| # taz.de -- Regisseur Benoît Jacquot über Versaille: "Ein Film ist kein Gesch… | |
| > Der Regisseur des Films "Les Adieux à la reine", Benoît Jacquot, über | |
| > sein Interesse für Frauenfiguren, goldene Salons und die erotisierende | |
| > Wirkung von Panik. | |
| Bild: Drehen in Versaille? 20.000 Euro am Tag. | |
| taz: Herr Jacquot, wenn man einen Film dreht, der in der Vergangenheit | |
| spielt, weiß man, was geschehen wird, während die handelnden Figuren dies | |
| nicht wissen können. Wie gehen Sie als Regisseur damit um? | |
| Benoît Jacquot: Der Zuschauer vergisst idealerweise alles, was er über den | |
| weiteren Verlauf der Ereignisse weiß, und ist in der Lage, mit den Figuren | |
| an deren Gegenwart teilzuhaben. | |
| Wie erreichen Sie das? | |
| Ich denke zum Beispiel nie daran, dass Marie Antoinette vier Jahre nach | |
| dem, was wir im Film sehen, enthauptet werden wird. Ich weiß es zwar, aber | |
| ich will es nicht wissen. Und ich will nicht, dass sie es weiß. Deshalb war | |
| eine meiner allerersten Regieanweisungen an Diane Kruger: Vergiss, dass du | |
| vier Jahre später sterben wirst. | |
| Der Film legt viel Wert darauf zu zeigen, wie Informationen zirkulieren, in | |
| Gestalt von Gerüchten, Lügen, Nachrichten. Die Menschen am Hof von | |
| Versailles sind mittendrin im Geschehen, aber sie haben wenig Ahnung von | |
| der Revolution. | |
| Wenn man in einem Geschehen drinsteckt, hinkt man ihm zugleich immer ein | |
| Stück hinterher, selbst heute, Internet hin oder her. Und diese Verspätung | |
| habe ich in Szene zu setzen versucht, über die Figur der jungen Frau, die | |
| nur ein Zehntel von dem erfasst, was vor sich geht. | |
| Aber sie tut alles, um mehr in Erfahrung zu bringen. | |
| Ja, weil ihr Leben auf dem Spiel steht. Ihre ganze Identität hängt ja davon | |
| ab, was mit der Königin geschieht. | |
| Diese junge Frau, Sidonie, die Vorleserin der Königin, gehört dem Hof nicht | |
| an, und zugleich hängt sie von ihm ab. | |
| Das ist die Ontologie des Dienstboten, sehr brechtisch, wenn Sie so wollen | |
| - der Film ist ja sehr brechtisch. | |
| Was sich im Juli 1789 in Paris zuträgt, lassen Sie außen vor. War das eine | |
| bewusste Entscheidung? | |
| Ja, es geht um diese abgeschlossene Welt; außer ganz am Ende soll sich | |
| niemand jenseits der Mauern von Versailles bewegen. | |
| Warum war Ihnen das wichtig? | |
| Weil es der dramatischen Zuspitzung dient. Ein Film ist schließlich kein | |
| Geschichtsunterricht und kein politisches Essay, sondern eine Erzählung, | |
| die versucht, einen spezifischen Zustand, einen Ort, eine Geistesverfassung | |
| greifbar und anschaulich zu machen. Für mich war diese Konzentration auf | |
| den Ort wichtig, die Panik, die sich nach und nach ausbreitet, wie bei | |
| einem Schiffbruch, und die alle Empfindungen, alle Gefühle und Gedanken | |
| beschleunigt und erotisiert. Alle Beziehungen, die vorher verborgen | |
| blieben, laden sich jetzt elektrisch auf. | |
| Ich habe kürzlich Ihren Film "Sade" gesehen … | |
| Ach ja? Aber der ist viel weniger gelungen! | |
| Warum sagen Sie das? | |
| Weil ich in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht habe. "Sade" ist ein | |
| Film, der auf dem falschen Fuß tanzt. Denn die Hauptfigur ist Sade, aber | |
| ich interessiere mich nicht sehr für Filme, in deren Mittelpunkt ein Mann | |
| steht. Ich interessiere mich viel mehr für die jungen Frauenfiguren. "Sade" | |
| hat deshalb etwas von einer Glocke, die nicht richtig klingt. | |
| Aber es gibt auch eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen "Sade" und "Les | |
| Adieux à la reine". | |
| Sicher, die Epoche, die Interieurs … | |
| … der abgeschlossene Ort, die erotische Aufladung … | |
| Das stimmt. Wobei: "Sade" spielt vier Jahre später als "Les Adieux à la | |
| reine", und die Welt hat sich in dieser Zeit verändert, sie ist nicht mehr | |
| dieselbe. Es ist eine sehr reiche, spannende Zeit. | |
| Wie gehen Sie während der Dreharbeiten denn vor, um diese Zeit zu | |
| rekonstruieren? | |
| Indem ich von den Figuren und den Szenen ausgehe. Ich will die Kulissen mit | |
| den Möbeln nicht vorher haben und mir erst dann überlegen, wie ich die | |
| Szene gestalte, sondern umgekehrt, das heißt so, dass es sich möglichst gut | |
| an die Szene anschmiegt, eher wie ein Hintergrund, weniger wie ein Dekor. | |
| Außer in den Szenen, in denen das Dekor eine große Rolle spielt. Marie | |
| Antoinette hielt sich oft in einem Raum namens "Goldener Salon" auf, der | |
| existiert heute nicht mehr so wie 1789, also mussten wir ihn uns | |
| vorstellen. Wir haben dazu Paravents mit einer Goldschicht überzogen, | |
| sodass das Licht, das sie reflektierten, golden schimmerte. | |
| Sie haben zum Teil in Versailles gedreht. War das schwierig? | |
| Es war nicht einfach, weil es sehr teuer ist. | |
| Was heißt teuer? | |
| 20.000 Euro am Tag. Ich konnte immer montags drehen, da ist das Schloss | |
| fürs Publikum nicht zugänglich, und nachts. An den anderen Tagen haben wir | |
| in benachbarten Schlössern gedreht; dort hatten wir Säle nachgebaut. Wobei | |
| - die Galerie des glaces und das Trianon, das ging nur in Versailles. Die | |
| Dienstbotentrakte haben wir in den anderen Schlössern gefilmt. | |
| 14 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
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