# taz.de -- Kolumne Durch die Nacht: Es lebe die Wegwerfkultur! | |
> Einen Laden im tiefsten Treptow „Festsaal Kreuzberg“ zu nennen, findet | |
> Andreas Hartmann ziemlich gaga. | |
Bild: Im Juli 2013 war der Festsaal Kreuzberg – damals noch in Kreuzberg – … | |
Ja, es ist vorbei: das „White Trash“, einst Touri-Falle in Mitte, dann | |
irgendwas schwer Definierbares in Treptow, ist Geschichte. Kurz vor | |
Weihnachten, wenn sich eigentlich alle hätten lieb haben sollen, ging es | |
noch einmal richtig hoch her um den Laden, der dann in einem | |
Insolvenzverfahren abgewickelt wurde und der jetzt „Festsaal Kreuzberg“ | |
heißt, obwohl Kreuzberg ganz woanders ist. | |
Ich war nur ein Mal im Treptower „White Trash“, fand den Bretterverhau | |
rein optisch ziemlich schrecklich und kann persönlich gut damit leben, dass | |
es ihn jetzt nicht mehr gibt. Wegen mir hätte man aber auch keinen | |
„Festsaal Kreuzberg“ neu eröffnen müssen – weder in Kreuzberg noch sonst | |
wo. | |
Der Club ist vor Jahren abgebrannt. Das war nicht schön, der „Festsaal“ war | |
wirklich ein spezieller Ort. Ich hätte es begrüßt, wenn er nach dem Brand | |
an alter Stelle neu entstanden wäre, wie es immer mal wieder im Gespräch | |
war. Jetzt aber einen Laden im tiefsten Treptow „Festsaal Kreuzberg“ zu | |
nennen, halte ich für ziemlich gaga, obwohl ich verstehe, dass man | |
unbedingt an die eigene, glorreiche Geschichte anknüpfen möchte. | |
Aber für mich wirkt das neue Projekt eher nach Etikettenschwindel. Auch | |
weil ja hier nicht nur die okayen Undergroundtypen vom „Festsaal“ ein neues | |
Zuhause gefunden haben, sondern diese sich, um die Kosten überhaupt stemmen | |
zu können, mit anderen, eher nicht so undergroundigen Clubbetreibern | |
zusammengetan haben. Spannend war beim alten „Festsaal Kreuzberg“ auch, | |
dass er wie ein Stachel der Off-Kultur in einem von der Gentrifizierung | |
zunehmend geprägten Kreuzberg wirkte. Nun schmeißt man halt einen | |
Konzertschuppen, in dem bestimmt auch wieder außergewöhnliche und | |
innovative Bands auftreten werden, irgendwo da draußen, wo vom | |
subkulturellen Treiben außer den Konzertbesuchern niemand etwas mitbekommen | |
wird. | |
Was da nun genau lief hinter den Kulissen bei der Übernahmeschlacht des | |
„White Trash“, ist nur noch schwer zu klären. „White Trash“ und „Fes… | |
Kreuzberg“ haben sich in der Zeit rund um das Insolvenzverfahren jedenfalls | |
nichts geschenkt. „White Trash“-Betreiber Walter Potts wollte ursprünglich | |
seinen eigenen insolventen Laden mit den „Festsaal Kreuzberg“-Leuten neu | |
übernehmen. Es kam zum Zerwürfnis, Pamphlete und Gegenpamphlete wurden | |
öffentlich verbreitet, Richtigstellungen, eine Unterschriftenaktion | |
kursierte. Von „heulenden Wölfen“, die da an seiner Tür kratzten, schrieb | |
Potts ernsthaft, als sei er Rotkäppchen und die vom „Festsaal“ | |
zähnefleischende Bestien. Ein öffentlicher Krieg wurde da ausgefochten um | |
eine hässliche Bretterbude, die bekannt war für ihre überteuerten Burger. | |
Eigentlich legt man in der Berliner Clubkultur großen Wert darauf, nach | |
außen den Eindruck zu erwecken, alle würden sich lieb haben und zusammen | |
sei man eine glückliche Familie. Gemeinsam sind alle brav in der | |
Clubcommission, begrüßen deren Lobbyarbeit, und wenn der eine Laden Ärger | |
hat wegen Nachbarn, die gerne mehr Ruhe und weniger Punkkonzerte neben sich | |
hätten, wird sich untereinander solidarisiert. Natürlich auch deswegen, | |
weil man selbst schon der nächste Club mit nervigen Nachbarn sein kann. | |
Dank der Schlacht um das „White Trash“ sieht man immerhin mal, was da sonst | |
noch so läuft in der Clubszene und dass in der Berliner Subkultur, wenn es | |
ums Geschäft geht, auf den netten Indie-Spirit und solidarischen Umgang | |
auch schnell mal verzichtet werden kann. Außerdem weiß ich jetzt – das ist | |
die wahrscheinlich erschreckendste Erkenntnis aus der ganzen Sache –, dass | |
tatsächlich das traurige Treptow bereits als Berliner Spitzenlage gilt. | |
15 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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