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# taz.de -- Museumschefin über Krieg in Kolumbien: „Die Ahnungslosigkeit auf…
> Nach 50 Jahren Bürgerkrieg mit über 200.000 Toten soll Frieden herrschen.
> Museumsleiterin Martha Nubia Bello über einen zentralen Erinnerungsort in
> Bogotá.
Bild: Demonstration im November gegen das Friedensabkommen mit der Farc: Friede…
taz: Frau Nubia, in Kolumbien hat das Friedensabkommen mit der Farc Ende
2016 die wichtigsten politischen Hürden genommen. Doch die Gesellschaft und
die verfeindeten Lager sind noch lange nicht befriedet. Welche Rolle kann
dabei Ihre Institution, das Nationale Zentrum der historischen Erinnerung,
spielen.
Martha Nubia Bello: Wir stehen vor einer kniffligen Herausforderung. Denn
es gibt sehr unterschiedliche Wahrnehmungen des jüngsten historischen
Ereignisses. Historische Wahrheit und historische Erinnerung sind nicht
gleichzusetzen. Wir versuchen durch unsere Arbeit von der historischen
Erinnerung zur Wahrheit vorzudringen. Das ist eine Herausforderung, die
nicht nur Freunde bereitet.
Wie machen Sie das?
Wir arbeiten hier zum Beispiel sehr intensiv mit Opfern und Zeugen der
Geschehen zusammen. Die wissen oft sehr genau, was ihnen widerfahren ist.
Oft auch, warum. In einigen Fällen ist ihnen auch klar, wer dafür
verantwortlich ist. Sie liefern oft die Schlüssel zu Vorgängen, von denen
wir bis dahin nichts Genaues wussten.
Die Stellung der Opfer von Gewalt hat sich in Kolumbien heute verbessert?
Unsere Institution wurde nach dem „Opfergesetz“, Ley de Víctimas, welches
2011 verabschiedet wurde, gegründet. Seither haben Geschichtsaufklärung und
die Stimme der Opfer deutlich mehr Gewicht in Kolumbien.
Sie leiten ein Museum im Aufbau, welches die Geschichte des Bürgerkriegs
darstellen soll. Das ist sicher nicht einfach. Die Akteure sind ja oft noch
völlig legaler Teil der Gesellschaft, wie hart sind da die Konflikte über
die Geschichtsdarstellung?
Es gibt harte Diskussionen, die auch mal ohne Einigung ausgehen. Die Frage,
welche Geschichte dieses Museum darstellen wird und wie wir sie erzählen,
steht natürlich im Fokus. Doch diese Diskussionen sind Teil unserer Arbeit.
Unser Job ist es, zu versöhnen statt zu polarisieren. Wir versuchen, nicht
zu urteilen. Das ist Aufgabe der Gerichte. Wir stellen die
unterschiedlichen Facetten der Geschichte, der Wahrheit dar. Das Museum ist
ein Zentrum der kollektiven Reflexion. Es gibt keine einfachen Antworten
auf die komplexe Realität Kolumbiens und des über fünfzig Jahre dauernden
Konflikts. Dazu gehört auch, dass wir über konkrete Interessen, über
intellektuell Verantwortliche sprechen. Und da beziehen wir uns auf
Sachverhalte, die ausreichend belegt sind – durch nationale wie
internationale Kommissionen und Gerichte.
Wie die sechzehn Urteile des interamerikanischen Gerichtshofs für
Menschenrechte, die den kolumbianischen Staat für massive
Menschenrechtsverletzungen verantwortlich machten?
Sie sind ein Stück Realität, die wir aufgreifen. Auch in unserer
Publikation „Basta Ya!“.
Neben solchen Publikationen wie „Basta Ya“ haben Sie im Oktober auch ein
Onlinearchiv eingeweiht. Hier können sich die Besucher über schwerste
Menschenrechtsverbrechen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht
informieren. Wie reagiert die kolumbianische Rechte, das Centro Democrático
von Expräsident Álvaro Uribe Vélez, auf eine solche Arbeit?
Wir werden kritisiert, teilweise diffamiert, wie vom ehemaligen
Vizepräsidenten Francisco Santos, einem Cousin des heutigen auf Ausgleich
bedachten Präsidenten Juan Manuel Santos. Wir stellen uns der Kritik,
sprechen mit allen Seiten, wozu wir verpflichtet sind, und versuchen dabei
dazuzulernen. Auch in Gesprächen mit den Streitkräften, deren Opfer
ebenfalls ihren Platz im Museum haben, genauso wie die Opfer aufseiten der
Farc, die aber im Vergleich zu den staatlichen eine ganz andere Dimension
einnehmen. Wir gehen mit allen in den Dialog, dulden dabei aber keinerlei
Diskriminierung und auch keine Hierarchisierung der Opfer. Und auch keine
Versuche, den Opfern die Schuld für die an ihnen verübte Gewalt
zuzuschieben. Wir sind der historischen Wahrheit verpflichtet. Das müssen
alle Interessensgruppen akzeptieren.
