| # taz.de -- AU-Sekretär über Migration nach Europa: „Eine Brutstätte für … | |
| > Afrikanische Staaten fühlen sich beim EU-Afrika-Gipfel benachteiligt. | |
| > Olawale Maiyegun, Sekretär der Afrikanischen Union, über eine schwierige | |
| > Partnerschaft. | |
| Bild: Im Mittelmeer vor Libyen gerettet: ein Mann aus Mali | |
| taz: Herr Maiyegun, vor einem Jahr haben die EU und Afrika sich auf | |
| gemeinsame Maßnahmen gegen irreguläre Migration und das Sterben im | |
| Mittelmeer verständigt. Seitdem sind die Todeszahlen immer weiter | |
| gestiegen. Warum? | |
| Olawale Maiyegun: Es wurde tatsächlich nicht viel erreicht in diesem einen | |
| Jahr. Man muss allerdings realistisch sein: Der Prozess geht gerade erst | |
| los. Wenn es eine Flüchtlingskrise gibt und 12 Monate später laufen die | |
| Projekte langsam an, die die Ursachen der Flucht bekämpfen sollen, dann | |
| kann man sich leicht ausrechnen, dass es sie noch keine Wirkung haben. Es | |
| gibt für dieses Problem keine schnelle Lösung. Wie man das den Wählern | |
| erklärt, ist dann eine andere Frage. | |
| Auf dem Gipfel von 60 afrikanischen und europäischen Staaten am 8. und 9. | |
| Februar in Valletta haben Sie sich darüber beklagt, dass es kein | |
| partnerschaftliches Verhältnis gibt. Weshalb? | |
| Es fehlt eine angemessene Beteiligung der Afrikaner. Es werden | |
| Entscheidungen ohne uns getroffen. Verträge werden an Institutionen und | |
| NGOs aus Europa vergeben, die sagen, sie kennen sich mit Afrika aus. | |
| Tatsächlich tun sie das oft nicht. Das ist ein sicherer Weg, um zu | |
| scheitern. Wir als Afrikanische Union sind bei der Verteilung der Mittel | |
| aus dem EU-Nothilfefonds für Afrika nicht dabei. Die AU-Kommission sollte | |
| Teil des Leitungsgremiums sein. Wir vertreten die Interessen des ganzen | |
| Kontinents. Deshalb sollte unsere Stimme Gewicht haben. Außerdem fehlen in | |
| dem Prozess 20 Staaten. Das ist kein legitimes Verfahren. Angola etwa wird | |
| sagen: Hey, wir gehören nicht dazu. Die Europäer haben sich einfach die | |
| herausgepickt, die ihnen wichtig erschienen. Aber wer sagt, dass die | |
| Lösungen, die wir brauchen, nicht den gesamten Kontinent umfassen müssten? | |
| Wenn Sie mehr mitreden könnten – was wären Ihre Anliegen? | |
| Zu Beginn des Valletta-Prozesses, Ende 2015, hieß es, dass es eine | |
| Partnerschaft ohne Bedingungen sein sollte. Dann kamen aber nach und nach | |
| alle Bedingungen wieder ins Spiel. Zum Beispiel der Gebrauch der | |
| Laissez-Passers, das sind Abschiebepapiere, die die EU einfach selbst | |
| ausstellt, wenn es keinen Pass gibt. Das ist für uns inakzeptabel und es | |
| verstößt gegen internationales Recht. Bislang ist die EU damit nicht | |
| durchgekommen, aber sie macht dies zur Bedingung für Diskussionen über Wege | |
| zu legaler Migration für Menschen aus Afrika nach Europa. | |
| Was sollte die EU tun, um in Afrika Fluchtursachen zu bekämpfen? | |
| Die USA haben Europa seinerzeit mit dem einem Marshallplan geholfen. Sie | |
| haben geholfen, einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen und Europas | |
| Exporten Zugang zum amerikanischen Markt gewährt. Heute betreibt die EU uns | |
| gegenüber Protektionismus. Sie will Handelsabkommen abschließen, die für | |
| uns tödlich sind. Wenn die EU wirklich etwas für uns wollte, dann müsste | |
| sie uns helfen, unseren gemeinsamen Binnenmarkt aufzubauen und Afrika | |
| Zugang zu Europas Märkten gewähren. | |
| 2014 haben wir beschlossen, auf dem gesamten Kontinent ab 2018 | |
| Freizügigkeit zu schaffen. Ein Deutscher hat es mit seinem Pass heute | |
| leichter, innerhalb Afrikas umherzureisen, als ein Afrikaner. Wir können | |
| Hilfe gut brauchen, um die die Institutionen aufzubauen, die Mobilität | |
