# taz.de -- USA unter Trump: Die Decke der Demokratie ist dünn | |
> „Alternative Fakten“ und Identitätspolitik: Ein Abschied vom Amerika des | |
> Möglichen nach der Wahl Trumps – und ein Blick auf ein nervöses Europa. | |
Bild: Der Blick auf das weiße Haus hat sich für die Autorin für immer verän… | |
Mein Land, in dem ich die vergangenen drei Jahren gelebt habe, hat gerade | |
eine entscheidende Schlacht im Kampf um die Demokratie verloren. In den | |
Vereinigten Staaten von Amerika wird seit letzter Woche auf Grundlage | |
„alternativer Fakten“ regiert. Maßstab politischer Entscheidungen ist die | |
Befriedigung eines bedürftigen Charakters. Und die Demokratie, die diesen | |
Zustand ermöglicht hat, scheint zur bloßen Form ausgehöhlt. Das Geschehen | |
wirkt irreal und weit entfernt. | |
Aber hat das neue Amerika nicht doch mehr mit dem alten Europa zu tun, als | |
mir lieb ist? | |
Es ist mir nicht leicht gefallen, dieses Land zu verlassen. Vom Dach des | |
Apartmenthauses, das zuletzt in Washington, D. C., unser Zuhause war, geht | |
der Blick nach Süden frei über die Hausdächer hinweg. Man kann die Kuppel | |
des Kongresses sehen, der Obelisk ragt aus der Mall heraus. Am Abend nach | |
der Präsidentschaftswahl stand ich dort und schaute mit wehmütigem Blick | |
auf das Weiße Haus. Jetzt war meine Zeit als Korrespondentin zu Ende. | |
Am Vorabend war Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt worden. Nie | |
wieder würde ich in dieser Art auf das Weiße Haus blicken können. | |
## Vielfältig, widersprüchlich und offen | |
Ich nahm an diesem Abend Abschied von einem Amerika, das es seit Trumps | |
Wahl so nicht mehr gibt. Es war ein Abschied von mehr, als ich von der | |
Dachterrasse in der 14. Straße überblicken konnte. | |
Ich habe es geliebt, ein Teil dieser vielfältigen, widersprüchlichen und | |
offenen Gesellschaft zu sein. Es war eine ganz besondere Phase der | |
US-amerikanischen Geschichte. Unter Barack Obama schien diese Gesellschaft | |
in Bewegung zu sein wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die imperiale | |
Großmacht Amerika bemühte sich nach innen wie nach außen um ein humanes, | |
modernes, aufgeklärtes Antlitz. | |
Ich habe erlebt, wie der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten | |
denjenigen in den USA Mut gemacht hat, die nicht zum gut versorgten Kern | |
der weißen Mehrheit der Gesellschaft zählen, weit über die Frage der | |
Hautfarbe hinaus. Im Juli 2014 flog ich nach Ferguson, Ohio, inzwischen | |
weltbekannt. Dort nahm eine starke Bewegung gegen die willkürliche | |
Polizeigewalt gegen Afroamerikaner ihren Lauf. | |
Ich habe gesehen, wie die Basketball-Legende LeBron James zu einer | |
gesellschaftlichen Stimme geworden ist und die Idee von Black Lives Matter | |
für ein weißen Millionenpublikum verkörperte. Im Juni 2016 legalisierte der | |
Oberste Gerichtshof der USA die Ehe für Homosexuelle. | |
## Die gerechteren Staaten von Amerika? | |
Das alles ist Identitätspolitik, heißt es jetzt. Die weiße untere | |
Mittelklasse im sterbenden Industriegürtel der USA sei aus dem Fokus | |
geraten. Obama sei zu zögerlich gewesen, sagen mir viele meiner deutschen | |
Freunde und Freundinnen, er habe Drohneneinsätze verantwortet, werde ich | |
erinnert. Das und noch viel mehr ist wahr. Doch 18 Millionen US-Amerikanern | |
droht jetzt der Verlust ihrer Krankenversicherung. | |
Weder der „Affordable Care Act“ noch das von den Republikanern gestoppte | |
Dodd-Frank-Gesetz zur Finanzmarktregulierung oder Obamas Streitzug für | |
einen Mindestlohn sind an Hautfarbe oder sexuelle Orientierung gebunden. | |
Die Gerechteren Staaten von Amerika waren die Überschrift über der Politik | |
Barack Obamas. Vielleicht konnte man dieses Gefühl des Aufbruchs besser von | |
der amerikanischen Seite des Atlantiks aus wahrnehmen. | |
Diese Errungenschaften der US-Gesellschaft sind inzwischen eine Frage | |
alternativer Fakten. Wie es dazu gekommen ist, haben wir erst in Anfängen | |
verstanden. Ich will dem keine weitere Analyse hinzufügen. Mich | |
interessiert die Botschaft, die von den USA aus Europa erreicht: Millionen | |
von Menschen hängen weit weniger an der Demokratie, als es für das System | |
gut ist. Die Decke der Demokratie ist dünner, als wir lange dachten. | |
Ich habe beobachtet, wie fragil eine Gesellschaft sein kann. Das Gefühl des | |
Aufbruchs und des Möglichen ist in den USA verschwunden. Geblieben ist die | |
Erkenntnis, wie schnell sich Stimmungen und Machtverhältnisse drehen und | |
sich eine offene Gesellschaft in einen autoritären Staat verwandeln kann. | |
## Europa vor dem Scheideweg | |
Mit dieser Herausforderung gehen wir in Europa in ein Jahr entscheidender | |
Wahlen. In den Niederlanden erhöht Geert Wilders die politische | |
Temperatur, in Frankreich fliegen Marine Le Pen Sympathien zu. Und nach | |
dem 24. September könnte erstmals eine völkisch-nationalistische Partei in | |
den Deutschen Bundestag gewählt werden. | |
Ich habe die Entwicklungen in Deutschland in den vergangenen Jahren nur von | |
außen beobachtet. Der Perspektivwechsel war heilsam. Vieles konnte ich als | |
als Errungenschaft anerkennen, was uns hier so selbstverständlich | |
erscheint: die Bildung und Ausbildung, unser Sozialsystem, das | |
Gesundheitssystem, ein arbeitsfähiger Staat. | |
Von Amerika aus konnte ich sehen, was es wert ist, wenn eine Gesellschaft | |
miteinander funktioniert und nicht als Gegeneinander. Die Stärke der | |
deutschen Zivilgesellschaft lernt man vielleicht erst aus der Ferne | |
schätzen. Für mich ist das die Botschaft dieses Jahres: Es lohnt sich, sie | |
zu verteidigen. | |
26 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
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