# taz.de -- Film „Leb wohl, meine Königin!“: Eine Agentin im Ancien Régime | |
> Der Filmemacher Benoît Jacquot blickt mit den Augen einer Zofe auf die | |
> Französische Revolution: „Leb wohl, meine Königin!“ konserviert eine | |
> Welt, die 1789 endete. | |
Bild: Jacquots Schwerpunkt liegt auf dem sich kreuzenden Begehren der Frauen. | |
Erinnert sich noch jemand an die TV-Serie „Time-Tunnel“? Darin verschlug es | |
zwei amerikanische Wissenschaftler, die an dem Geheimprojekt einer | |
Zeitmaschine beteiligt waren, quer durch die Menschheitsgeschichte. Der | |
Charme der Serie bestand darin, dass sie immer genau dort landeten, wo | |
gerade das hölzerne Pferd in die Stadt Troja hineingeschoben wurde oder der | |
Eisberg die Titanic rammte. | |
Die Uhr stand in jeder Episode auf 8.30 an 9/11, wie man heute sagen würde. | |
So simpel das Konzept war, kann man die Macher doch für den Mut bewundern, | |
wie hier das gängige Verfahren der Fiktionalisierung historischer Stoffe | |
bis zur Lächerlichkeit bloßgelegt wurde: Man schleust Agentenfiguren an | |
Brennpunkte der Geschichte und schildert durch ihre Augen zurückliegende | |
Ereignisse live und hautnah. | |
Als eine solche „Agentin“ ist denn auch sofort die Zofe Sidonie (Léa | |
Seydoux) zu erkennen, wie sie in Benoît Jacquots „Leb wohl, meine Königin!�… | |
zu Beginn die Augen öffnet. Das eingeblendete Datum ist der 14. Juli 1789, | |
und der Ort, an dem Sidonie erwacht, ist Versailles. | |
Noch ist die Bastille nicht gestürmt, noch beschränken sich die Plagen, mit | |
denen sich Sidonie auseinandersetzen muss, auf Mückenstiche und | |
Hofintrigen. Während die Kamera der jungen Frau auf ihren Gängen durch das | |
Schlosslabyrinth folgt, registriert sie allerdings eine flirrende Unruhe, | |
von der der ganze Hofstaat erfasst scheint. Offensichtlich ist es kein | |
Sommer wie jeder andere. | |
Darin liegt die starke Seite von Benoît Jacquots Film: Er nutzt die Figur | |
Sidonie regelrecht als Kamera-Auge und bietet so dem Zuschauer keinen | |
faktenorientierten Ablauf, sondern ein atmosphärisches Panorama. Es ist ein | |
schweifender, ein suchender und sich verirrender Einblick, den man durch | |
Sidonie bekommt; nicht nur, dass sie über die Geschehnisse in Paris nur | |
ungenügend informiert ist, sie hat auch keinen Begriff von dem, was kommen | |
wird. Für sie, im Unterschied zu uns, markiert der 14. Juli keine Grenze, | |
sondern ist Teil eines Kontinuums. | |
## Verzückt vom Rosenwasser | |
Und dieses Kontinuum ist für Sidonie von einer Figur bestimmt: der der | |
Königin. Sidonie ist Vorleserin von Marie Antoinette, die ersten Sorgen | |
dieses Morgens gelten der richtigen Auswahl der Lektüre. Marivaux könnte | |
sich als zu aufregend erweisen, es sollte besser etwas Affirmatives und | |
weniger Kritisches sein. Als Sidonie endlich in die Gemächer der Königin | |
(Diane Kruger) vordringt, ist deren Interesse an Lektüre nicht besonders | |
groß. Dafür nimmt sie sich in fast rührender Form Sidonies Mückenstichen | |
an, indem sie sie mit edlem Rosenwasser einreibt. Sidonie ist verzückt. | |
Jacquot folgt der Romanvorlage von Chantal Thomas; er versucht in seinem | |
Film eine Rekonstruktion im Wortsinne: Er setzt vor der Kamera eine Welt | |
zusammen, wie es sie nach 1789 nicht mehr gegeben hat. Jedoch nicht als | |
üppige Kostüminszenierung, sondern als pointillistische Impression aus dem | |
Blickwinkel einer schwärmerischen Verehrerin. In dieser geschlossenen | |
Weltsicht steht die Nachricht über den Sturm der Bastille weniger im | |
Vordergrund als das, was Sidonie vom Liebesdrama zwischen Marie Antoinette | |
und ihrer Favoritin Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen) beobachtet. | |
Wie überhaupt die Königin, der Diane Kruger eine leicht schrille und eher | |
hohle Launenhaftigkeit verleiht, für die junge Kammerzofe als absolutes | |
Idol erscheint. Wobei Jacquot – anders als vor ein paar Jahren Sofia | |
Coppola in ihrem „Marie Antoinette“ – nicht die Gleichsetzung mit der | |
heutigen Popkultur bemüht, sondern durchaus hervorhebt, dass die Art von | |
Unterwerfung, die Sidonie für ihr Idol zu leisten bereit ist, von einem | |
Untertanengeist herrührt, der mit heutigem Fantum wenig zu tun hat. Leider | |
erscheint Sidonie als Person zu blass, als dass daraus ein spannendes Drama | |
würde; sie bleibt gewissermaßen stets die eingeschleuste „Agentin“, mehr | |
Funktion als Figur. | |
Obwohl Jacquot seinen Schwerpunkt auf das sich kreuzende Begehren der | |
Frauen legt, gelingen ihm die Massenszenen am besten. Wenn sich die Kamera | |
an Sidonies Nacken heftet und sich durch die Menschenmengen drängt, bekommt | |
„Leb wohl, meine Königin!“ eine Dringlichkeit, die den intimen Szenen oft | |
fehlt. | |
Da kursieren Gerüchte über Namenslisten, deren Köpfe rollen sollen, es | |
verbreiten sich Hysterien und Fluchtpläne. Einzelne machen sich davon, | |
andere packen lange die Koffer und können sich nicht entschließen zu gehen. | |
Auch der Zuschauer fühlt einen Drang zum Aufbruch: Eigentlich möchte man | |
doch etwas von der Hauptaction der Revolution erleben. | |
## „Leb wohl, meine Königin!“. Regie: Benoît Jacquot. Mit Léa Seydoux, | |
Diane Kruger u. a. Frankreich/Spanien 2012, 100 Min. | |
31 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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