedeutet für | |
| mich einfach die Freude, lebende Organismen zu filmen. | |
| Warum dieser Titel? Wegen der mittelalterlichen Tierdichtungen, der | |
| Bestiarien? | |
| Ich wusste, dass das Ergebnis eine Art Bilderbuch sein würde oder ein sehr | |
| offenes Gebilde, dem man viele Namen geben kann. So in etwa funktionierten | |
| Bestiarien im Mittelalter. Die schönen Bilder darin weiß ein vierjähriges | |
| Kind zu schätzen. Aber auch ein Erwachsener kann darin seine Moral, seine | |
| Geschichten finden und seine Persönlichkeit und Ideen in diese Bilder | |
| hineinprojizieren. | |
| Gibt es deshalb weder Kommentare noch Dialoge in "Bestiaire"? | |
| Ich wollte weder einen Dokumentar- noch einen Spielfilm drehen, sondern | |
| etwas, worauf sich der Zuschauer entweder einlässt oder worein er etwas | |
| projiziert. Hätte ich mich selbst durch einen Kontext eingebracht, | |
| Gespräche geführt oder einen Kommentar abgegeben, wäre dieser persönliche | |
| Zugang des Zuschauers verloren gegangen. | |
| Möchten Sie auch provozieren oder schockieren? Durch eine gewisse | |
| Langsamkeit oder das Thema: gefilmte Tiere? | |
| In der Form, hinter der ich voll und ganz stehe, hat der Film nichts | |
| Provozierendes oder Schockierendes. Wenn Leute sich heute noch durch feste | |
| Einstellungen oder Langsamkeit provoziert fühlen, ist das problematisch. | |
| Ich erwarte nicht, dass "Bestiaire" jedem gefällt: Ich hoffe nur, dass | |
| keiner während der Projektion des Films Tomaten auf die Leinwand wirft! | |
| Bei mir im Kino wurden keine Tomaten geworfen. Aber der Lebensraum dieser | |
| Tiere, der Zoo, ist womöglich die größte Vermenschlichung, da man die Tiere | |
| von ihrem natürlichen Lebensraum entfremdet? | |
| Hier formulieren Sie aber Ihre persönliche Sicht auf Zoos. Sie können von | |
| dem Film nicht erwarten, dass er Ihrer Meinung folgt. Der Film mag Ihre | |
| vorgefestigte Meinung bestätigen, aber er wird sie nicht hervorrufen! Zu | |
| viele Regisseure fällen Werturteile. Ich möchte zu denen gehören, die sich | |
| so wenig einmischen wie möglich und die Dinge einfach zeigen. | |
| Ärgert es Sie dann, wenn Zuschauer Ihren Film "Bestiaire" als ein Plädoyer | |
| für Tierrechte deuten wollen? | |
| Neulich hat mir jemand dafür gedankt, dass ich einen Film gedreht hätte, | |
| der die Grausamkeit gegen Tiere anprangert, ebenso wie die furchtbaren | |
| Methoden, die Zoos erfinden, um ihre idiotischen Besucher zu unterhalten! | |
| Für diese Person war das der Sinn von "Bestiaire"! Das ärgert mich zwar | |
| nicht, aber keiner kann mich dazu zwingen, einen militanten Diskurs zu | |
| meinem Film zu bemühen. | |
| Wenn Sie nicht schockieren wollen: Warum zeigen Sie dann invalide Tiere? | |
| Wir haben einfach das gefilmt, was die Kamera eingefangen hat. Der einzige | |
| Kranich des Zooparks hat nur einen Flügel. Einige Tiere haben nur ein Horn. | |
| Jedes Tier hat seine Geschichte. Wenn ich eine Menschenmenge gefilmt hätte, | |
| hätte ich vielleicht ein rothaariges Kind, eine übergewichtige alte Dame, | |
| einen Mann, der laut schreit, oder einen Blinden gefilmt. Aber natürlich | |
| ist es schockierend, einen einflügeligen Kranich zu filmen, weil er | |
| natürlich ein trauriges Tier ist. | |
| Wie haben Sie in den Käfigen gedreht? | |
| Wir mussten uns überlegen, wie wir die Käfige und Gitter in den Film | |
| einbringen. Den Tieren haben wir uns strikt nach den | |
| Sicherheitsvorschriften genähert. Dadurch sind die Käfige zu einer Art | |
| ästhetischem Motiv geworden. Wir hatten nicht die Wahl, und so ist dieser | |
| Eindruck eines "Gefängnisses" eher zufällig entstanden. | |
| Wie verlief die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des Parc Safari? | |
| Ich hatte dort bereits eine Szene für meinen Spielfilm "Curling" gedreht, | |
| also kannten sie mich. Der Zoopark hatte das Recht auf Änderungen beim | |
| Schnitt. Ich glaube, dass die Leitung und der Anwalt des Zoos den Film | |
| nicht als sehr schmeichelhaft empfinden, aber auch nicht enttäuscht davon | |
| sind. Sie werden jedenfalls nicht gegen ihn vorgehen. | |
| Was ist für Sie der Unterschied zwischen einem Dokumentar- und einem | |
| Spielfilm? | |
| Der Dokumentarfilm existiert nicht, außer vielleicht bei | |
| Überwachungskameras im Supermarkt. Ansonsten steckt hinter all dem, was man | |
| "Dokumentarfilm" nennt, ein Regisseur, der Entscheidungen trifft, ein | |
| Cutter, der den Rhythmus bestimmt, und ein Tonmeister. Für mich sind auch | |
| die Filme von James Benning keine Dokumentarfilme. | |
| 10 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Kira Taszman | |
| ## TAGS | |
| Dokumentarfilm | |
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