# taz.de -- Aktivistin über Lobbyismus: „Niemand kontrolliert die Zahlen“ | |
> Nina Holland von Corporate Europe Observatory kritisiert die | |
> Einflussnahme von Konzernen. Sie fordert eine Pflicht zu mehr | |
> Transparenz. | |
Bild: Damit die Schlote rauchen, investiert die Chemische Industrie Millionen i… | |
taz: Frau Holland, Sie haben dem [1][Konzernatlas (PDF)] Zahlen geliefert, | |
etwa diese: Der European Chemical Industry Council – der Lobbyverband der | |
chemischen Industrie, gibt jährlich 10,2 Millionen Euro für Lobbying in | |
Brüssel aus. Woher stammt diese Zahl? | |
Nina Holland:Es gibt ein freiwilliges Transparenzregister in der EU, in das | |
sich immer mehr Lobbyorganisationen eintragen. Die Zahlen sind aber nur | |
bedingt aussagekräftig, sie stammen von den Unternehmen oder Verbänden | |
selbst. Zur Chemieindustrie: Offiziell nennt sie 10,2 Millionen Euro, doch | |
das Budget für ihr Büro in Brüssel beträgt über 40 Millionen Euro, in ihrem | |
Büro arbeiten 150 Mitarbeiter. Alles was sie machen, ist Lobbying! Also | |
müsste die Zahl im Register viel höher sein. Aber niemand kontrolliert das. | |
Was müsste passieren, um das zu ändern? | |
Der Eintrag im Register müsste Pflicht sein, und die Einträge müssten | |
mindestens stichprobenartig von einer unabhängigen Institution überprüft | |
werden. Außerdem müssten die Lobbyisten veröffentlichen, an welchen Themen | |
sie arbeiten und wie viel Geld sie für welches Thema ausgeben. | |
Worüber die Lobbyisten mit den Beamten reden, wissen Sie nicht? | |
Unser großes Ziel ist, das herauszufinden. Das Register gibt nur die großen | |
Themen wieder, aber nicht die Forderungen oder Argumentationen der | |
Lobbyisten oder wer welche Kontakte hatte. Wir brauchen weiterreichende | |
Informationsrechte, um das zu verbessern. | |
Wo nimmt die Industrielobby nachweislich Einfluss? | |
Da gibt es zahlreiche Beispiele. Zum Beispiel ist das europäische | |
Chemikaliengesetz Reach ganz klar von den Unternehmen abgeschwächt worden | |
oder auch jüngst die Regulierung von hormonell wirksamen und damit sehr | |
gesundheitsschädlichen Chemikalien; da hat die Industrie heftig und | |
effektiv eingegriffen. | |
Welche Industrie hat denn am meisten Einfluss? | |
Das ist schwer zu sagen: Die Chemie- und Nahrungsmittelindustrie haben | |
einen gewaltigen Einfluss, allerdings gab und gibt es hier auch ein starkes | |
Gegenüber in der Zivilgesellschaft. Das ist bei der Bankenlobby anders. Sie | |
konnte lange sehr effektiv arbeiten, weil sich die Öffentlichkeit nicht für | |
ihre Arbeit interessiert hat. Insgesamt sind die EU-Kommission und die | |
Industrie zu stark miteinander verknüpft. | |
Sie kritisieren die „Expert-Groups“ der Kommission, die den Beamten bei der | |
Gesetzgebung beratend zur Seite stehen. | |
Wir haben ungefähr 1.000 Expertengruppen, die bei der EU-Kommission | |
registriert sind. Wer es geschafft hat, dahin ein Mitglied zu entsenden, | |
hat sehr früh Zugang zu Informationen und kann Einfluss auf die | |
Gesetzgebung nehmen. Im Finanzsektor ist das deutlich geworden, da hat der | |
frühe Zugriff der Lobby eine wirksame Regulierung verhindert. Die | |
Expertengruppen sind in einigen Bereichen zu einer Plattform für Lobbyisten | |
verkommen. Das ist nicht nur im Finanzsektor so, sondern etwa auch bei der | |
Pestizidzulassung. Wir haben 30.000 bis 40.000 Lobbyisten in Brüssel, die | |
immer gerne mit ihrer Expertise bereit stehen. Aber die ist | |
interessengeleitet. | |
Wer kann die Rolle der Zivilgesellschaft stärken? | |
Die Kommission könnte mehr Vertreter von Umwelt- oder | |
Verbraucherorganisationen in die Expertengruppen berufen. Aber die | |
Zivilgesellschaft hat viel zu wenig Geld und Leute, um mit der Industrie | |
mitzuhalten, sie kann nur auf einige Themen schauen. Das ist ein weiter Weg | |
zu Waffengleichheit. | |
12 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://germanwatch.org/sites/germanwatch.org/files/konzernatlas2017_web_17… | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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