# taz.de -- Camp-Phänomen Schlager im Zeughauskino: Psychotronik made in BRD | |
> Die Schlagerfilmreihe „Tausend Takte Übermut“ im Zeughauskino zeichnet | |
> eine Geschichte des Triebs in Zeiten sozialen Umbruchs. | |
Da gelingt es dem liebestollen Georg Thomalla in der ihm eigenen hektischen | |
Zerstreuung, den ihm auf dem Patientenstuhl anvertrauten Rainer Basedow | |
nach allen Regeln der Zahnarztkunst körperlich zu misshandeln, weil draußen | |
vor dem Fenster Ralf Wolter als Dorf-Casanova und Herzensbrecher – Ralf | |
Wolter, ausgerechnet! – sich jener jungen Dame nähert, derentwegen Thomalla | |
zu Ungunsten Basedows nicht weiß, wo ihm Kopf und Hände stehen. | |
Die Ereignisse überschlagen sich, befeuert von überschüssigem Begehren: | |
Bald steht die Praxis unter Wasser, Basedow findet sich darin als | |
jämmerlich gefesselte Gestalt wieder, auch Thomallas Schwester wurde rüde | |
angegriffen. | |
Die explosiv anarchische Szene stammt aus „Kinderarzt Dr. Fröhlich“, einer | |
jeder Blüte des Irrsinns beherzt hinterher springende Schlagerkomödie mit | |
Roy Black von 1972, die im Modus steter Überforderung nach Ventilen fürs | |
aufgestaute Begehren sucht und nach einem Beginn in üblicher | |
Lustspielmanier grandios debile Psychotronik erzielt. | |
Nach alter Väter Sitte wird am Ende zünftig geheiratet, was der Film im | |
fortgeschrittenen Delirium als Ereignis von so hohem Nachrichtenwert | |
imaginiert, dass die Eheschließung prompt im Fernsehen läuft. | |
Zu sehen ist der Film demnächst im Zeughauskino, das sich in seiner großen | |
Jahresreihe zur Geschichte der deutschen Komödie nun schwerpunktmäßig mit | |
dem unter geschmackssensiblen Menschen verfemten Schlagerfilm befasst. Von | |
„Feuerwerk“ (1954), einem Prä-„Sissi“-Film von Romy Schneider, bis zum | |
„Kinderarzt“ werfen sieben Filme Schlaglichter auf die | |
Schlagerfilmgeschichte. | |
Was für eine enorme Transformationsmaschine der Schlager und auch der | |
Schlagerfilm war. Auch deshalb interessierten sich ja so viele Subkulturen | |
für den Schlager als Camp-Phänomen, weil er an einer Kippstelle des | |
Begehrens regulierend eingreift und dabei munter zu plaudern beginnt. | |
## Zwischen Musical und Horror Vacui | |
Der Überschuss des Begehrens wird in eine Form des verzichtend-gedämpften | |
Schwelgens gebracht, aber keineswegs völlig unterdrückt. An den Verboten | |
und Grenzen, die das Kleinbürgertum seinen Insassen setzt, wird weiterhin | |
gekratzt. Der Schlager – eine Triebverwaltung, die den Gegenstand ihrer | |
Hinwendung zucken lässt. | |
Die Filmreihe ist auch eine Geschichte des Triebs in Zeiten politischen und | |
sozialen Umbruchs. Oder wenigstens eine Geschichte dessen | |
Krisenmanagements. Als parasitäres Subgenre bedient sich der Schlagerfilm | |
einer filmhistorischen Transfermethode: „Feuerwerk“ beginnt wie ein | |
Heimatfilm und labt sich am verschnörkelten Zuckerbäckerstil eines | |
visuellen Horror Vacui, „Bonjour, Kathrin“, zwei Jahre später entstanden, | |
speist das artifizielle US-Musical in die deutsche Nachkriegsgesellschaft | |
ein. | |
Symptomatisch ist „Wenn die Conny mit dem Peter“ (1958) mit „Rock ’n’ | |
Roller“ Peter Kraus: Zwar stellt der lakonische Titel Munkeleien in | |
Aussicht, doch tatsächlich handelt es sich um eine Vertröstung: Der Film | |
domestiziert die damals neue Hüftschwung-Jugendkultur und führt sie der | |
Hüftsteife des gesunden Volksempfindens zu. | |
Auch im Weiteren durchzieht den Schlagerfilm die sich Bahn brechende | |
Brunft: Als in „Tausend Takte Übermut“ (1965) der Talentscout einer | |
glücklosen Musikfirma dazu angehalten wird, sein gutes Aussehen für die | |
Firma einzusetzen, um ein junges Starlet zum Vertragsabschluss zu bewegen, | |
regt sich in ihm nach Vorlage einer Fotografie „das Pflichtgefühl“. Wenig | |
später mündet eine hinreißend sinnlose Songsequenz in ein geträllertes | |
schwules Liebesbekenntnis eines Taxifahrers an seinen Fahrgast. | |
Heute sind solche Drucksereien so unterhaltsam wie aufschlussreich. Fürs | |
Personal hinter der Kamera erwies sich der Schlagerfilm indessen ebenfalls | |
als Transformator: „Übermut“-Regisseur Ernst Hofbauer, bis dahin für Krim… | |
und Sittenreißer verantwortlich, reüssierte bald mit | |
„Schulmädchen-Report“-Filmen als talentiertester Routinier des deutschen | |
Softpornos. | |
Darin tat sich auch für „Kinderarzt“-Regisseur Kurt Nachmann ein neues | |
Betätigungsfeld auf. Bunter trieb es nur Drehbuchautor Hans Billian: als | |
Pionier des Hardcore-Pornos made in BRD. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz. | |
17 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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Schlager | |
Heimatfilm | |
Dokumentation | |
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