# taz.de -- Regisseur Christian Petzold über "Barbara": "Ich wollte, dass die … | |
> Der Regisseur Christian Petzold über Heimweh, Krankenhäuser in der DDR | |
> und die Bedeutung von Make-up in seinem neuen Film "Barbara", der im | |
> Wettbewerb läuft. | |
Bild: So bunt war es in der DDR: Christian Petzold hat bei "Barbara" den Farbfi… | |
taz: Herr Petzold, "Barbara" handelt von einer Ärztin in der DDR, die einen | |
Ausreiseantrag gestellt hat und deshalb in ein Provinzkrankenhaus versetzt | |
wurde. Wie sind Sie auf diesen Stoff gekommen? | |
Christian Petzold: Fast zehn Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal mit | |
dem Gedanken gespielt habe. Ein Buch von Hermann Broch hat mir sehr | |
gefallen, eine Novelle namens "Barbara", da gehts um eine kommunistische | |
Widerstandskämpferin, die in einem Krankenhaus arbeitet, sich in einen Arzt | |
verliebt und der sich in sie, aber sie muss weiterziehen und stirbt. Die | |
Zeit, die Broch beschreibt, das war Ende der zwanziger Jahre, es gab also | |
schon SA-Horden, es gab im deutschen Justiz- und Exekutivapparat schon | |
Kommunistenjäger, es gab schon Morde. Doch dieses Milieu konnte ich mir | |
filmisch nicht vorstellen. Ich hatte keine Bilder dazu im Kopf. | |
Und wie kommt es, dass Sie die Geschichte in die DDR und ins Jahr 1980 | |
verlegt haben? | |
2006 habe ich einen Arzt aus Fürstenwalde kennengelernt, der erzählte mir | |
von den Ausreiseanträgen, die einige seiner Kollegen gestellt hatten. Die | |
Männer wurden in Erziehungsmaßnahmen gesteckt, um sie zu demütigen, und | |
später mussten sie als Militärärzte arbeiten. Die Frauen wurden in | |
Provinzkrankenhäuser versetzt, in eine Art Exil. Und da kam mir die | |
"Barbara"-Geschichte wieder in den Sinn, zumal mich der Osten immer | |
interessiert hat, meine Eltern stammen von dort. Das tiefste Gefühl meiner | |
Eltern war Heimweh nach dem Osten. | |
Ihre Eltern stammen aus der Gegend in Mecklenburg-Vorpommern, in der der | |
Film spielt? | |
Nein, das nicht, das hätte ich nicht geschafft, das wäre zu nah gewesen. | |
Als ich zur Filmakademie kam, wollte ich, dass mein allererster Film an den | |
Sehnsuchtsorten meiner Jugend spielt, an den Originalorten, am Stromkasten, | |
an der Autobahnraststätte, an der Autobahnbrücke, am Park, in der | |
Stadtbücherei. Doch diese Orte hatten ihren Zauber verloren, sobald ich | |
dort mit der Kamera stand. Erinnerungsorte kann man nicht filmen. Und die | |
Erinnerungsorte meiner Eltern sind natürlich auch meine eigenen, weil wir | |
immer wieder in die DDR gefahren sind. Ich kenne diese Orte in- und | |
auswendig. Ich war als Junge auch in DDR-Krankenhäusern, wenn ich mich mal | |
verletzt hatte. | |
Ein Krankenhaus ist ein Ort gesteigerter Intensität, weil es um Fragen von | |
Leben und Tod geht. In Arztserien wie "Emergency Room" wird das wieder und | |
wieder durchgespielt. Hat Sie das gereizt? | |
Ja, natürlich. Meine Kinder haben immer "Doctors Diary" geschaut, die Serie | |
fand ich auch ziemlich lustig. "Emergency Room" kenne ich auch, aber die | |
Mutter aller Krankenhausserien ist "Das Krankenhaus am Rande der Stadt", | |
eine tschechische Serie, die auch im Westen populär war. Von der haben sich | |
die Amerikaner alles abgeguckt. Da gehts meistens darum, dass über offenen | |
Bauchdecken irgendwelche Dates gemacht werden. Das wollte ich nicht. | |
Außerdem hatten die DDR-Krankenhäuser - anders als die Westkrankenhäuser - | |
nicht diesen brutalen Druck. Es gab Bibliotheken, Lesekreise, | |
Fußballmannschaften, Segelvereine. Es war viel ruhiger. Die | |
Krankenschwestern, die uns beraten haben, hatten Tränen in den Augen, als | |
