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# taz.de -- Umstrittene Investition: Büro statt Gedenkort
> Wo sich früher die Juden für die Zwangsarbeit melden mussten, sollen bald
> Menschen leben und arbeiten. Dagegen gibt es Widerstand.
Bild: Ein Ort mit dunkler Vergangenheit: Fontanepromenade 17, Berlin
BREMEN taz | Ein Bremer Investor kauft in Berlin ein Haus, saniert es und
wandelt die Altbau-Immobilie in Wohnungen und Gewerbeflächen um: So weit,
so normal. Aber dieses Haus, das die Firma Brune & Company sich da im
Berliner Stadtteil Kreuzberg ausgesucht und im Frühjahr 2015 gekauft hat,
ist nicht normal. Das einstöckige neobarocke Gebäude, 1906 als Verbandshaus
für die Fuhrwerks-Genossenschaft erbaut, diente zwischen 1938 und 1945 als
„Zentrale Dienststelle für Juden“ – eine Außenstelle des Berliner
Arbeitsamtes.
Etwa 26.000 Juden mussten sich hier für den Einsatz zur Zwangsarbeit
registrieren lassen. Die Dienststelle arbeitete eng mit der Gestapo
zusammen, die Deportationen wurden auf den Arbeitseinsatz abgestimmt – die
Produktion in den Betrieben sollte nicht beeinträchtigt werden. Weil sich
Anwohner über die vielen Wartenden vor dem Gebäude beschwerten, wurden
schließlich zwei Parkbänke gelb gestrichen – hier durften sich die Juden
setzen, während die anderen Bänke den „Ariern“ vorbehalten blieben. Aus d…
klangvollen Adresslage „Fontanepromenade“ wurde schließlich im Volksmund
„Schikanepromenade“.
Nach dem Krieg wurde das Gebäude von den Besatzungsmächten der
evangelischen Kirche zugeschlagen, die es wiederum den Mormonen überließ.
Die nutzten das Gebäude bis 2011 als Kirche. Seitdem stand es leer. Eine
Stadtteilinitiative nahm sich der Geschichte des Gebäudes an und
installierte schließlich eine Stele, die über die dunkle Vergangenheit des
Ortes informiert.
Dass nun in dem historischen und unter Denkmalschutz stehenden Gebäude
Büros und Wohnungen geschaffen werden sollen, passt vielen nicht: Gegen den
Umbau durch den Bremer Investor hat sich eine Bürgerinitiative „Gedenkort
Fontanepromenade 15“ formiert.
Die Mitglieder fordern einen sofortigen Baustopp. „Das ist unsere
Maximalforderung“, sagt Lothar Eberhardt von der Bürgerini, „wir wollen das
durchsetzen.“ Das Gebäude müsse als Gedenkort nicht nur markiert werden,
sondern auch erfahrbar sein, so Eberhardt weiter. Allzu große rechtliche
Handhabe haben sie allerdings nicht: Für den Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg gibt es keinen Grund, die erteilte Baugenehmigung
zurückzunehmen. Eberhardt fordert eine öffentliche Diskussion, „um ein
würdiges Gedenken zu realisieren“, sagt aber auch: „Das geht jetzt nur noch
mit dem Eigentümer zusammen.“ Die Bürgerinitiative hat sich mit einem Brief
an die Bremer Firma Brune & Company gewandt, eine Antwort haben sie noch
nicht erhalten.
Prominente Unterstützung erhält die Bürgerinitiative inzwischen von Inge
Deutschkron: Die deutsch-israelische Journalistin und Überlebende des
Holocaust musste sich 1941 selbst in der Fontanepromenade 15 zum Einsatz in
der Zwangsarbeit bei der IG Farben melden. In einem offenen Brief an den
Berliner Kultursenator Klaus Lederer und die Bezirksbürgermeisterin von
Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann schreibt die inzwischen
94-Jährige: „Damit bin ich eine von vielen tausend Berliner Jüdinnen und
Juden, für die dieser Ort der Ausgangspunkt unsäglichen Leidens geworden
ist.“ Sie appelliere an die Adressaten, sich dafür einzusetzen, „dass
dieses Gebäude eine Nutzung erfährt, die seiner historischen Bedeutung
gerecht wird.“
Der Bremer Investor zeigt sich indes gesprächsbereit: „Wir wollen uns der
Geschichte nicht entziehen“, sagte Architekt Marc Brune der taz. Das
Vestibül etwa solle ohnehin ein öffentlicher Ort sein, und auch die Stele
vor dem Gebäude soll beibehalten werden. Ihm ist besonders wichtig, dass
die Fontanepromenade 15 kein Spekulationsobjekt sein soll: „Es wird nicht
saniert und weiterverkauft, sondern wir nutzen einen Teil des Gebäudes
selbst.“ So soll sein seit Jahren in Berlin bestehendes Architekturbüro
dort einziehen.
Wichtig sei ihm gewesen, so Brune, „dass das Gebäude nicht ursprünglich zu
dem Zweck erbaut wurde, Juden zu drangsalieren. Gebäude, die eine solch
schreckliche Zwischennutzung erfahren haben, gibt es in Berlin viele.“ Er
habe vorab in seinem Projektentwicklungsteam, in dem auch ein jüdischer
Mitarbeiter arbeite, diskutiert, ob jemand moralische Bedenken gegen das
Projekt habe – er sei sich der Verantwortung bewusst.
Im Hinblick auf die Bürgerinitiative sagte Brune: „Sollten sich
Interessengruppen, Vereine oder auch jüdische Gemeinden dafür
interessieren, einen Teil des Gebäudes als Gedenkort zu nutzen und dafür zu
einem ortsüblichen Mietzins zu mieten, würden wir uns dem nicht
verschließen.“ Mit der Bürgerinitiative will er sich in der kommenden Woche
zusammensetzen.
15 Jan 2017
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Investitionen
Juden
NS-Gedenken
Fritz Bauer
Denkmalschutz
Shoa
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Antisemitismus
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