| # taz.de -- Filme für den weiteren Lockdown: Die Würde im Elend | |
| > Solidarisches Heimkino bleibt eine sinnvolle Option im Lockdown. Eine | |
| > Auswahl von DVD-Erscheinungen aus diesem Frühjahr. | |
| Bild: Seelennöte im Luxusanwesen zeigt der Spielfilm „All the Pretty Little … | |
| Die Corona-Infektionszahlen sind rückläufig, die Geimpften werden mehr. | |
| Schon ist regional die Rede davon, die Kinos zu öffnen für alle Bürger, die | |
| ihre Freiheitsrechte zurückhaben. Für die ungeimpfte Mehrheit sei an dieser | |
| Stelle solidarisch auf Heimkino-Alternativen hingewiesen, bedenkenlos zu | |
| empfehlen auch für vollständig Vakzinierte. | |
| Viele Filme sind es nicht, die derzeit von [1][Sohrab Shahid Saless] zu | |
| sehen sind. Der Filmemacher, der Mitte der siebziger Jahre aus dem Iran | |
| nach Deutschland kam, wo er seinen langsamen Stil mit unerbittlichem Blick | |
| auf menschliche Dinge fortsetzte, ist ein großer Vergessener des Kinos, der | |
| seit einigen Jahren langsam wiederentdeckt wird. | |
| „Utopia“ aus dem Jahr 1983 ist nicht der einfachste Einstieg in das | |
| Schaffen von Saless, doch die Mühe lohnt. Vielleicht ist der Zugang über | |
| DVD sogar eine Hilfe, denn der Film fordert einiges vom Publikum. Die | |
| Möglichkeit zu haben, zwischendurch zu unterbrechen und kurz Luft zu holen, | |
| schadet keinesfalls. | |
| Fünf Prostituierte und ihr Zuhälter bilden das Hauptpersonal des Films. Die | |
| Berliner Altbauwohnung, in der Heinz (eisig-scharf: Manfred Zapatka) seine | |
| „Nutten“ unter Zwangsprostitutionsbedingungen hält, ist über weite Streck… | |
| einziger Ort der Handlung. Renate, Rosi, Susi, Helga und Monika hatten alle | |
| mal andere Erwartungen an ihr Leben, wurden aber von diesem oder von | |
| Männern enttäuscht, gerieten in Not und sind seitdem Gefangene von Heinz, | |
| der sein Personal mit sadistischen Methoden auf Effizienz trimmt. | |
| ## Fern jeglicher Verklärung | |
| Saless zeigt die Frauen in dieser klaustrophoben Stimmung, wie sie zwischen | |
| fatalistischer Verzweiflung und zaghaftem Aufbegehren schwanken. Dazwischen | |
| als Leitmotiv kurz angerissen die Streicherakkorde aus Wagners Lied „Im | |
| Treibhaus“. Ein Monolith an Gesellschaftskritik, frei von Romantik. | |
| Ebenfalls fern jeglicher Verklärung folgt der griechische Spielfilm „All | |
| the Pretty Little Horses“ von Michalis Konstantatos den | |
| Mittelschichts-Eheleuten Aliki (Yota Argyropoulou) und Petros (Dimitris | |
| Lalos) durch ihre persönliche Hölle. Wir sehen das Paar in einem | |
| großzügigen, zugleich seltsam unbelebt seine Oberflächen ausstellenden | |
| Anwesen am Meer. Ihr Verhalten zeigt: Zwischen ihnen ist ein Abstand, bei | |
| dem zunächst unklar bleibt, woher er rührt. | |
| In kleinen, oft irritierenden Details gibt der Film erst nach und nach | |
| preis, wie es um diese keinesfalls sympathisch auftretenden Gutsituierten | |
| bestellt ist. Die Musik mit ihren dräuenden Streichern liefert den | |
| deutlichsten Kommentar, dass einiges im Argen liegt. | |
| Konstantatos zeigt andeutungsweise, statt zu groß zu erklären, und er zeigt | |
| es so, dass sich die Verstörung der Hauptfiguren auf die Betrachter | |
| überträgt. Das kann ein bisschen nerven, ist andererseits fester | |
