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# taz.de -- 20 Jahre Festsaal Kreuzberg: Immer politisch geblieben
> Am 4. Oktober 2004 wurde am Kottbusser Tor der Festsaal Kreuzberg
> eröffnet. Heute residiert der Club in Alt-Treptow. Eine Geschichte des
> Wandels.
Bild: „Wir bewegen uns nicht in den immergleichen Nischen“: Festsaal-Betrei…
Berlin taz | Nirgendwo ist Kreuzberg so Kreuzberg wie am Kottbusser Tor.
Von hier aus scheint das Neben- und Durcheinander von Herkünften und
Haltungen, Styles und Codes, die Anmutung von Süchten und Sehnsüchten in
den Ortsteil hineinzustrahlen. In der Skalitzer Straße 130, zu Füßen
[1][der massiven Blöcke des Zentrums Kreuzberg] – besser bekannt als NKZ –
beginnt am 4. Oktober 2004 auch die Geschichte des Festsaals Kreuzberg.
In einem äußerlich unscheinbaren Hinterhaus neben einer Moschee, in dem
vorher Hochzeitsfeiern stattfanden, eröffnet damals der Veranstaltungsort,
der ein Programm macht wie vielleicht kein Berliner Club zuvor.
„Wir haben Punkkonzerte, Boxgalas und Wrestlingshows veranstaltet, es gab
türkische Hochzeiten bei uns, ich erinnere mich aber auch an Abende mit
nigerianischen Sängern und russischen Privatfeiern“, sagt Björn von
Swieykowski, der den Festsaal damals mit zwei befreundeten Veranstaltern
gegründet hat.
In den Nullerjahren bildet der Festsaal mit den umliegenden Clubs eine
magische Ausgehmeile. „Es gab den Monarch, das West Germany, die Paloma Bar
und den Festsaal. Wenn du wolltest, konntest du von einem Club zum anderen
ziehen. Und du hast überall Leute aus der Kulturszene auf der Straße
getroffen“, so von Swieykowski.
## Ein Brand und seine Folgen
20 bewegte Jahre hat der Festsaal Kreuzberg nun hinter sich – und eine
große Zäsur: [2][Im Juli 2013 brennt der Saal nahe des Kotti aufgrund eines
technischen Defekts aus und muss schließen.] Heute liegt er wenige Meter
hinter der Bezirksgrenze auf dem Arena-Gelände in Treptow. Geblieben in all
der Zeit ist: das diverse Programm.
„Ganz unterschiedliche Communitys und Szenen fühlen sich bei uns wohl“,
sagt von Swieykowski, der den Veranstaltungsort noch immer betreibt. „Was
alle dabei vielleicht verbindet: eine progressive, humanistische
Grundhaltung, die sich im Schaffen der Künstler*innen ausdrückt. So
können sie sich auch in all ihrer ästhetischen Unterschiedlichkeit
gegenseitig anerkennen.“
20 Jahre später steht Björn von Swieykowski wieder an der Skalitzer, er
kommt gerade vom Dönerladen. „Den Betreiber kenne ich noch gut, der feiert
bald 40-jähriges Bestehen.“ Gemeinsam mit Christoph Nahme und Christopher
Schaper eröffnet von Swieykowski 2004 hier den Festsaal, die drei kennen
sich aus Göttingen. Der alte Betreiber des Hochzeitssaals, ein türkischer
Geschäftsmann, überlässt ihnen die Räume.
In Prenzlauer Berg sterben damals langsam die letzten interessanten Orte
aus, Kreuzberg hingegen erfährt eine Wiederentdeckung. „Mit dem wilden
Osten war es vorbei, Kreuzberg war wieder im Kommen. Da waren wir einmal in
unserem Leben zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt von Swieykowski,
lacht und schlendert an der Hochbahn entlang in Richtung des neuen
Standorts.
## Wohnzimmeratmosphäre und Wohnzimmerwärme
Der „alte“ Festsaal Kreuzberg wird ein Fixpunkt im Berliner Nachtleben. Der
Ort strahlt für viele Wohnzimmeratmosphäre und -wärme aus, mit seiner
kleinen Empore und dem Holzgeländer, dem rötlichen Anstrich, der
vergleichsweise kleinen Bühne. Häufig ist der Raum prall gefüllt, ob bei
Noisekonzerten, Soulpartys, politischen Diskussionen oder zur Kür der „50
schönsten Rapper Berlins“. Viele denkwürdige Indiekonzerte finden hier
statt: Melvins, Mutter, Peaches, Superpunk, DAF, SunnO))), J Mascis, Stereo
Total.
Nach dem Brand entsteht ein Vakuum – am Kottbusser Tor und in der Berliner
Clublandschaft. Die Betreiber wollen eigentlich an alter Stelle neu
eröffnen, nach Sanierung des Gebäudes, das die Flammen knapp überlebt hat.