Haben Sie tatsächlich den politischen Rückhalt, den Sie für diese Arbeit
benötigen?
Es gibt den politischen Willen, sich der Vergangenheit zu stellen. Unsere
Arbeit wird vom Staat finanziert und unterstützt. Aber es gibt auch Sorgen
darüber, was wir in diesem Museum machen. Was für eine Darstellung der
Geschichte am Ende herauskommt. Nicht nur vonseiten der Opfer, sondern vor
allem auch von den bewaffneten Akteuren, legalen wie illegalen. Die Frage,
was das Museum bringt, kursiert in der Gesellschaft. Unsere Arbeit wird
auch in Frage gestellt, weil es so viel soziale Not in Kolumbien gibt.
Ließe sich das Geld nicht besser ausgeben? Andere sagen, die Erinnerung
sollte an den Orten stattfinden, wo die Massaker stattfanden. Nicht in
Bogotá.
Also spiegelt die Debatte über das Museum auch Brüche innerhalb der
Gesellschaft wider, die das Referendum und den Friedenschluss mit der Farc
die ganze Zeit begleiteten?
Diese Brüche wird das Museum ebenfalls darstellen. Wir arbeiten dabei aber
vollkommen autonom, erzählen nicht das, was die Politik gern hören möchte.
Das Museum ist ein Ort der gesellschaftlichen Debatte.
Im Friedensabkommen mit der Farc ist sowohl die juristische Aufarbeitung
der Gewaltverbrechen als auch die Gründung einer Wahrheitskommission
vorgesehen. Was ist wichtiger?
Der Staat hat die Opfer in den Mittelpunkt des Prozesses gestellt. Die
Kernforderung der Opferorganisationen ist die nach historischer Wahrheit.
Es gibt die Bereitschaft, Kompromisse bei der Bestrafung der Täter zu
machen, nicht aber bei der historischen Wahrheit. Die Angehörigen wollen
wissen, was und warum ihren Angehörigen diese Gräuel widerfahren sind, wo
sich ihre sterblichen Überreste befinden und wann sie sie endlich beerdigen
können. Es heißt immer wieder: Die Zeit nach dem Konflikt ist die Zeit der
Wahrheitsfindung, denn der Krieg erlaubt es nicht nachzuforschen.
Das Museum soll erst 2021 seine Tore für die Öffentlichkeit öffnen, wird
aber jetzt nach dem Friedensschluss mit der Farc schon gebraucht. Wie
fangen Sie das auf?
Wir organisieren regelmäßig Veranstaltungen, Ausstellungen, Workshops,
Theater- und Musikaufführungen genauso wie akademische
Diskussionsveranstaltungen. Wir nutzen auch Räume, den uns andere Museen
bieten. So arbeiten wir sehr aktiv mit dem Museum von Antioquia in Medellín
und mit dem Zentrum für Erinnerung Frieden und Versöhnung in Bogotá bei
Ausstellungen zusammen, gehen aber auch in den öffentlichen Raum, in Parks,
auf Plätze und in Fußgängerzonen.
Ist ein solches Museum in der Hauptstadt wirklich richtig situiert?
Die städtische Bevölkerung Kolumbiens hat kaum eine Ahnung, was in den
ländlichen Regionen passiert ist, wo sich der Bürgerkrieg vor allem
abspielte. Die Museen wenden sich nun an die urbane Gesellschaft, um zu
informieren, Auseinandersetzung anzustoßen und die komplette
Ahnungslosigkeit, die hier vorherrscht, aufzubrechen. Ich arbeite auch als
Dozentin an einer Universität und bin immer wieder verwundert wie wenig die
Studierenden darüber wissen, was in diesem unserem Land geschehen ist. Das
müssen wir ändern.
Warum hat man sich für Sie als Leiterin dieser neu zu bildenden Institution
gewandt?
Es ist ein wenig kurios, denn ich bin keine Museumspädagogin. Auch keine
Architektin, keine Historikerin, sondern Sozialarbeiterin. Also solche habe
ich mit Opfern des Konflikts gearbeitet, bin immer tiefer in die Materie
eingetaucht und gebe auch Seminare an der Universität. Das ist mein Weg, um
jetzt dieses Zentrum der historischen Erinnerung mit aufzubauen, das so
wichtig für Wahrheit und Aussöhnung in Kolumbien ist.
18 Jan 2017
## AUTOREN
Knut Henkel
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