| # taz.de -- Kultursenator Klaus Lederer zum BER: „Das Ding muss fertig werden… | |
| > Kultursenator Lederer hat viele Baustellen: die Volksbühne, den | |
| > rot-rot-grünen Senat und jetzt ist er auch Mitglied im BER-Aufsichtsrat, | |
| > der am Dienstag tagt. | |
| Bild: Senator für Kultur und Europa: Klaus Lederer | |
| taz: Glückwunsch, Herr Lederer, Sie sitzen jetzt im wichtigsten Gremium der | |
| Stadt! | |
| Klaus Lederer: Der Senat ist tatsächlich wichtig. | |
| Wir meinten eigentlich den Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft. Am | |
| Dienstag hat der Senat entschieden, dass Sie als Kultursenator dort den Bau | |
| des BER mitkontrollieren sollen. | |
| Das ist doch nicht das wichtigste Gremium, aber ein wichtiges, ja! | |
| Immerhin geht es um die Kontrolle von Milliarden Euro. Der damalige | |
| Aufsichtsratschef Klaus Wowereit hätte wegen der Pannenserie fast seinen | |
| Posten als Regierungschef verloren. | |
| Der BER ist ein wichtiges Projekt, bei dem viele Dinge schiefgelaufen sind | |
| – nicht nur im operativen Geschäft, sondern auch bei Kontrolle und | |
| Aufsicht. Das steht fest. | |
| Worum geht es jetzt? | |
| Das Ding muss fertiggebaut werden, hoffentlich in den nächsten eineinhalb | |
| Jahren. Und der Aufsichtsrat muss Kontrolle über die Verwendung | |
| öffentlicher Gelder ausüben – und das muss eine politische Kontrolle sein. | |
| Dort müssen Menschen sitzen, die den Bürgern über die Verwendung | |
| öffentlicher Gelder Rechenschaft schuldig sind. | |
| Trauen Sie sich diese Kontrolle zu? | |
| Ja, und ich habe den Anspruch, das gut zu machen. Ich weiß, dass ich dafür | |
| viel arbeiten muss und dass es Zeit kostet. Wir müssen in der Koalition | |
| darüber reden, wie wir unsere Ressourcen so organisieren, dass auch alle | |
| Aufsichtsratsmitglieder wissen, was sie dort tun. Ich glaube aber auch, | |
| dass manche Leute eine falsche Vorstellung von dem haben, was in | |
| Aufsichtsräten passiert: Da kann man nicht bis ins Detail in die operative | |
| Arbeit der Geschäftsführung eingreifen. | |
| Dass Senatoren und keine Staatssekretäre in den Aufsichtsrat gehen – das | |
| wollte der Regierende Michael Müller (SPD), die Grünen waren klar dagegen. | |
| Ist das jetzt quasi das Zugeständnis an Müller, um nicht erneut einen | |
| Streit in der Koalition eskalieren zu lassen? | |
| Wir haben bereits im November über die Besetzung des Gremiums geredet, und | |
| es gab unterschiedliche Modelle: etwa das „Fachleute-Modell“, von dem ich | |
| aber nicht überzeugt bin. | |
| Blieb die Frage, ob Senatoren oder Staatssekretäre das Land Berlin | |
| vertreten sollen. | |
| Für die Staatssekretärlösung, wie sie die anderen Flughafeneigentümer | |
| Brandenburg und der Bund gewählt haben, spricht einiges: Die Möglichkeiten | |
| zur Vorbereitung sind bei ihnen größer als bei Senatsmitgliedern. Die | |
| Senatoren aber jetzt zurückzuziehen hätte auch als Zeichen der Flucht aus | |
| der Verantwortung interpretiert werden können. | |
| Also doch ein Zugeständnis? | |
| Es geht hier nicht um Zugeständnisse an den Regierenden, sondern um | |
| Aspekte, die auch ich abgewogen habe. Am Ende war ich für beide Lösungen | |
| offen. Es waren eher SPD und Grüne, die miteinander nicht zu einer Einigung | |
| kamen. Und es ist nicht meine Aufgabe, mich in diese Auseinandersetzung | |
| einzuklinken. | |
| Angeblich wurde in den Koalitionsgesprächen ja über alles Relevante | |
| gesprochen – aber nicht über den BER? | |
| Es wurde darüber gesprochen, aber zu lange kein Modus zur Lösung des | |
