# taz.de -- Spielfilm „Ein Tag wie kein anderer“: Wenn das Leben verrutscht | |
> Immer Ärger mit dem Trauern: Der israelische Film „Ein Tag wie kein | |
> anderer“ von Asaph Polonsky nimmt den Tod auf sehr ernste Weise nicht | |
> ernst. | |
Bild: Trauern? Zooler (Tomer Kapon) und Eyal (Shai Avivi) finden ihren eigenen … | |
Man wird mitten in die Schwärze gestürzt. Kein Bild, nur ein Satz, in | |
weißer Schrift: Die Schiv’a ist vorbei. Die Schiv’a ist die traditionelle | |
jüdische Woche der Trauer, die Verwandte beim Tod eines Angehörigen | |
einhalten. Der Satz, Weiß auf Schwarz, orientiert: Jemand ist gestorben. | |
Aber was dann kommt, sind Szenen mit desorientierten Menschen. Eyal Spivak | |
(Shai Avivi) und seine Frau Vicky (Evgenia Dodina) irren durch ihr Leben | |
wie Hühner mit abgeschlagenen Köpfen. Geschäftig, ohne Sinn und Ziel. | |
Es ist ihr Sohn, der gestorben ist, sehr jung, an Krebs. Vicky fährt zum | |
Grab, Eyal zieht es ins Hospiz zurück, wo sie ihn zuletzt noch besuchten. | |
Er sucht eine Decke, sagt er. Die findet er nicht. Dafür klaut er einem | |
Sterbenden das medizinische Cannabis aus der Schublade. | |
Selbst diese knappen Zusammenhänge muss man sich zusammenreimen. Der Film | |
selbst, „Ein Tag wie kein anderer“, das Debüt des israelischen Regisseurs | |
Asaph Polonsky, teilt nämlich die taghelle Desorientierung seiner Figuren – | |
und rennt auch erst mal herum ohne Kopf. Natürlich teilt er sie bewusst. | |
Der Film trauert nicht, er lacht. Und macht lachen. | |
Was man sieht, sind Szenen, die erst einmal komisch zu sein scheinen. Wie | |
Eyal das Gras vor den neugierigen Blicken seiner Frau, eines Arztes | |
versteckt. Wie er daran scheitert, sich mit dem Gras eine Tüte zu rollen. | |
Wie er unter dem lautstarken Sex der Nachbarn leidet, fensterknallend und | |
brüllend. Überhaupt die Nachbarn. Im Verhältnis zu denen stimmt etwas | |
nicht. Ihr scheuert Eyal einmal eine. Mit ihm kommt es darauf zu sehr | |
handgreiflichem Streit. | |
Mit der Komik des Films hat es etwas Eigentümliches auf sich: Sie ist | |
verrutscht, wie den durch ihre Posttrauertage hetzenden Eltern mehr als ein | |
wenig verrutscht ist. Das ganze Leben im Grunde. Sie leugnen, was geschehen | |
ist. Sie tun dies und das. Vicky kreuzt unangekündigt in der Schule auf, in | |
der sie gearbeitet hat, und will wieder unterrichten. Der Lehrer, der für | |
sie einsprang, ist peinlich berührt. | |
## Als Luftgitarrist durchs Wohnzimmer fallen | |
Eyal beginnt, mit Zooler, dem Tunichtgut-Sohn der Nachbarn, und der kleinen | |
Tochter einer Hospiz-Patientin eine Trauergemeinde zu bilden. Sie sind nur | |
unfähig, angemessen zu trauern. Was immer das heißt, angemessen zu trauern. | |
Aber doch nicht, wie ein Verrückter minutenlang als Luftgitarrist durchs | |
Wohnzimmer zu fallen, zu jagen, zu rasen, wie Zooler, der Sohn der Nachbarn | |
es tut. | |
All das ist mit Tempo und komischem Timing gespielt und gedreht. Mancher | |
Schnitt ist irritierend abrupt, erst kaum Musik, später deutlich mehr. Alle | |
hier, Vater, Mutter, Nachbarssohn, Patientinnentochter, sind auf der Suche | |
nach Gefühlen, von denen sie wissen, sie sollten sie haben. Der Film sucht | |
mit, tröstet nicht. | |
Auch und gerade die Komik ist nicht tröstlich. Sie versöhnt nicht mit dem, | |
was geschehen ist. Im schrillen Kontrast zu allem, was angemessen wäre, ist | |
sie selbst ein Symptom. Es ist Polonsky sehr ernst damit, dem Tod über | |
weite Strecken des Films nicht mit Ernst zu begegnen. Nicht weil er die | |
Schwere des Geschehenen leugnet. Er beobachtet vielmehr Menschen, die nicht | |
anders weiterleben können als mit verzweifelten Leugnungsversuchen. | |
Im letzten Drittel dreht sich der Ton. Eyal und Zooler sind auf dem | |
Friedhof, geraten in eine versammelte Trauergemeinde. Ein Mann erinnert an | |
seine Schwester, in ergreifenden Worten. Der Film wechselt für einige | |
Minuten zu dieser anderen Geschichte, verrutscht also noch mal. Aber er | |
verrutscht merklich anders. Der spricht nämlich Dinge aus, die zuvor | |
unausgesprochen blieben. Vielleicht kann damit die Heilung beginnen. | |
12 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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