Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- SPD-Vize über Politik und Kommunikation: „Klare Sprache ist eine…
> Müssen Demokraten einfacher sprechen, um Rechten zu kontern? Ralf Stegner
> über Plastiksprache, deutschen Ernst und Zuspitzung​.
Bild: Stegners Motto: „Antworte wahrheitsgemäß. Reagiere schnell. Antworte …
taz: Herr Stegner, Sie haben vor Ihrer Politikkarriere als Pressesprecher
gearbeitet. Welche Tricks nutzen Sie heute noch?
Ralf Stegner: Ich versuche in der Politik drei Regeln zu beherzigen, die
auch für Pressesprecher gelten. Antworte wahrheitsgemäß. Reagiere schnell,
wenn du gefragt wirst. Antworte nie langweilig. Damit fahre ich ganz gut.
Sie sind ein Politiker, der gerne zuspitzt. Wie wichtig ist Sprache für
Sie?
Sprache ist das entscheidende Werkzeug der Politik. Die Menschen müssen
verstehen, was wir Politiker wollen. Und ich glaube: Die Unterschiede
zwischen den Parteien dürfen nicht verwischen, nur so funktioniert die
Demokratie.
Frei nach Martin Luther: Tritt frisch auf, tu's Maul auf, hör bald auf?
Politiker sollten klar und verständlich sprechen. Sie dürfen nie vergessen,
dass viele BürgerInnen keine Zeitung lesen – oder die mit den großen
Buchstaben. Diese Leute haben auch ein Recht darauf, zu verstehen, was eine
Partei will. Ich habe mir früh vorgenommen, so zu schreiben und zu
sprechen, dass meine Eltern mich verstehen würden.
Ihre Eltern betrieben eine Gastwirtschaft, sie haben vier Brüder und
Schwestern.
Ich war der erste aus der Familie, der die Universität abgeschlossen hat
und promovierte. Ich finde die technokratische, abwägende Sprache vieler
Politiker fürchterlich. Diese Plastiksprache. Da redet einer eine
Viertelstunde, und du weißt hinterher nicht, was er will. Dieses
Hintertürchen offen lassen, damit man nicht festgelegt werden kann.
Oft ist es die Furcht, Komplexes falsch zu vereinfachen.
Politik ist nicht Wissenschaft. Sprache darf auch mal zupackend sein.
Sportmetaphern sind okay. Witze meistens auch.
Die SPD-Spitze verabredet per Telefonschalte eine Botschaft. Überlegen Sie
dann zu Hause, wie Sie die am besten rüberbringen?
Klar, das mache ich immer. Aber vieles entsteht auch spontan. Während des
Studiums habe ich hobbymäßig Kabarett gemacht. Ich mag bunte, lebendige
Sprache und Wortwitz. Manchmal bin ich dennoch verblüfft über die Wirkung.
Du denkst, du hast dich glasklar ausgedrückt, trotzdem wird es anders
verstanden. Manchmal auch gezielt.
Testen Sie Formulierungen mit Vertrauten?
Ich höre sehr genau auf das, was mir Mitarbeiter oder Wählerinnen spiegeln.
Meine Frau hilft mir auch. Wenn sie sagt, lass diesen Spruch mal besser
sein, mache ich das.
Welche Formulierung ist mal so richtig schief gegangen?
Oft sind es Kleinigkeiten oder der Tonfall. Ich passe zum Beispiel auf,
wenn ich über gesellschaftlichen Aufstieg rede. Wichtiges Thema für die SPD
und auch für mich selbst. Wir dürfen keine Akademiker-Partei werden, in
allen Berufen geht es um gute Arbeitsbedingungen, dafür sind wir da. Einer
klugen und hart arbeitenden Krankenschwester darf ich nicht den Eindruck
vermitteln, sie müsse unglücklich sein, weil ihr irgendetwas fehlt, nur
weil sie keine akademische Laufbahn macht.
Gelingen die besten Zuspitzungen spontan?
Manchmal. Meist steckt Arbeit dahinter. Wenn ich ein Interview autorisiere
oder einen Text auf Facebook veröffentliche, feile ich an jedem Satz. Ich
achte auf Präzision.
Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: SPD-Papiere klingen oft wie
akademische Abhandlungen.
Die Neigung zu akademischer Sprache finden Sie in jeder Partei.
Aber nicht jede Partei will die so genannten einfachen Leute für sich
gewinnen.
Ja, auch die SPD kommuniziert manchmal zu technokratisch. Menschen, die bei
uns denken und formulieren, haben bestimmte Biografien, waren etwa an der
Uni. Dann sind in Führungskreisen oft Experten für ein Thema unter sich.