sie sich an diese Zeit erinnerten. Man kriegt das Gefühl, dort hatte man | |
Zeit, gesund zu werden. Bei uns ist es eher eine Fabrik. | |
Ich hatte den Eindruck, dass Sie in "Barbara" mit dem Zeit- und dem | |
Lokalkolorit recht sparsam umgehen. | |
Wir sind bis in den letzten Millimeter präzise, jeder Minigegenstand ist | |
richtig, die Röntgenbilder sind richtig, die Stoffe sind richtig. Aber wir | |
dürfen die Arbeit, die wir geleistet haben, nicht ausstellen. Man sieht zum | |
Beispiel keine Karawanen von Oldtimern, das hasse ich wie die Pest. Ich | |
will Lebensräume haben, das heißt, die Sachen müssen angefasst worden sein. | |
Kade Gruber, der Szenenbildner, und seine Gruppe bauen das zwei Monate vor | |
Drehbeginn fertig, damit die Schauspieler die Räume und Gegenstände zu | |
ihren eigenen machen können. Aus diesem Glas haben sie wirklich getrunken, | |
in dem Fotoapparat, da ist wirklich ein Film drin, und das Auto, das fahren | |
sie wirklich alleine. | |
Sie haben im Sommer gedreht, wie schon oft zuvor. Warum? | |
Weil ich wollte, dass die DDR Farben hat. Ich war jedes Jahr in der DDR, | |
ich habe Erinnerungen an ein farbiges Land. Ich wollte unbedingt Mitte | |
August anfangen und bis Oktober drehen, weil in diesem Zeitraum die | |
Farbigkeit des beginnenden Herbstes da ist, mit den leichten Brauntönen. | |
Und nachdem ich beim letzten Film mit digitalem Material gearbeitet hatte, | |
habe ich mich jetzt wieder für Kodak und 35 Millimeter entschieden. Die | |
Farbpalette ist so menschlich. | |
Einmal geht Barbara in einen Wald, um ihren Geliebten aus Westdeutschland | |
zu treffen. Nina Hoss trägt in dieser Sequenz einen unglaublich blauen | |
Lidschatten. Ist sie da nicht ein bisschen zu glamourös? | |
Nein. Wenn sie zu diesem Typ rausfährt, will sie - so sagt sich Nina das - | |
aussehen, "als ob ich zum Tangotanzen fahre". Deswegen wurde gekloppt mit | |
dem Make-up. Wenn sie auf ihre Frisur, auf ihr Make-up und ihre langen | |
Wimpern verzichtet hätte, wäre das für die Figur eine Niederlage angesichts | |
des Systems gewesen. | |
Mit ihrer Anmutung wehrt sie sich gegen die Zumutung des DDR-Systems? | |
Genau. Die Assistenzärztin, die von Christina Hecke gespielt wird, die hat | |
das alles nicht. Sie ist eine sehr schöne Frau, aber sie sagt: "Das ist | |
doch alles diese Westscheiße, diese Tussikacke." Im protestantischen und | |
preußischen Osten wehrte man sich gegen Luxus und Verschwendung, und | |
dagegen wehrt sich Barbara - mit Dunhill-Zigaretten und Seidenunterwäsche … | |
… die sie von ihrem Geliebten aus dem Westen bekommt. Es ist nichts Neues, | |
dass in Ihren Filmen die Gefühle und materiellen Vorteile ineinander | |
verschränkt werden. Es gibt keine Gefühle, die nicht zu verwerten wären. | |
Ja, aber sie dürfen auch verschwendet werden! Barbara glaubt, dass sie in | |
Westdeutschland die tiefen und wahren und leichten Gefühle findet, dass sie | |
sich dort verschwenden kann. Denn der Osten ist für sie zu vernünftig. Wie | |
Biermann singt: "Bei uns ist Ordnung groß, wie bei den sieben Zwergen." | |
Barbara will tanzen, sie will Seide, Schweiß, Verschwendung, das ist für | |
sie der Westen. Und dann sagt ihr Geliebter zu ihr: "Wenn du im Westen | |
bist, kannst du ausschlafen. Du brauchst nicht mehr arbeiten." Sie hört | |
diesen Satz im Hotelbett, nach dem Schnitt sitzt sie in einem Schienenbus | |
und guckt aus dem Fenster. Und in ihrem Gesicht arbeitet irgendwas, wir | |
wissen nicht, was es ist. | |
11 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Christian Petzold | |
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