| Problems gefunden. Am Ende wurde die Zeit knapp. | |
| Das scheint ein allgemeines Problem von Rot-Rot-Grün zu sein. | |
| Das ist ein generelles Problem, ja. Ich habe eine Koalition mit diesen | |
| TV-Shows verglichen, in denen Leute in Containern oder im Dschungel sitzen | |
| und gemeinsam Aufgaben lösen müssen, damit jeder von ihnen am Ende | |
| erfolgreich sein kann. In der rot-rot-grünen Regierung hat noch nicht jeder | |
| die gemeinsame Verantwortung für das Gelingen verstanden. Wir verfallen | |
| noch zu oft in den schlechten, aber gewohnten und zum Teil auch sehr tief | |
| eingeübten Modus zurück, Probleme lösen zu wollen, indem man Ultimaten | |
| stellt oder über die Presse spielt. So werden | |
| Sieg-Niederlage-Konstellationen erzeugt, die dem Regierungspartner eine | |
| bestimmte Verhaltensweise abtrotzen sollen. | |
| Welches Bild gibt Rot-Rot-Grün nach außen ab? | |
| Es gibt viele einzelne Akteure, die versuchen, die zentralen | |
| Herausforderungen Stück für Stück abzuarbeiten. Schauen Sie auf die | |
| Bemühungen von Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die Turnhallen leer zu | |
| ziehen oder die Kältehilfeplätze aufzustocken. Das betrifft nicht nur die | |
| linken Senatsmitglieder. Aber all das passiert immer noch nur als Agieren | |
| der Einzelnen auf ihrem Feld. | |
| Hat die SPD Angst vor den Konservativen in der Stadt, vor der rechten | |
| Opposition im Parlament? | |
| Ich erlebe zumindest, dass vor allem in der SPD-Fraktion im | |
| Abgeordnetenhaus immer wieder der Drang besteht, der rechten Opposition | |
| nicht das Feld zu überlassen. Rot-Rot-Grün muss ein Projekt für die ganze | |
| Stadt sein – das teile ich. Daraus wird aber in Teilen der SPD der falsche | |
| Schluss gezogen, dass wir die Oppositionsstimmen in unserer Koalition auch | |
| noch selbst abbilden müssen. | |
| Sie sind der erste selbstständige Kultursenator seit zehn Jahren. Was ist | |
| Ihre wichtigste Aufgabe? | |
| Ich sehe meine Rolle darin, die Freiheit der Kunst gegen Angriffe zu | |
| verteidigen. Man muss da gar nicht in andere Länder blicken: Wenn die | |
| AfD-Politikerin Beatrix von Storch Berliner Theatermacher verklagt, weil | |
| ihr nicht gefällt, was die auf die Bühne bringen … | |
| … Sie meinen von Storchs Klage von vergangenem Jahr gegen die Schaubühne, | |
| weil sie in einem Stück negativ dargestellt worden sei … | |
| Genau. Da zeigt ja schon, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Mein | |
| Verständnis von Kunst ist auch, dass es sich nicht um Luxus handelt: Kunst | |
| ist Arbeit. Arbeit hat ihren Preis. Und der wird in unserer Gesellschaft | |
| über den Markt definiert. Leider haben wir gerade im Kulturbetrieb enorm | |
| viele prekär Beschäftigte, die permanent vor der Frage stehen, wie sie über | |
| die nächsten Monate kommen. Das ist nicht akzeptabel. | |
| Was wollen Sie tun? | |
| Wir brauchen Mindestgagen und -ausstellungshonorare. Wir müssen uns fragen, | |
| wie die Freie Szene gefördert werden kann. Wie kulturelle Infrastruktur | |
| bereitgestellt werden kann. Wie Arbeitsräume in einer Stadt gesichert | |
| werden können, in der es zunehmend schwerer wird, überhaupt Räume zu | |
| finden. | |
| Manche sagen: Existenznot macht erfinderisch! | |
| Das ist eine neoliberale Phrase. Ich halte das für zynisch! | |
| Haben Sie ausgerechnet, was die Umsetzung Ihrer Ideen kosten würde? | |
| Eigentlich wäre hier das bedingungslose Grundeinkommen die richtige | |
| Antwort – prekäre Lebensverhältnisse sind ja keine Besonderheit der | |
