# taz.de -- Trump Bump und Kanada: Liberales Schlaraffenland | |
> Auf der Suche nach einem besseren Amerika liebäugeln Trump-geplagte | |
> US-Bürger mit dem Umzug nach Kanada. Einige sind schon dort. | |
Bild: Supported auch Gay Prides in seinem Land: Premier Trudeau | |
VANCOUVER taz | Die Gulf Islands sind ein idyllisches Archipel im Pazifik: | |
Auf den Inseln und Inselchen unweit der kanadischen Stadt Vancouver hat es | |
sonnige Strände, malerische Fjorde und pittoreske Hafenstädtchen. Die | |
Temperaturen sind das ganze Jahr über mild, die Menschen freundlich. | |
Kurzum: Die Gulf Islands sind ruhige Orte jenseits des Weltgeschehens, auf | |
denen es sich meist unbeschwert leben lässt. | |
Das finden auch Juliette und Jo Wallace. Die beiden Frauen sind Anfang | |
dreißig und gerade aus den USA hergezogen. In ein möbiliertes Häuschen im | |
Wald, mit Blick aufs Meer, unweit des Fährterminals zum Festland. „Wir | |
hatten uns schon länger überlegt, nach Kanada zu ziehen“, erzählt Juliette | |
Wallace. „Die Wahl von Donald Trump hat uns dann den Rest gegeben und | |
unsere Entscheidung beschleunigt.“ | |
Die beiden haben wahr gemacht, womit seither so manche Amerikaner | |
liebäugeln: Sie sind in jenes liberale Sehnsuchtsland jenseits des 49. | |
Breitengrades ausgewandert, das so anders zu sein verspricht als das | |
Amerika des Donald Trump. Hier regiert mit Justin Trudeau der | |
personifizierte Anti-Trump. Wie kaum ein anderer westlicher Regierungschef | |
hält er die liberale Fahne hoch. | |
Für die Wallaces war das mitentscheidend. Für sie ist Kanada das Land, in | |
dem die Menschen den Sozialstaat und die staatliche Gesundheitsfürsorge | |
schätzen, die Vielfalt der Kulturen pflegen und respektvoll miteinander | |
umgehen. „Kanada ist ein sicherer Hafen in Zeiten der Unsicherheit“, meint | |
Juliette, die mit ihrer Ehefrau Jo in Portland im US-Bundesstaat Oregon | |
gelebt hat und ursprünglich aus Montréal stammt. Neben der amerikanischen | |
besitzt Juliette Wallace auch die kanadische Staatsbürgerschaft. Das hat | |
dem Pärchen den Weg nach Kanada leicht gemacht. | |
Andere müssen oftmals Monate oder Jahre auf Einwanderungspapiere warten. | |
„Wir sind mit dem Auto für zwei Tage nach Kanada gefahren, haben ein Haus | |
angemietet und die Einwanderungspapiere abgegeben.“ Da die beiden seit dem | |
Sommer verheiratet sind, wird auch Jo eine Dauer-Aufenthaltserlaubnis | |
erhalten. | |
In Kanada ist das kein Problem, denn gleichgeschlechtliche Ehepaare sind | |
hier schon seit fünfzehn Jahren voll anerkannt. In den USA gilt die volle | |
Gleichheit erst seit dem letztem Jahr – und die beiden Frauen befürchten, | |
dass es unter Donald Trump wieder rückwärts geht. „Es ist echt | |
supererschreckend, wie sehr in den USA die Ausfälle gegen Minderheiten oder | |
Einwanderer zugenommen haben“, meint Jo. | |
## Sein Kabinett besetzte Trudeau zur Hälfte mit Frauen | |
Der nördliche Nachbar dagegen gilt bei vielen liberalen US-Bürgern als | |
friedlich, tolerant und weltoffen, als „besseres Amerika“ eben. „Die | |
Freiheit wandert nach Norden“, titelte unlängst der Economist und pries | |
Kanada für seine liberale Politik in Zeiten, in denen der Rechtspopulismus | |
überall auf der Welt auf dem Vormarsch zu sein scheint. U2-Frontmann Bono | |
forderte mit Blick auf das humanitäre Engagement Kanadas in der Dritten | |
Welt: „Die Welt braucht mehr Kanada!“ | |
Nun ist auch in Kanada nicht alles Gold, was glänzt. Auch hier gibt es ab | |
und an Ausfälle gegen Minderheiten, Anschläge auf Synagogen oder Moscheen. | |
Und auch in Kanada versuchen rechtspopulistische Politiker mit Ängsten auf | |
Stimmenfang zu gehen. 2015 machte Premierminister Stephen Harper gegen | |
Muslime Stimmung, wurde von den Wählern dafür aber abgewählt. | |
Seitdem pflegt Premier Trudeau das liberale Image seines Landes. Regelmäßig | |
besucht er Gay-Pride-Paraden, er hofiert die Blauhelme der Vereinten | |
Nationen und predigt die Gleichstellung der Religionen und Geschlechter. | |
