| # taz.de -- Verhältnis Liberale zu Trump: Tyrannenmord im Weißen Haus | |
| > Seit Trump US-Präsident ist, schwelgen Liberale in Gewaltfantasien. Das | |
| > ist wenig hilfreich und verpulvert unnötig Energie. | |
| Bild: Lieber keine Energie für Gewalt gegen Trump verschwenden | |
| Seit Donald Trumps Rede vor dem Kongress scheint in der öffentlichen | |
| Debatte ein wenig Ruhe eingekehrt zu sein. Zeit, um sich anzuschauen, wie | |
| ein Teil des liberalen Publikums ihn bisher wahrgenommen hat: Dabei ist | |
| auffällig, dass sich Menschen, die ansonsten keine Gelegenheit auslassen, | |
| für Gewaltfreiheit zu plädieren, in den letzten Monaten mit auf den | |
| amerikanischen Präsidenten projizierten Gewaltfantasien auseinandersetzen. | |
| So hat beispielsweise Madonna auf dem „Frauenmarsch“ am Tag nach Trumps | |
| Inauguration davon schwadroniert, das Weiße Haus am liebsten in die Luft | |
| jagen zu wollen, und Peter Sloterdijk raunte unlängst in der Zeit, dass die | |
| Chance von Trump, „die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit zu überleben“, | |
| vermutlich „bei kaum mehr als 10 Prozent“ liege. | |
| Wenngleich öffentliches Räsonieren über politisch motivierte Anschläge eher | |
| selten ist, so lässt sich das – ausgehend von persönlichen Beobachtungen – | |
| für den Privatbereich in liberalen Kreisen dieser Tage nicht unbedingt | |
| sagen. Dort scheinen eher folgende Diskussionen typisch zu sein: Zunächst | |
| wird gerne debattiert, wie die „große Katastrophe“ wohl zu stoppen sei. Man | |
| begegnet dabei einem erstaunlichen Detailwissen über das impeachment | |
| genannte Amtsenthebungsverfahren, das aber vorläufig für chancenlos | |
| gehalten wird. Ebenso werden sonstige für möglich gehaltenen Alternativen | |
| ausgelotet: der freiwillige Verzicht auf das Präsidentenamt wird als | |
| unwahrscheinlich verworfen, ein möglicher natürlicher Tod erstaunlich | |
| mitleidslos als wohlgemeinter Wink des Schicksals gedeutet und nicht | |
| zuletzt ein Attentat als legitimer Akt der Notwehr diskutiert. | |
| Argumentiert wird gerne damit, dass das Beseitigen von | |
| demokratiegefährdenden Regierenden quasi als Naturrecht zu werten sei, als | |
| eine verantwortbare Gegenwehr gegen eine mehrheitsdemokratisch zustande | |
| gekommene Illiberalität, gegen das, was Alexis de Tocqueville die „Tyrannei | |
| der Mehrheit“ genannt hat. | |
| ## Unberechenbarer Psychopath | |
| Spitzt man bei solchen privaten Gesprächsdebatten die Ohren, dann ist man | |
| über die Begründungen für diese fabulierte Gewalt erstaunt. Zum einen hört | |
| man immer wieder, dass es sich bei Trump eben um keinen „normalen | |
| Autokraten“ wie Putin, Erdoğan oder Orbán handle. Diese hätten die liberale | |
| Demokratie zwar bereits viel härter mit Füßen getreten, als Trump das | |
| bisher vermochte. Es seien aber eben doch rational players, deren | |
| Interessen und politische Handlungen nüchterner Analyse zugänglicher seien | |
| und daher zwar nicht als ungefährlich, aber als berechenbar eingestuft | |
| werden könnten. | |
| Trump dagegen wird nicht nur die Tendenz zum autoritär-cholerischen | |
| Paternalismus und zur demokratiegefährdenden Autokratie unterstellt, | |
| sondern er wird schlichtweg als unberechenbarer Psychopath wahrgenommen. Es | |
| handle sich um einen menschgewordenen „Sprung in der Schüssel“ samt Zugang | |
| zu Atomraketen, der den Weltfrieden gefährdet: ein verbreitetes Bild, das | |
| im Übrigen auch gerne für Kim Jong Un verwendet wird. | |
| Bestätigt sehen sich die Diskutanten mit ihrer Diagnose dann in den | |
| Leitartikeln verschiedener Chefredakteure, die diese Gewaltfantasien, auch | |
| wenn sie das wohl nicht intendieren, noch anheizen. Kurt Kister von der | |
| Süddeutschen schreibt über Trump: Dieser verstehe so vieles nicht, „dass | |
| man nach dem ersten Trump-Monat nicht recht weiß, ob das politische oder | |
| medizinische Gründe hat. Vielleicht wären gute Ärzte und Psychologen für | |
| Trump im Moment wichtiger als ehemalige Generäle und welterfahrene | |
| Berater.“ Klaus Brinkbäumer vom Spiegel assistiert ihm dabei mit der | |
| Ansage, der Präsident der USA sei „ein pathologischer Lügner“, und | |
| schlussfolgert daher: „So redet Nero, Kaiser und Zerstörer Roms; so denken | |
| Tyrannen.“ | |
| Diese Hinweise auf psychopathische Störungen verfehlen ihre Wirkung nicht: | |
| Trump sei also nicht nur autokratisch gesinnt, was schlimm genug wäre, | |
| sondern darüber hinaus auch noch geisteskrank, kurzum: ein | |
| unzurechnungsfähiger Tyrannenanwärter. Und ein solcher müsse dann, | |
| sozusagen präventiv, selbstverständlich weg. Mit allen Mitteln, | |
| gewalttätige nicht ausgeschlossen. | |