| Kulturszene. Aber was die Kultur betrifft: Wir haben natürlich kein | |
| Füllhorn, das wir endlos ausschütten können. Wir müssen Schwerpunkte | |
| setzen: So sollte es zum Beispiel für öffentliche Ausstellungen Honorare | |
| geben. Das halte ich für finanzierbar. Letztlich profitieren dann auch die | |
| großen kulturellen Leuchttürme, auf die alle schauen, von einer starken | |
| Freien Szene. | |
| Werden die Leuchttürme mit zu viel staatlicher Förderung bedacht? | |
| So würde ich die Debatte nie aufmachen. Ziel jeder Politik muss immer ein | |
| Mehr an Kultur sein, niemals ein Weniger. Deswegen mache ich bei diesem | |
| Gegeneinanderstellen auch nicht mit. Alles hat seine Berechtigung. Und | |
| auch in den großen Kulturbetrieben gibt es Prekarität. | |
| Sie wollen die Gagen der Intendanten offenlegen. | |
| Ja. Dort, wo öffentliche Mittel eingesetzt werden, besteht auch ein Recht | |
| der Öffentlichkeit, zu erfahren, in welchem Umfang und wie diese | |
| öffentlichen Mittel eingesetzt werden. Und wir wollen versuchen, mehr als | |
| bisher Frauen bei der Besetzung von Spitzenpositionen im kulturellen | |
| Bereich zu berücksichtigen und auch die Diversität der Gesellschaft dort | |
| zum Ausdruck zu bringen. | |
| Eine Frau als künftige Intendantin der Volksbühne? | |
| Die Entscheidung hat ja nun bereits mein Vorgänger getroffen. | |
| Tatsächlich wird Chris Dercon der Nachfolger von Intendant Frank Castorf – | |
| eine höchst umstrittene Personalie. Wie geht es da weiter? | |
| Ich rede mit allen, natürlich auch mit Herrn Dercon. Die Gespräche sind | |
| noch nicht abgeschlossen, und meine Vorbehalte sind bekannt. | |
| Sie haben Ihre Skepsis sehr früh publik gemacht – Mitte November, als der | |
| Koalitionsvertrag stand, Sie aber als Kultursenator noch nicht ernannt | |
| waren. | |
| Ich habe mich das erste Mal dazu schon viel früher geäußert – da hatte ich | |
| noch nicht mal die Idee, einmal Kultursenator zu werden. | |
| Aber als Sie dann designierter Kultursenator waren … | |
| … habe ich nur wiederholt, was ich vor der Wahl gesagt habe. Das ist das, | |
| was man von Politikern erwartet: dass sie in einer neuen Position nicht | |
| plötzlich alles, was sie früher gesagt haben, vergessen. | |
| Als Mitarbeiter würde ich von meinem neuen Chef erwarten, dass er erst mal | |
| mit mir statt über mich redet. | |
| Ich habe erst mal nichts anderes gesagt, als dass ich, der ich neu im Amt | |
| bin, mir alles, was passiert ist, noch mal anschauen werde und mit allen | |
| Beteiligten rede. | |
| Gibt es überhaupt eine Dialogbereitschaft? | |
| Es gibt einen Dialog. Wie gesagt, ich rede jetzt mit allen. | |
| Man hatte in der Debatte das Gefühl, dass Sie sich auch persönlich sehr | |
| stark mit der Volksbühne verbunden fühlen. Ist das ein Ausdruck von | |
| Ostidentität? | |
| Als Ossi, der mit Brecht und Heiner Müller was anfangen kann, habe ich | |
| schon in den achtziger Jahren in der Volksbühne gesessen. Das gehört zu | |
| meinen ganz persönlichen Erfahrungen. Aber meine Aufgabe als Kultursenator | |
| ist es nicht, bestimmte persönliche Präferenzen zu pflegen. Sondern | |
| kulturelle Infrastruktur zu sichern. | |
| Geht es darum auch bei der Volksbühne? | |
| Es steht mir nicht zu, ein künstlerisch-ästhetisches Werturteil über | |
| Intendanzen abzugeben. Ich frage nur, ob die Produktionsweise, die in | |
| einem Stadttheater wie der Volksbühne seit langen Jahren identitätsbildend | |
| und theaterprägend ist – das Zusammenwirken der Gewerke und Werkstätten, | |
