# taz.de -- Kommentar zur Verfassungsschutzreform: Schneidig, aber falsch | |
> Föderalismus ist kein Überbleibsel von Spinnereien nach dem 2. Weltkrieg. | |
> Wer in der Verfassungsschutzdebatte mehr Zentralisierung will, braucht | |
> gute Gründe. | |
Bild: Auch Thomas de Maiziére sollte die Schatten der Vergangenheit, die der G… | |
Der Föderalismus braucht manchmal einen Tritt in den Hintern. Dann arbeiten | |
die Länder und der Bund enger zusammen. So war das nach dem 11. September | |
2001, als sie das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum schufen, in dem die | |
Informationen der einzelnen Behörden zusammenfließen und eine | |
Entscheidungsgrundlage bieten. So könnte das auch wieder sein, wenn kleine, | |
finanzschwache Bundesländer ihre Ämter für Verfassungschutz mit denen | |
größerer Nachbarn fusionieren. | |
Und ja: [1][Es kann sinnvoll sein], bei der Abschiebung ausreisepflichtiger | |
Gefährder den Bund Regie führen zu lassen, damit es schneller geht; wobei | |
sich so nicht automatisch das Problem auflösen ließe, dass jener Staat | |
blockiern kann, in den abgeschoben werden soll wie Tunesien [2][im Fall | |
Anis Amri]. | |
Aber gerade läuft etwas anderes. Bundesinnenminister Thomas de Maizière | |
startet mit einem harten Aufschlag ins Wahljahr. Er will, dass der Bund in | |
allen übergreifenden Fragen der Sicherheit das Sagen hat. Der CDU-Politiker | |
will zentralisieren, wo es nur geht. Eine „echte Bundespolizei“. Mehr Macht | |
fürs Bundeskriminalamt. Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz. | |
Errichtung eines einzigen großen Inlandsgeheimdienstes. | |
Für die Länder hat der Bundesinnenminister noch die „örtliche | |
Polizeiverantwortung“ übrig. Ein fast mitleidig klingender Begriff. Er | |
verrät, welche Rollenverteilung der Minister will: Die Echten und die | |
Örtlichen. Der Bund sorgt für Sicherheit. Die Länder helfen ein bisschen | |
mit. | |
## Muslimische Gemeinden müssen Partner sein | |
Andere wie SPD-Chef Sigmar Gabriel sagen, dass wer den Terror bekämpfen | |
will, an den Ursachen des Terrors ansetzen muss. Gegen salafistische | |
Hassprediger hilft Härte. Muslimische Gemeinden müssen dagegen Partner | |
sein. Prävention und Repression, Freiheit und Sicherheit: Gabriel ringt um | |
die Balance. | |
De Maizière dagegen macht den schneidigen Zentralisten. Die Kanzlerin | |
pflichtet ihm bei. Mit seinem Vorstoß hat er sogar Horst Seehofer in die | |
Defensive gebracht, der als Ministerpräsident ein Protagonist des | |
Föderalismus ist. | |
Aber Lautstärke ist nicht Stärke. Die föderale Sicherheitsstruktur | |
auseinander zu bauen und in Berlin wieder zusammen, wäre ein langwieriger | |
Prozess. Sollen die Terroristen solange von einer Behördenbaustelle aus | |
bekämpft werden? Und wie sicher ist der Nutzen? Das zentrale Bundesamt für | |
Migration und Flüchtlinge ist nicht gerade eine Erfolgsstory. Und in | |
Frankreich, dem Zentralstaat schlechthin, wüten die Dschihadisten leider | |
auch. | |
Klar, der Status quo hat Fehlerquellen. Geheimdienste schotten sich ab, um | |
ihre Quellen zu schützen. Aber Kästchendenken existiert auch in zentralen | |
Großbehörden. Das Verhalten von Landesämtern war im Falle des NSU | |
fadenscheinig bis katastrophal. Allerdings versagte auch das Bundesamt, als | |
es für den Rechtsterrorismus blind war und auf Informationen sitzen blieb. | |
Im Kampf gegen den islamistischen Terror scheint der Austausch dagegen mehr | |
als ein Jahrzehnt geklappt zu haben. Kooperation immer wieder einzufordern, | |
wäre eine gute Aufgabe für eine stärkere Geheimdienstkontrolle in Bund und | |
Ländern. | |
Wer aber eine Großreform verlangt, muss erkären, warum der Zustand | |
hinterher so viel besser ist, als der Zustand vorher, dass der Preis dafür | |
gerechtfertigt ist. Und der Preis wäre hoch. | |
Der Föderalismus ist kein Überbleibsel von Spinnereien nach dem Zweiten | |
Weltkrieg. Das Zusammenspiel von Bund und Ländern soll Macht begrenzen – | |
gerade in Fragen von Polizei und Geheimdiensten. Der Bund ist ohnehin schon | |
mächtiger als früher. Den Ländern bleiben Schule und Wissenschaft, Kultur | |
und Medien. Und die Polizei. Es sind Bereiche, die den Durchgriff aus der | |
Hauptstadt erschweren. Geteilte Gewalt statt Zentralgewalt. | |
Warum das gut ist, zeigt ein Blick nach Polen oder in die USA, zeigen | |
Kaczyńskis PiS und Donald Trump. Ehe man sich's versieht, sind autoritär | |
denkende Kräfte an der Regierung, die keinen Respekt vor den anderen | |
Institutionen der Demokratie haben. In dieser Situation helfen Checks and | |
Balances, sie verzögern, sie bremsen. | |
Wenn in Frankreich im Mai Marine Le Pen gewänne, würde sie im | |
zentralisierten Frankreich durchregieren. Die Rechtsradikale könnte das | |
Land rasant nach ihren Vorstellungen umformen. In Deutschland ginge das | |
nicht so schnell. Die föderale Republik ist stabiler. Sie ist ein starker | |
Staat. | |
8 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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