Als einer der wenigen Regierungschefs weltweit hat er sein Kabinett zur | |
Hälfte mit Frauen besetzt. Syrische Flüchtlinge begrüßte er höchstselbst | |
per Handschlag am Flughafen. | |
Rund 35.000 Syrer hat Kanada mittlerweile aufgenommen, in den USA dagegen | |
sind es seit Beginn des Krieges nur etwa 12.600. Die Integration der | |
Neuankömmlinge gilt international als vorbildhaft. Umfragen zufolge finden | |
80 Prozent der Kanadier, dass Einwanderer ihr Land bereichern. Rund 300.000 | |
Ausländer nimmt das Land jedes Jahr auf, gemessen an der Bevölkerung ist | |
das eine der höchsten Quoten in der westlichen Welt. | |
Das hat sich auch in den USA herumgesprochen. In der Wahlnacht Trumps brach | |
die Webseite der kanadischen Einwanderungsbehörde unter der Last der | |
Anfragen zusammen. Das Interesse an Kanada ist weiter lebhaft: „In den | |
ersten vier Wochen nach der Wahl hatten wir etwa dreimal so viele Anfragen | |
aus den USA wie sonst“, erzählt Einwanderungsberater Gerd Damitz aus | |
Toronto. | |
Noch ist es zu früh, um abzuschätzen, wie stark der „Trump Bump“ wirklich | |
ist, wie viele der Interessenten sich wie Juliette und Jo tatsächlich auf | |
den Weg nach Kanada machen werden. „Viele potenzielle US-Einwanderer sind | |
noch in Wartestellung und beobachten, wie sich die Regierung Trump | |
entwickelt“, berichtet Damitz. | |
In etwa einem Jahr wird sich wohl zeigen, ob es wirklich zu einem Exodus | |
aus den USA kommt – so wie es ihn vor rund fünfzig Jahren schon einmal | |
gegeben hatte, als Zehntausende Amerikaner vor dem Vietnamkrieg und der | |
Wehrpflicht nach Kanada geflüchtet waren. Auch nach der Wahl von George W. | |
Bush zum Präsidenten 2006 war es in Kanada zu einem Anstieg der Bewerber | |
aus den USA gekommen. | |
## „Wir haben Angst um unsere Zukunft“ | |
Zu spüren ist der Trump-Effekt schon in einigen kanadische Hochschulen. Die | |
Unis in Vancouver, Montréal oder Toronto melden zwischen 30 und 50 Prozent | |
mehr US-Studierende als 2015, was zum Teil auch am starken US-Dollar liegt. | |
Viele Immobilienmakler in Kanada verzeichnen ein verstärktes Interesse aus | |
den USA. Die Zahl der Amerikaner, die als politisch Verfolgte nach Kanada | |
kommen wollen, hat sich im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt, | |
allerdings auf niedrigem Niveau. | |
Längst entschieden haben sich Sara Schechter-Schoeman und Robert Jesselson. | |
Die pensionierte Rechtsanwältin und der Hochschulprofessor, die seit rund | |
40 Jahren in Columbia im US-Bundesstaat South Carolina leben, wollen so | |
bald wie möglich zu ihrer Tochter nach Toronto ziehen, die dort mit einem | |
Kanadier verheiratet ist. | |
„Donald Trump ist ein gefährlicher Demagoge und ich habe das Gefühl, in | |
meinem eigenen Land zur Fremden geworden zu sein“, sagt Sara. „Wir haben | |
Furcht um unsere Zukunft in Amerika“, meint auch Robert. Kurz vor der Wahl | |
hatten die beiden, die ihre jüdische Religion pflegen, an einer | |
Straßenlaterne in der Nachbarschaft ein antisemitisches Poster entdeckt – | |
erstmals in all den Jahren, die sie dort wohnen. | |
An Toronto dagegen bewundert das Paar, wie entspannt und offen die Bewohner | |
ihre religiöse und ethnische Vielfalt pflegen. Wie hoch die Qualität der | |
Schulen und Hochschulen ist. Wie wenig Kriminalität und Gewalt im Alltag zu | |
spüren sind. Dass außer Polizisten niemand mit Waffen am Revers durch die | |
Straßen läuft. Dass alle Kanadier wie selbstverständlich eine staatliche | |
Krankenversicherung besitzen. | |
„Kanada ist eine der letzten echten liberalen Demokratien der Welt“, ist | |
Sara Schechter-Schoeman überzeugt. Den Einwanderungsanwalt haben die beiden | |
bereits kontaktiert, den Immobilienmarkt sondiert, die Antragsformulare | |
vorbereitet. Wenn alles klappt, wollen sie in einem Jahr in Kanada sein – | |
dann nicht nur zu Besuch, sondern für immer. | |
5 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jörg Michel | |
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