| der Requisite, des Ensembles – zusammenpasst mit dem Modell, international | |
| Produktionen einzukaufen und den Theaterbetrieb Stück für Stück neu | |
| zusammenzustellen. Ob das beiden Seiten guttut. | |
| Kann ein Blick von außen nicht auch guttun und befreiend wirken? | |
| Absolut. Das bestreite ich nicht. Ich kritisiere ja auch nicht, dass jemand | |
| von außen kommt. Jedes Theater braucht Veränderung. Ich habe nie gesagt, | |
| dass man Wachs über die Volksbühne gießen und alles konservieren muss. Aber | |
| es geht nicht um die Frage, ob die Volksbühne so bleiben soll, wie sie ist. | |
| Hier geht es um die Frage zweier unterschiedlicher Produktionsweisen. Und | |
| ich weiß nicht, ob am Ende von dem, was ein Stadttheater ausmacht, etwas | |
| übrig bleibt. | |
| Sie sind auch für die Europapolitik zuständig. Was kann ein Kultursenator | |
| für Europa tun? | |
| Ich betrachte das im Kontext. Als Linker hält man ein Europa der | |
| Vaterländer eher für eine gruselige Vorstellung. Die derzeitige Entwicklung | |
| der EU zielt aber leider nicht darauf ab, Europa als gemeinsamen Raum von | |
| Menschenrechten, sozialer Sicherung und offenen Grenzen weiterzuentwickeln. | |
| Vielmehr wird die EU zu einer Abwehrgemeinschaft mit einer Zunahme des | |
| nationalen Egoismus, gar Rechtsextremismus. Die EU-Staaten geraten in eine | |
| Phase der Sprachlosigkeit. Was bleibt dann übrig an europäischem Diskurs? | |
| Der der Kunst- und Kulturschaffenden. Dem kulturellen Austausch kommt eine | |
| unglaublich hohe Bedeutung zu, wenn die Vorstellung von einem gemeinsamen | |
| sozialen und demokratischen Europa umgesetzt werden soll und nicht | |
| ethnische Homogenität und christlich-abendländische Leitkultur das zentrale | |
| Moment sein sollen. | |
| Die Gesellschaften vieler Länder, zum Beispiel der USA, sind so extrem | |
| gespalten, dass es kein Scharnier mehr für einen Dialog gibt. Können Sie | |
| sich vorstellen, dass sich die gesellschaftliche Spaltung auch in | |
| Deutschland so entwickelt? | |
| Ich habe erlebt, mit welcher Rasanz sich diese Spaltung in anderen Ländern | |
| vollzogen hat. Mir ist klar, dass das auch hier passieren kann, wenn wir | |
| nichts tun. Das ist kein besonders schöner Gedanke, aber bloß weil einem | |
| die Aussicht nicht gefällt, kann man ja nicht die Augen davor verschließen. | |
| Die erste Auslandsreise des Senats geht in Putins Russland, nach Moskau. | |
| Welche Botschaft geht davon aus? | |
| Ich habe in den letzten Jahren die Solidaritätsarbeit für Queers aus | |
| Russland mit unterstützt. Und meine Haltung zu den Entwicklungen in | |
| Russland ist bekannt, die ändere ich auch nicht. Die Reise dient letztlich | |
| der Reaktivierung der Städtepartnerschaft, was ich auch für richtig halte. | |
| Aber eine Städtepartnerschaft bedeutett nicht nur, sich gegenseitig zu | |
| feiern. Man muss sie auch nutzen, um die Entwicklung von | |
| Menschenrechtsstandards zu fördern. Wichtig bei dieser Reise wird das | |
| Knüpfen von Kontakten in den Bereichen Kultur und Wissenschaft sein. | |
| Deswegen begleitet auch jemand aus meiner Verwaltung den Regierenden | |
| Bürgermeister. | |
| Gehen Sie als Senator eigentlich noch ins Berghain? | |
| Ich war früher oft im Ostgut, im Berghain dann nicht mehr so oft. Das | |
| Berghain ist ein guter Club mit guter Musik, aber zu Hause fühle ich mich | |
| in anderen Clubs. | |
| 7 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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| Bert Schulz | |
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