Manchmal gibt es interne Kompromisse, die Papiere unleserlich machen. Aber
die Sensibilität für das Thema wächst.
Woran machen Sie das fest?
Es gibt zum Beispiel im Willy-Brandt-Haus eine von Sigmar Gabriel und
Katarina Barley angeschobene Arbeitsgruppe, die sich um klare Sprache
kümmert. Stehen zu viele Fremdworte in einem Text? Müssen es zehn Seiten
sein, oder reichen fünf Spiegelstriche? Klingt banal, ist aber wichtig.
Ist es ein Problem, dass unter SPD-Spitzenfunktionären kaum noch Arbeiter
sind?
Ich sage es mal so: Kurt Beck war ein sehr guter SPD-Vorsitzender. Über ihn
haben sich Journalisten damals lustig gemacht, weil er aus seiner Herkunft
und seiner Liebe zur Provinz nie einen Hehl gemacht hat. Dabei bleiben wir
Sozialdemokraten nur Volkspartei, wenn auch in unseren Gremien
Verschiedenheit repräsentiert ist. Es darf niemals sein, dass
Sozialdemokraten mit Arroganz oder von oben herab auf die Milieus schauen,
aus denen wir stammen. Schon, wenn das so wirkt, wäre das fatal.
Hilft eine einfache Sprache gegen den Aufstieg der Rechtspopulisten?
Eine klare, verständliche Sprache ist eine wichtige Waffe gegen die
Rechten. Was die AfD will, nutzt ja eben nicht den Arbeitern, sondern den
Privilegierten. Das müssen wir so rüberbringen, dass es jeder kapiert. Wir
dürfen nicht in unserem Biotop hocken bleiben.
Sigmar Gabriel hat Rechte, die vor einer Flüchtlingsunterkunft in Heidenau
protestierten, „Pack“ genannt. War diese Beschimpfung kontraproduktiv?
Warum?
Weil sich die Rechten danach als ausgegrenzte Opfer hinstellen konnten.
Das ist mir zu kompliziert. Ich fand das Wort treffend und richtig. Wer
wehrlose Menschen mit Gewalt bedroht, wer Frauen und Kinder attackiert, der
darf sich nicht beschweren, wenn man das Kind beim Namen nennt.
Gewalttätige Neonazis sind für demokratische Parteien eh verloren.
Wo verläuft die Grenze zwischen derber und unflätiger Zuspitzung?
Das ist eine Gratwanderung, immer wieder aufs Neue.
Begibt man sich nicht auf das Niveau der Rechten, wenn man zurückschimpft?
Angst vor Klartext zu haben, weil ihn die Gegenseite gegen dich wenden
könnte – das wäre falsch. Ich sehe da auch eine historische Verantwortung.
Die Sozialdemokraten unterlagen dem Agitprop der Kommunisten und der
Propaganda der Nazis in der Weimarer Republik vielleicht auch deshalb, weil
sich mancher in der Führung zu vornehm für Klartext war.
Manche finden, es sei Zeit für linken Populismus. Wie sehen Sie das?
Mir gefällt der Begriff Populismus nicht, weil er historisch belastet ist.
Linke Politik ist progressiv, nicht reaktionär, sie verändert das Leben der
Menschen zum Besseren. Aber das Konfrontative herausarbeiten, Komplexes
vereinfachen, damit kann ich was anfangen. Wir dürfen den Rechten das
Terrain von Pointen, Zuspitzungen und klarer Aussprache nicht überlassen.
Sie sind auch wegen Ihrer deftigen Wortwahl zu einer Hassfigur für Rechte
geworden und werden in sozialen Netzwerken angefeindet. Ist das ein Lob
oder eine Belastung?
Beides. Ich habe ja eher eine robuste Natur und denke: So falsch liegst du
nicht, wenn die dich so hassen. Aber die Verrohung im Diskurs lässt einen
auch nicht unberührt. Leute unterschreiben heutzutage mit vollem Namen
Morddrohungen.
Zeigen Sie die an?
Echte Bedrohungen melde ich der Polizei. Beleidigungen nicht mehr. Da käme
ich nicht hinterher.Denken Sie da manchmal: Schalte mal einen Gang
zurück?Ich denke viel über die sozialen Netzwerke und ihre Wirkung nach.
Für mich sind sie eine Versuchung. Ich habe direkten Kontakt zu Menschen,
die schnelle Pointe, die harte Debatte, das liegt mir.Und andererseits?Ist
es natürlich vergeudete Lebenszeit, sich mit einem Hardcore-Nazi auf
Twitter zu streiten. Oft weiß man auch nicht, ob es Bots sind oder echte
Menschen. Der ganze Hass hält dann leider normale Bürger davon ab, auf
meinen Seiten Stellung zu beziehen, weil sie sich die Bande nicht auf ihre
Seiten holen wollen.