Sie starten ein erfolgreiches Crowdfunding, bezahlen davon Architekten, die
den Wiederaufbau planen. Doch 2014 platzt der Deal mit dem Vermieter. Es
beginnt die Suche nach einem neuen Standort.
Zwei Jahre darauf muss das [3][von Prenzlauer Berg auf das Arena-Gelände
umgezogene White Trash] Insolvenz anmelden. Neue Mieter werden gesucht. Am
Ende bekommen von Swieykowski und Co den Zuschlag für die Räume am
Flutgraben.
„Uns war nicht klar, ob wir noch mal die Energie aufbringen können, einen
Club neu aufzubauen“, sagt er heute. Aber es gelingt. Anfang 2017 feiern
sie Wiedereröffnung. An einem viel größeren Ort, mit nicht ganz so
gemütlicher Anmutung und großem Außengelände.
## Keinen Bock auf BDS-Propaganda
Mittlerweile ist von Swieykowski am Flutgraben angekommen. Er sitzt im
weiträumigen begrünten Biergarten des Festsaals, vor sich eine Schorle.
Unter einem Pavillon baumelt eine Discokugel. [4][Aus dem Subkulturclub ist
ein mittelständisches Unternehmen mit rund 90 Mitarbeiter*innen
geworden.]
Seit der Neueröffnung finden auch größere, mehrtägige Events im Festsaal
statt, NGOs mieten den Saal, kürzlich lud die taz-Genossenschaft hier zur
Hauptversammlung. „Gestern hat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft bei
uns sein Sommerfest veranstaltet“, erzählt von Swieykowski, „der Gastredner
war Robert Habeck.“
Ein politischer Ort ist der Festsaal Kreuzberg seit jeher. Auch im
Nahostkonflikt, der die Berliner Clubszene entzweit, haben sich die
Betreiber positioniert. Von Swieykowski sagt: „Wir möchten nicht, dass bei
uns BDS-Propaganda stattfindet. Genauso soll es keinen wie auch immer
gearteten positiven Bezug auf den 7. Oktober oder eine Verharmlosung des
Massakers bei uns geben.“
Kurz nach dem 7. Oktober veröffentlichten sie ein israelsolidarisches
Statement, auch deshalb, weil die Rapperin Nura (SXTN) kurz darauf bei
ihnen auftreten sollte. Die hatte unmittelbar nach dem Hamas-Massaker auf
Instagram ein Foto gepostet, auf dem sie vor einem Banner mit der
Aufschrift „Free Palestine“ posiert. Man suchte das Gespräch mit ihrem
Booker und dem Veranstalter, machte deutlich, was im Club geht und was
nicht. Das Konzert fand statt.
Abgesagt hat der Festsaal hingegen 2018 ein Konzert des jamaikanischen
Dancehall-Musikers Bounty Killer, [5][der in seinen Songtexten übel gegen
Homosexuelle gehetzt hatte]. „Das haben wir einfach falsch eingeschätzt,
als wir ihn gebucht haben“, sagt von Swieykowski. Es gebe „rote Linien“,
Homophobie zähle natürlich dazu.
## Kreuzberg in Alt-Treptow
Der Club hat in zwei Dekaden vergleichsweise viel durchgemacht, neben allem
eine Pandemie überstanden, auch dank staatlicher Überbrückungshilfen. Von
Swieykowski und Christopher Schaper sind für den Festsaal heute zu zweit
als Geschäftsführer zuständig, betreiben zusätzlich das BiNuu am
Schlesischen Tor.
Den Wandel des Clubs sehen die insgesamt fünf Gesellschafter als
natürlichen Prozess: „Wir haben uns weiterentwickelt. Wir verwalten nicht
nur einen Indieclub, den mittelalte und alte Leute besuchen, wir bewegen
uns nicht in den immergleichen Nischen, sondern sprechen auch junge Szenen
an, probieren neue Formate“, sagt von Swieykowski.
An der Skalitzer befindet sich heute wieder ein reiner Hochzeitssaal,
„Queens Palace“ heißt er, von den Festsaal-Vibes ist nicht viel geblieben.
Im nördlichsten Zipfel von Treptow-Köpenick strahlt dafür ein neuer Ort.
Nicht ganz so cosy, aber mit Inhalten glänzend. Nirgendwo, denkt man sich,
ist Alt-Treptow so sehr Kreuzberg wie hier.
20 Jahre Festsaal Kreuzberg, 4. und 5. Oktober, jeweils ab 20 Uhr, Am
Flutgraben 2, mit Fuffifufzich, Brezel Göring & Psychoanalyse, Erregung
Öffentlicher Erregung, Grim104 u. a.
4 Oct 2024
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[5] /Dancehall-Musiker-Bounty-Killer/!5497855
## AUTOREN
Jens Uthoff
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umgeleitet.
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