# taz.de -- Retrospektive im Zeughauskino: Das Eigene und das Fremde | |
> Der iranische Regisseur Sohrab Shahid Saless stellt in seinen Filmen die | |
> Sozialpsychologie der Bundesrepublik seit den 70ern bloß. | |
Bild: „In der Fremde“ von 1974 ist eine frühe Annäherung an das Leben tü… | |
Gerade einmal zwei Langfilme konnte Regisseur Sohrab Shahid Saless im Iran | |
realisieren. Die Arbeiten am dritten Langfilm über ein städtisches | |
Waisenhaus wurde nach zwei Tagen von den Behörden der Regierung des Schahs | |
gestoppt. 1974 kam Saless in die Bundesrepublik. Von allen Regisseuren, die | |
die nach den Weiten der Welt lechzende Filmindustrie der BRD damals | |
aufnahm, war Saless das wohl größte Geschenk. Mit seinen knapp 30 Jahren | |
fusionierte Saless vom ersten hier entstandenen Film an die Formsprache | |
seiner iranischen Filme mit der des Autorenfilms der BRD der 1970er Jahre. | |
„In der Fremde“, 1974 gedreht, ist eine der ersten Annäherungen an das | |
Leben türkischer Arbeitsmigranten in Berlin-Kreuzberg. Zwölf Regiearbeiten | |
konnte Sohrab Shahid Saless in der BRD realisieren, bevor er weiterzog in | |
die USA, wo er 1998 in Chicago verstarb. Von Ende Mai an sind bis auf zwei | |
Ausnahmen alle Regiearbeiten im Zeughauskino zu sehen – eine davon, der | |
Film „Eine Reise ohne Ziel“ über den sowjetischen Einmarsch nach | |
Afghanistan, gilt als verloren. | |
Saless ist seit Jahrzehnten eine Art Geheimtipp und dennoch fand die letzte | |
deutsche Retrospektive Ende der 1990er Jahre kurz nach Saless’ Tod im | |
Münchner Filmmuseum statt. Die deutsche Filmkritik ist nicht freundlich mit | |
Saless umgegangen. Dabei – das zeigt die Retrospektive des Zeughauskinos – | |
geht es nicht um eine spezialistische Veredelung der Ränder deutscher | |
Filmgeschichte. Saless’ Filme suchen ihresgleichen im Kino der BRD. | |
1981/82 dreht Saless kurz hintereinander zwei Filme, die beide auf der | |
Berlinale 1983 laufen. „Utopia“ ist ein fast dreieinhalbstündige Sektion | |
von Machtstrukturen in einem schmierigen Bordell in einer Berliner | |
Altbauwohnung. Manfred Zapatka spielt in dem Film als Zuhälter die Rolle | |
seines Lebens. | |
In „Empfänger unbekannt“ greift Saless die Konjunktur des Rassismus auf – | |
erzählt wird die Geschichte einer Trennung und einer Liebe. Eine Frau ist | |
aus dem Muff der Provinz und vor ihrem Mann geflohen und lebt in | |
Berlin-Neukölln mit einem türkischen Arbeiter zusammen. Sie ist auf der | |
Suche nach wirklichen Gefühlen, er auf der Flucht vor der Einsamkeit in | |
einem Land, das ihm zunehmend feindlich gegenübersteht. | |
Saless ergänzt diese Geschichte auf der Tonebene um vorgelesene Briefe und | |
Gespräche und legt im Bild Spuren zu den Diskussionen der Zeit aus: Der | |
Katalog zur „Faschismus“-Ausstellung der NGBK mit Werken Renzo Vespignanis | |
als Resonanzraum der deutschen Geschichte, ein Gedichtband mit Werken Nâzım | |
Hikmets, eine Plakatwand, auf der zwischen Miracoli-Werbung „Türken raus“ | |
geschrieben steht. Im Wechselspiel dieser Schichten erzählt „Empfänger | |
unbekannt“ vom Umsichgreifen offener Feindschaft gegen Jahre zuvor | |
herbeigerufene Arbeitsmigranten. | |
Drei Jahre später stellt Saless den neben „Die Mörder sind unter uns“ wohl | |
wichtigsten deutschen Film über das Kriegsende fertig. In „Hans – ein Junge | |
aus Deutschland“ bedient sich Saless eines einfachen Kniffs, um deutsche | |
Gewissheiten zu erschüttern. Im Zentrum der Geschichte steht Hans, ein | |
Junge, als „Halbjude“ gescholten und von der deutschen Gesellschaft, | |
angesichts des nahenden Kriegsendes immer brutaler geschmäht und | |
ausgeschlossen. Dann kommen die Amerikaner. Die Schmähungen sind zunächst | |
kleinlauter. Doch aller Veränderung zum Trotz bleibt die Ausgrenzung | |
bestehen. | |
Wieder drei Jahre später entsteht der Fernsehfilm „Wechselbalg“. Ein Paar | |
adoptiert ein junges Mädchen. Schon bald stellt sich heraus, dass die | |
Mutter über ihre Erziehung und patriarchale Rollenvorgaben unfähig geworden | |
ist, Zuneigung zu zeigen. Mit „Wechselbalg“ hat Saless einen radikalen Film | |
über das Zerbrechen an fremden und eigenen Ansprüchen gedreht. | |
Außer Rainer Werner Fassbinder hat niemand die Sozialpsychologie der BRD so | |
konsequent bloßgestellt wie Saless. Anders als Fassbinder verzichtet Saless | |
auf jede Stilisierung und setzt die Zuschauer der Brachialität des | |
Freigelegten direkt aus. Saless’ Filme sind Hauptwerke des westdeutschen | |
Films. Es steht zu hoffen, dass sie endlich auch von der deutschen | |
Filmgeschichte als solche behandelt werden. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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