Aber einfach mal schweigen ist keine Option?
Eher nicht. Man muss den Rechten Paroli bieten. Und mir liegt Twitter eben,
glaube ich.
Donald Trump hat die Wahl in den USA gewonnen, obwohl er unglaubliche Lügen
verbreitet hat. Könnte es in Deutschland bald genauso laufen?
Das ist eine meiner großen Sorgen. Wenn die Wahrheit nicht mehr zählt,
wirkt das für die SPD zerstörerisch. Für uns sind Programme, Fakten und
Aufklärung wichtig. Gelten Argumente nicht mehr, bekommen diejenigen Recht,
die keine haben. Postfaktische Zeiten überstehen nur Machtparteien wie die
CSU. Seehofer kann drei Mal am Tag etwas Neues behaupten, es schadet ihm
kaum.
Sie sind während des US-Wahlkampfes durch die Staaten gereist. Was kann
deutsche Politik von amerikanischer lernen?
Ich war zum Beispiel auf der National Convention der Demokraten und habe
die Rede von Michelle Obama gehört. Unglaublich inspirierend, klug,
unverstellt. Ich glaube, die Sprache der Politiker ist dort manchmal näher
an den Menschen.
Ist Barack Obama so etwas wie der idealtypische Sozialdemokrat?
Charismatiker gab es auch hier, nehmen Sie Willy Brandt. Aber klar, von
Obama kann man sich viel abschauen. Er hat Humor, nimmt sich selbst nicht
so ernst und transportiert Leidenschaft. So steckte er die Menschen an.
Ohne Leidenschaft stirbt die Demokratie. Deutsche Politik kommt leider oft
offiziös und mit teutonischem Bierernst daher.
Sie schauen in Talkshows auch oft schlecht gelaunt.Mag sein. Meine
Mitarbeiter sagen mir seit Jahren, dass es nicht nur auf die Sprache
ankommt, sondern dass ich auch etwas häufiger lächeln könnte. Da ist gewiss
noch Luft nach oben.
Und?
Ich arbeite daran. Im normalen Leben sagen mir die Leute oft: „Sie sind ja
viel netter als im Fernsehen. Und Sie haben Humor!“
Was Sie nicht sagen.
… wenn ich irgendwo einen Auftritt hatte, schreibt die Lokalzeitung
manchmal am nächsten Tag, ich sei „erstaunlich witzig“ gewesen. Ich bin
dann immer erstaunt, warum da „erstaunlich“ steht.
30 Dec 2016
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Ralf Stegner
SPD
Sprache
Populismus
Rechtspopulismus
Wahlkampf
Ralf Stegner
Kabarett
Barack Obama
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Angela Merkel
SPD
Jusos
## ARTIKEL ZUM THEMA
Und täglich grüßt der Stegner: Moin aus Bordesholm
Der SPD-Fraktionschef ist ein Poweruser der sozialen Netzwerke. Er twittert
ständig und begrüßt die Schleswig-Holsteiner jeden Morgen auf Facebook.
20 Jahre Klavierkabarett von Bodo Wartke: „Die Musik der Sprache wecken“
Bodo Wartke singt humorvolle, gesellschaftskritische Lieder. Doch auf der
Bühne zählt für ihn nicht nur das Dauerlachen des Publikums.
Barack Obamas Abschiedsrede: Ein trotziges „Yes, we can“
In seiner Abschlussrede in Chicago fordert der scheidende US-Präsident
seine Mitbürger auf, ihre Verantwortung als Bürger wahrzunehmen.
Soziologe zu Erfolg von Rechtspopulismus: „Die Scham wird in Wut verwandelt“
Der Aufstieg von rechten Populisten liege auch am Versagen westlicher
Sozialdemokraten, sagt Sighard Neckel. Neue Bündnisse seien dringend
notwendig.
Kommentar Merkel und linke Kritik: Anstand schlägt Affekt
Mit Merkel geht doch noch was. Das kann die gesellschaftliche Linke aus der
Debatte über den Anschlag von Berlin lernen.
Kommentar Personalpolitik der SPD: Mutlose Bratwurst-Logik
Die junge SPD-Linke Johanna Uekermann darf nicht in den Bundestag. Diese
beamtenhafte Entscheidung ist leider typisch für die Sozialdemokratie.
Juso-Chefin bekommt kein Mandat: Sie eckt in der SPD an
Alles nur Regionalproporz. Nach der Parteitag-Pleite in Bayern muss die
unbequeme Johanna Uekermann ihre Zukunft in der SPD überdenken.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.