# taz.de -- Regisseur Klaus Lemke über die Berlinale: "Berlin hat gestunken" | |
> Klaus Lemke hat einen neuen Film gedreht: "Berlin für Helden". Die | |
> Berlinale hat ihn verschmäht, das nervt Lemke. Überhaupt hält er die | |
> Stadt für überbewertet. | |
Bild: Hässlich und kalt: Lemke will der Berlinale zur Eröffnung den nackten H… | |
taz: Herr Lemke, fällt Ihnen nichts auf? | |
Klaus Lemke: Nee. Was denn? | |
Sie sind bald der letzte Regisseur, der nicht in Berlin wohnt. | |
Dominik Graf ist auch noch in München. | |
Treffen Sie den manchmal? | |
In München nie. In Spanien mal, zufällig. Vor drei oder vier Jahren. | |
Worüber haben Sie geredet? | |
Dass die neuen US-Serien in kürzester Zeit die ganze deutsche Film-Folklore | |
wegwischen werden. Weil wir nie mit der amerikanischen Gier nach fieser | |
Authentizität im Film werden mithalten können. Graf hat es dann doch | |
geschafft mit "Im Angesicht des Verbrechens". | |
Und Sie, wollen Sie keine Serie drehen? | |
Ich habe noch keinen Partner gefunden für meine erste Serie, "Jesus Brando. | |
Eine Geschichte aus der Hölle". Ein deutscher Banker, ein Bandit, auf | |
Raubzug durch die Karibik. Wo er zum Voodoo-Gott mutiert. Das will jeder | |
sehen, aber niemand machen. | |
Welche US-Serien haben es Ihnen besonders angetan? | |
"Dexter". Finde ich das Größte überhaupt. "Breaking Bad" - Bombe! Genau wie | |
die "Sopranos". Genial. Zuerst ist man fasziniert. Und dann kriegt man | |
plötzlich einen Riesenschreck, was das eigentlich heißt, wie sich das | |
anfühlen muss, in der Mafia zu sein. Die Langeweile, die Hierarchie. Jeder | |
das Schicksal des anderen, unausweichlich. Sartre! Die moderne Welt, | |
berauschend und erschreckend zugleich. Das ist auch das Gefühl, das am | |
besten meinen neuen Film "Berlin für Helden" beschreibt. | |
Über den sagen Sie, er werde "Rocker für Berlin". Eine hohe Bürde: "Rocker" | |
gilt heute noch, nach genau 40 Jahren, als Ihr größtes Werk. | |
"Rocker" gehört zu den besten deutschen Filmen nach dem Krieg. Der wird | |
auch in hundert Jahren noch strahlen, während alles andere, diese ganze | |
akademische Scheiße, längst verrottet ist. | |
Warum überhaupt auf einmal Berlin, das sie früher eine "Stadt für verwirrte | |
Söhne und verspannte Töchter" nannten? | |
Ich konnte Berlin wirklich nicht ausstehen. Immer wenn ich da war, hat | |
Berlin gestunken, es war dreckig. Und dann diese unerträgliche House-Musik | |
überall. Musik für Leute, die allein gelassen werden wollen mit dem, was | |
sie nicht haben. Außerdem habe ich vorher zwei Filme in Berlin gedreht, die | |
absolute Pleiten waren und die ich nie wieder sehen will. Ich hatte nie ein | |
gutes Verhältnis zu dieser Stadt. | |
Aber dann? | |
Ich bin letzten Februar mal paar Tage rübergefahren. Es war ganz hässlich | |
und kalt. Mein Apartment roch nach DDR. Und dann lern' ich diesen kleinen | |
Italiener, Barotti, kennen und fange an, mich für den zu interessieren. | |
Daraus baute sich dann der Film auf. Ganz langsam, immer noch mit diesem | |
Hass, den brech ich jetzt gleich ab. Und plötzlich kommt dieser Moment, in | |
dem diese Stadt gegen meinen Willen in mich reingeht. | |
Wie das? | |
Da war was von Barcelona von vor dreißig Jahren, als da noch alles kaputt | |