| innerhalb Afrikas ermöglichen. Das wäre eine viel bessere Hilfe, als | |
| klassische Entwicklungsprojekte. | |
| Warum? | |
| Entwicklungszusammenarbeit gibt es jetzt seit 70 Jahren, ich arbeite seit | |
| 30 Jahren in dem Bereich. Gibt es ein Land, dass mit Entwicklungshilfe | |
| entwickelt wurde? Ich wüsste keines. Afrika hat enormes Potenzial, vor | |
| allem durch seine Jugend. Deren Fähigkeiten müssen besser entwickelt | |
| werden. Dazu gehört, dass sie sich frei innerhalb Afrikas bewegen und | |
| fortbilden kann. Wenn uns das gelingt, dann werden in 10, 15 Jahren die | |
| Europäer kommen, um bei uns Arbeitskräfte zu rekrutieren. | |
| Sie sind gegen Pläne, in Lagern in Afrika europäische Asylverfahren | |
| durchzuführen. Weshalb? | |
| Jeder weiß, was heute in Libyen geschieht. Was sollen Flüchtlinge tun, | |
| deren Anträge in solchen Zentren abgelehnt werden? Wer schützt ihre Rechte? | |
| Solche Zentren wären de facto Internierungslager. Sie wären eine Brutstätte | |
| für Extremismus und organisierte Kriminalität. Aber unsere europäischen | |
| Partner kommen immer wieder mit dieser Idee, sie geben ihr nur jedes Mal | |
| andere Namen. | |
| Die EU betont die Partnerschaft mit Afrika. Gibt es gemeinsame Interessen? | |
| Im Valletta-Prozess haben Afrika und Europa zu Beginn gemeinsam vier Ziele | |
| festgelegt: Hilfen für Wirtschaft, Resilienz, Migrationsmanagement und gute | |
| Regierungsführung. Die müssten nun gleichberechtigt verfolgt werden. Das | |
| geschieht aber nicht. Unsere europäischen Partner legen den Schwerpunkt | |
| klar auf das Migrationsmanagement. Worüber nicht geredet wird, ist, dass es | |
| 2016 über 100.000 freiwillige Rückkehrer aus Europa nach Afrika gab. | |
| Freiwillige Rückkehrer, keine Abschiebungen. Über 90 Prozent der | |
| Migrationsbewegungen von Afrikanern spielen sich innerhalb Afrikas ab. Die | |
| beste Abschreckung sind nicht Abschiebungen, sondern Bedingungen, dass die | |
| Menschen nicht den Kontinent verlassen müssen. Sie werden davon abgehalten, | |
| wenn sie bei uns Arbeit und Perspektive finden. Das ist der einzige Weg. | |
| 11 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Afrikanische Union | |
| Europäische Union | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo | |
| Afrika | |
| Mali | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schleuser | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hilfsprogramme für Afrika: Ein Kontinent wird neu entdeckt | |
| Die deutsche Regierung verkündet den „Compact mit Afrika“, den | |
| „Marshallplan mit Afrika“ und die „Initiative Pro! Afrika“. Was ist das? | |
| Kolumne Afrobeat: Die Rache der Söhne | |
| In Angola und im Kongo übertragen Oligarchen ihre unternehmerischen | |
| Erfolgsstorys auf die Politik. Eine neue Generation drängt an die Macht. | |
| Ökonom über Dekolonialisierung: „Afrika hat alles, um sich zu ernähren“ | |
| Der Senegalese Felwine Sarr über traditionelle Werte, demokratische | |
| Strukturen und wirtschaftliche Unabhängigkeit. | |
| Friedenskonferenz in Mali: Kein gutes Omen | |
| In Mali sollen 300 Teilnehmer über den Frieden reden. Doch die | |
| Tuareg-Gruppen wollen fernbleiben. Sie sind für die Stabilität im Norden | |
| unverzichtbar. | |
| EU-Afrika-Gipfel: „Schlechtes Vorbild“ | |
| Afrikanische Staaten fühlen sich von der EU in der Fluchtursachenbekämpfung | |
| übergangen. Ostafrika bringt neun Millionen Flüchtlinge unter. | |
| Flüchtlingsgipfel in Malta: Europa mauert | |
| Europäisch-afrikanische Missverständnisse prallen aufeinander: Die einen | |
| wollen weniger illegale Migration, die anderen mehr legale. | |
| Schleuserrouten nach Libyen: „Die Preise haben sich verdreifacht“ | |
| Auf dem Weg durch die Sahara nach Libyen meiden Schlepper die | |
| Wasserstellen, sagt Migrationsexpertin Marina Schramm. |