# taz.de -- Iranisches Kino: Erst ein Riss, bald eine Katastrophe | |
> Unheimliches geschieht in Teheran. In Asghar Farhardis beklemmendem Film | |
> „The Salesman“ vermischen sich Realität und Theater. | |
Bild: Die Beziehung von Emad und Rana ist schwer belastet | |
Wenn die Tür offensteht in einem Film von Asghar Farhadi, dann ist das | |
suggestiv. Dann weiß man, es wird einer eintreten, auch wenn man ihn nicht | |
sieht, weil nämlich eine Auslassung folgt. Um das, was geschah, als die Tür | |
offenstand, um das, was sich in der Auslassung zutrug, wird es gehen. Nicht | |
wie im Krimi, der eine Tat, deren genaue Umstände man nicht kennt, bis zur | |
Auflösung rekonstruiert – und zwar der Tat, der Umstände, der Auflösung und | |
der Spannungen wegen, die bei alldem entstehen. | |
Darum, um diese Oberflächen, geht es bei dem Regisseur Asghar Farhadi | |
nicht. Aber sein Film ist dann doch der Struktur nach ganz wie im Krimi, | |
denn Farhadi ist ein Ertüftler von Plots, ein Meister des Dramas, dessen | |
Geschichten aktförmig sind mit Wirkungen, die sich Dreh- und Wendepunkten | |
verdanken. Es gibt in seinen Filmen Scharniere und Angeln, wie Türen sie | |
haben. | |
Theaterhaft ist „The Salesman“ – und will es sein. Die Türen sind sichtb… | |
und die Kulissen und die Angeln und Scharniere, an denen die Moral von der | |
Geschichte hängt, sind es gelegentlich auch. Wir sind am Beginn und | |
zwischendurch und auch am Ende sehr buchstäblich im Theater: Emad (Shahab | |
Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti) spielen die Hauptfiguren in Arthur | |
Millers unkaputtbarem Stück „Tod eines Handlungsreisenden“, das in einem | |
kleinen Theater in Teheran zur Aufführung kommt. | |
## Das Unglück mit der Kuh | |
Emad ist Lehrer bei Tage und Schauspieler abends. Mit seinen Schülern liest | |
er Gholam-Hossein Saedis Stück „Die Kuh“, das von einem Mann handelt, der | |
aus Unglück über den Verlust seiner Kuh selbst zur Kuh wird. Gemeinsam | |
sehen sie Dariush Mehrjuis klassische Verfilmung des Stücks, Emad schläft | |
dabei ein. | |
Stück für Stück kommen so Stücke zum Film, Motive werden gesetzt, | |
Anspielungen werden gemacht. Beinahe in Stücke geht bei Bauarbeiten anfangs | |
ein Haus, damit nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Emad und Rana müssen ihre | |
Wohnung verlassen, ein Mitglied des Theaterensembles verhilft ihnen zu | |
einem neuen Zuhause. | |
Die Vormieterin allerdings war, stellt sich bald heraus, eine | |
Prostituierte. Als einmal die Tür offensteht, dringt ein Freier, der vom | |
Auszug der Vormieterin nichts ahnt, in die Wohnung und bedrängt dann die | |
nichts ahnende Rana im Bad. Sie wird gestoßen oder stürzt, hat eine Wunde | |
am Kopf und ist tief verstört. | |
## Er wird zum Detektiv | |
Dies ist der Vorgang, um den sich fortan alles Weitere dreht. Emad weiß | |
nicht recht, wie er umgehen soll mit Ranas Weigerung, Anzeige gegen den | |
Unbekannten zu erstatten. Er will ihr helfen, stellt sie zur Rede, ist | |
ungehalten, ist um sie bemüht. Sie will das Bad nicht mehr betreten, hat | |
einen Zusammenbruch auf der Bühne. Er wird zum Detektiv, spürt den Täter | |
auf. | |
Im letzten Akt verdichtet sich der Film zu einem Kammerspiel in der leeren | |
alten Wohnung von Rana und Emad. Hier ist Farhadi, theaternah, ganz bei | |
sich selbst. Was als zunächst nur ganz äußerlicher Riss begann, droht nun | |
in seinen Weiterungen das bürgerliche Leben des Paars zu zerstören. In | |
ständigen leisen Verschiebungen von moralischem Druck treibt der Film die | |
Beziehungen an den Rand der Katastrophe – und darüber hinaus. Der Vorfall | |
im Bad wird zum Katalysator, in ihren Reaktionen darauf erkennen der Mann | |
und die Frau einander nicht wieder. Emad versteht seine Frau nicht, die | |
keine Rechenschaft will. Rana versteht ihren sonst so sanften Mann nicht, | |
der sich im Wunsch nach Vergeltung in eine beinahe blindwütige Rache | |
verrennt. | |
Farhadi situiert seinen Fall, seine Szenen einer sich beinahe auflösenden | |
Ehe, im Teheran der Gegenwart. Er balanciert am Rand des vom totalitären | |
Regime Erlaubten. Man staunt, dass der Zensor die ausdrückliche Erwähnung | |
des Zensors durchgehen ließ. Die Nuancen des moralischen Kräftespiels sind | |
für den mit den Traditions- und Konfliktlinien der iranischen Kultur nicht | |
Vertrauten manchmal sicher eher zu ahnen als genau zu bestimmen. | |
## Am Rande es Erlaubten | |
Die auffällige Vermeidung des Worts „Prostituierte“ verweist darauf, welche | |
Dinge aussprechbar sind, welche nicht. Die unbekleidete Rana im Bad ist gar | |
nicht, eine mehr oder minder nackte Figur aus Arthur Millers Stück auf der | |
Bühne nur mehr als bekleidet zu sehen – eine lachhafte Diskrepanz, mit der | |
einer der Darsteller bei der Probe kaum klarkommt. | |
Diese Dinge spiegelt „The Salesman“ zwischen seiner eigenen Geschichte und | |
dem amerikanischen Stück hin und zurück. Das ist gekonnt gemacht, ein | |
clever strukturiertes well-made play im Filmformat. | |
Es ist aber auch ein Kino, das von Überdeutlichkeiten nicht frei ist. Das | |
beginnt mit dem symbolischen Beinahe-Einsturz des Hauses. Es setzt sich | |
fort im ständigen Verweis zwischen Realität und Theater. Und es verkörpert | |
sich filmisch in einer redundanzreichen Schuss-Gegenschuss-Inszenierung, | |
die keine emotionale Regung dem Off überlässt. | |
2 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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