| Bestandteil dieser Erzählung über Abstiegsängste im heutigen Griechenland. | |
| Geduld wird belohnt, die Figuren hingegen nicht. Das Happy End liegt | |
| allenfalls in einer befreienden Ernüchterung. | |
| ## Ruhestörung durch Freidenker | |
| Eine ganz andere Befreiungsgeschichte im Privaten erzählt der britische | |
| Spielfilm „Die Erlösung der Fanny Lye“ von Thomas Clay. Der einzige | |
| Historienfilm in dieser Auswahl führt ins England des Jahres 1657. Dort | |
| leben auf einem Bauernhof der Kriegsveteran John (Charles Dance) und seine | |
| Frau Fanny (Maxine Peake) mit ihrem Sohn. Er ist streng puritanisch – | |
| Oliver Cromwell ist an der Macht –, Fanny folgt ihrem Mann in dessen | |
| Strenge. | |
| Die ländliche Ruhe wird gestört durch ein Paar auf der Flucht, vor | |
| mörderischen Räubern, wie sie sagen. Bald kommt heraus, dass die zwei aus | |
| anderem Grund verfolgt werden: Sie sind Freidenker. | |
| Die Machtverhältnisse verkehren sich in diesem Drama mehrfach: Erst sind | |
| die Besucher die Gefangenen des strengen Hausherrn, dann begehren diese | |
| auf. Damit kämpfen die Weltanschauungen gleich mit um die Vorherrschaft. | |
| Die Lage eskaliert, schließlich gibt es noch die Verfolger, die den | |
| „Ketzern“ hartnäckig nachspüren. Der Film gerät darüber irgendwann recht | |
| blutig. | |
| Am Ende steht eine feministische Emanzipation im Namen der Quäker. Dank | |
| stark besetzter Rollen gewinnt der ideengeschichtliche Hintergrund nie zu | |
| sehr die Oberhand. Ein auf sperrige Weise unterhaltsamer Film. | |
| ## Ein schmutziges Vergnügen | |
| Weniger Barrieren gilt es hingegen bei „A Hard Day“ zu überwinden. Der | |
| Thriller des südkoreanischen Regisseurs Kim Seong-hun ist mit | |
| schnörkelloser Eleganz erzählt, die sich in den Dienst der Spannung stellt. | |
| Bei aller Härte ist selbst für absurden Humor noch Raum. | |
| Der Plot beginnt dabei recht klassisch: Ein Mann ist abends mit dem Auto | |
| unterwegs zum Begräbnis seiner Mutter, er ist spät dran, bei der Arbeit hat | |
| er Stress. Mit Mühe weicht er einem Hund auf der Fahrbahn aus, dann springt | |
| ihm ein Mann vors Auto, es knallt. Gun-su (Lee Sun-kyun), so heißt der | |
| Mann, ist dummerweise Polizist und, das hat der Film eingangs verraten, | |
| einer von der korrupten Sorte. Was intern aufgeflogen ist. | |
| Gun-su packt die Leiche in seinen Kofferraum, fährt damit zur Beerdigung | |
| und schafft es, den Toten zum Verschwinden zu verbringen. Allein für diese | |
| Szene mit ihren haarsträubenden Einfällen lohnt sich der Film. Doch dann | |
| meldet sich bei Gun-su ein anonymer Anrufer, der ihn beobachtet hat. Von da | |
| an beginnt der eigentliche Ärger. Kim Seong-hun peitscht die Action mit | |
| Tempo und Witz stetig weiter hoch, was diesen Film, der 2014 in Cannes | |
| lief, zu einem schmutzigen Vergnügen macht. | |
| Und weil es so schön war: Die [2][im vergangenen Jahr zum Kinostart | |
| besprochene grandiose US-amerikanische Komödie „The Climb“], der | |
| Debütspielfilm von Michael Angelo Corvino, ist für alle, die ihn im Sommer | |
| verpasst haben, jetzt auch auf DVD zu haben. | |
| 12 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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