| ## Die Irrationalität der Debatte | |
| Aber wie lassen sich solche aberwitzigen Fantasien bis hin zum Mord | |
| interpretieren? Wie kann es sein, dass Menschen, die ansonsten vernünftig | |
| wirken, solch irrationale Debatten führen? Eine zentrale Deutung scheint in | |
| der gegenwärtigen liberalen Schwäche zu liegen: Zunächst ist es leicht | |
| nachvollziehbar, dass hier ein Gefühl von Ohnmacht Ausdruck findet. Macht | |
| gewonnen hat eine Person, die eine politische Richtung verkörpert, von der | |
| seitens der Verteidiger einer liberalen Demokratie nie für möglich gehalten | |
| wurde, dass sie sich durchsetzen würde. Es schien undenkbar, dass sich so | |
| viel Unvernunft Bahn brechen und in Wählerstimmen verwandeln könnte. Nicht | |
| wenige im liberalen Milieu scheinen dies als schmähliche Niederlage zu | |
| betrachten, aus der sie sich in Attentatsfantasien flüchten. | |
| Anstatt zu fragen, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht und welche | |
| politischen Handlungen vernachlässigt wurden, wird Trost gesucht in | |
| individualisierenden Erklärungsmodellen und einer vermeintlichen Pflicht | |
| zum Tyrannenmord. | |
| Eine notwendige sachliche Auseinandersetzung mit den Ursachen dafür, dass | |
| ein solcher Mensch an die Macht gekommen ist, welche Interessengruppen | |
| er vertritt und welche politischen Gegenstrategien nun nottun, wird – | |
| jedenfalls teilweise – durch unrealistische Planspiele ersetzt. Die | |
| Träumereien, sich einen neuen Claus von Stauffenberg auszumalen, dem das | |
| Schicksal diesmal holder ist, ähneln dem cineastischen Versuch eines | |
| Quentin Tarantino, der in seinem Meisterwerk „Inglourious Basterds“ die | |
| Naziführung entgegen aller historischen Realität in die Hölle befördern | |
| lässt. Dies sind, so lässt sich mutmaßen, Scheindebatten, die zahlreichen | |
| liberalen Verlierern – wenn man sie so nennen mag – zur puren Entlastung | |
| dienen. | |
| Solche Ersatzhandlungen, die ihr Heil in imaginierten Komplotten suchen, | |
| sind nicht nur wenig hilfreich, sie verstärken sogar den Trend der | |
| liberalen Abwehrschwäche. Gewaltfantasien, die über Cäsarenwahn und | |
| Tyrannenmord spintisieren, ändern nichts an den real existierenden | |
| Problemen, die nicht von einer einzigen Person, sondern vielmehr von | |
| gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abhängen. Sie entziehen sogar die | |
| Energie, die notwendig wäre, um etwa eine Marine Le Pen zu verhindern. Die | |
| Leidenschaft und Tatkraft, die benötigt würden, um demokratische Defizite | |
| und unser Verstricktsein in globale Ungerechtigkeiten klarer zu erkennen | |
| und zu verstehen, wie viele Ausgestoßene eine neoliberalisierte | |
| Globalisierung mit – auch liberalen – Profiteuren produziert hat, wird | |
| stattdessen für Hirngespinste verspielt. | |
| ## Verrat an Gewaltfreiheit | |
| Gebraucht würden sie, um die entstandenen Härten nicht nur klar zu | |
| benennen, sondern sie akut zu entschärfen, um die nicht nur in | |
| Vermögensfragen fortschreitende Polarisierung der westlichen Gesellschaften | |
| zurückzufahren oder um die Wähler autokratischer Rattenfänger zu erreichen | |
| und sie wieder in demokratisches Fahrwasser zu bringen. Man könnte sogar | |
| vermuten, dass viele liberale Akteure sich gar nicht mehr zutrauen, in | |
| einer offenen argumentativen Auseinandersetzung mit den Autoritären die | |
| Oberhand zu behalten oder zurückzuerobern. Zudem verraten sie durch solche | |
| imaginierte Gewaltbereitschaft den Kern des Liberalismus und aller | |
| Grundsätze einer Ethik, die auf Gewaltfreiheit abzielt, um sich dann mit | |
| Wehklagen zu begnügen. | |
| Wähnten sie sich noch bis vor Kurzem auf dem Siegeszug der Geschichte und | |
| glaubten sie tatsächlich an ein liberaldemokratisches „Ende der | |
| Geschichte“, versammeln sich nun – wenn die Beobachtungen nicht trügen – | |
| viele von ihnen mit ihren ebenso liberalen Freunden und fragen sich | |
| lamentierend, ob sich wohl jemand finden ließe, der für sie politisch | |
| motiviert tötet. Welch ein erbärmliches Bild! Kein Wunder, dass die | |
| autokratische Internationale so leichtes Spiel mit ihnen hat. | |
| Doch vergessen wir nicht: Das liberale Publikum sind auch wir. Und wir | |
| sollten keine Gelegenheit verpassen, uns von solchen Gewaltfantasien | |
| maximal zu distanzieren und zu verabschieden. Das bedeutet, dass wir alles | |
| Jammern hinter uns lassen und uns stattdessen so aktiv wie möglich gegen | |
| autokratische und autoritäre Bewegungen zur Wehr setzen sollten – auch und | |
| gerade bei uns. | |
| 26 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Däuble | |
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