und kriminell war. Als die Stadt noch lebte. In Berlin erlebe ich das nun | |
wieder: alles kaputt, alles kriminell, alles auf Drogen. Das hat mich | |
gepackt. Da ging mir auf, dass hier alles wissentlich in der Katastrophe | |
endet. Man weiß, dass die Band, das Filmprojekt, dass das alles nichts | |
wird. Trotzdem denken die Leute nicht, sie retten sich die letzten drei | |
Tage die Miete für den nächsten Monat zusammen - nein, sie tun noch einen | |
drauf mit den Drogen. Es gibt keine Erlösung. Das ist das, was eine moderne | |
Großstadt ausmacht. | |
Thematisch ist "Berlin für Helden" ein Lemke-Klassiker. Junge läuft Mädchen | |
nach, bis sie ihm zur Obsession wird. | |
Es geht um explosive Liebe. Und um Berlin. Das gefährliche Potenzial, von | |
einem Tag auf den anderen alles richtig machen zu wollen. | |
Aber natürlich geht alles schief. | |
Man kriegt immer mehr in die Fresse im Leben als Küsse im Dunkeln. | |
Am Donnerstag startet die "Berlinale". "Berlin für Helden" ist nicht dabei. | |
Wie alle meine Filme seit sieben Jahren. | |
Enttäuscht? | |
Überhaupt nicht. Stell dir mal vor, ich wär angenommen worden und hätte | |
mich jetzt doch ein bisschen nett aufführen müssen. Dann könnte ich mich | |
nicht hinstellen und "Kosslick raus" skandieren. | |
Wie bitte? | |
Ich mach da die Hölle los! Ich sag dir, die Zeit ist reif. Die Leute haben | |
die Fresse voll von diesem Obrigkeitskino. Occupy Berlin! | |
Ihr Lebensfeind ist der staatlich subventionierte Film. | |
Es ist genug Lebenszeit vergeudet worden mit deutschen Filmen. Es ist | |
einfach nur noch tot. Ein Millionengrab. Die Leute drehen nur noch Filme, | |
damit sie nicht mit ihren Frauen zu Hause sitzen müssen. | |
Was ist das Problem mit Kosslick? | |
Persönlich? Gar keins. Ich bin ja mit dem befreundet. Der hat halt ein | |
großes Interesse an Kochfilmen, der redet auch über nichts anderes als | |
übers Kochen. Kosslick kann eben unheimlich gut mit Stars umgehen, das ist | |
das, was die Berlinale braucht. Einen, der dafür sorgt, dass Richard Gere | |
den richtigen Wein kriegt. Aber wie gesagt: Bei den "Helden" hört die | |
Freundschaft auf - für den Film geh ich auf die Matratzen! | |
Ist die Berlinale künstlerisch am Ende? | |
Die Berlinale ist ein Kindergarten geworden. Ein Kindergarten auf Speed. | |
Und trotzdem gibt's nur übersubventionierte Film-Folklore, so vital wie ein | |
verbeamtetes Rundfunkorchester. | |
Herr Lemke, wollen Sie sonst noch jemanden grüßen? | |
Ja, meine guten Freunde von der Filmförderungsanstalt. Auch für die zum | |
allerletzten Mal in diesem Jahrhundert: Die Kraft eines Films hat nichts | |
mit Kohle zu tun. Subventionsleichen wie jetzt "Zettl" wären vielleicht | |
erträglich geworden mit einem Drittel des Budgets. | |
Vor zwei Jahren sorgten Sie auf dem Filmfest Hamburg mit dem Manifest | |
"Papas Staatskino ist tot!" für Furore. Wie hält man das durch, all die | |
Jahre im Gegenstrom? | |
Reiner Sport. So muss ich nicht dauernd über meine Filme reden. Mir macht | |
es nichts, weiter den Bad Boy zu spielen, das steht einem im Alter viel | |
besser. | |
9 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Florian Merkel | |
## TAGS | |
Deutscher Film | |
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