# taz.de -- Barack Obamas Abschiedsrede: Ein trotziges „Yes, we can“ | |
> In seiner Abschlussrede in Chicago fordert der scheidende US-Präsident | |
> seine Mitbürger auf, ihre Verantwortung als Bürger wahrzunehmen. | |
Bild: Peace out: US-Präsident Barack Obama verabschiedet sich aus seinem Amt | |
New York taz | Es ist ein Abschied von der bitteren Sorte. Aber Barack | |
Obama versucht ihn dennoch zu zelebrieren. Er tut es nicht im Oval Office, | |
sondern vor 20.000 Menschen in einer der größten Kongresshallen des | |
Kontinents. | |
Er hält es nicht kurz, sondern spricht 45 Minuten lang. Und er definiert | |
nicht nur das, was er als sein Erbe in den Geschichtsbüchern sehen möchte, | |
sondern er versucht zugleich, seine Anhänger aufzurütteln und ihnen die | |
Angst vor dem zu nehmen, was kommt. | |
„Unsere Demokratie braucht euch“, sagt er am Dienstagabend in Chicago, | |
„schnürt eure Schuhe und organisiert.“ | |
Es ist der Obama-typische Mix aus Predigt und Vorlesung, gespickt mit | |
Zitaten aus der Verfassung und aus der Geschichte. Aber dieses Mal ist es | |
angereichert mit Agitation. | |
Ohne den Namen seines Nachfolgers zu nennen, will Obama ihm eine Nation von | |
Aktivisten hinterlassen. „Wenn ihr genug habt von den anonymen Attacken im | |
Internet“, rät er, „dann versucht das echte Leben.“ | |
## Er warnt vor den derzeitigen Verhältnissen | |
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein scheidender US-Präsident zum Abschluss | |
seine Erfolge nennt. Obama zählt dazu die wirtschaftliche Erholung nach der | |
Finanzkrise, die langanhaltende Phase der Schaffung von Arbeitsplätzen, die | |
Wiederaufnahme von Beziehungen zu Kuba, das Atomabkommen mit dem Iran und | |
die Gesundheitsreform, die 20 Millionen US-Amerikanern einen | |
Krankenversicherungsschutz verschafft hat. „Hätte ich all das vor acht | |
Jahren versprochen, hätte es vermessen geklungen“, sagt er. | |
Selten ist es hingegen, dass ein scheidender Präsident seine Landsleute vor | |
den Verhältnissen im eigenen Land warnt. Dwight Eisenhower hat das 1961 auf | |
legendäre Art getan. Nachdem unter seine Präsidenz die Aufrüstung | |
galoppiert war, warnte er zum Abschied vor den Gefahren eines | |
unkontrollierbaren militärisch-industriellen Komplexes. | |
Doch bei Obama geht es um mehr als einen Komplex. Er sieht die Demokratie | |
selbst in Gefahr. Und er will sie gegen Diskriminierungen und soziale | |
Ungerechtigkeiten, gegen Unwissenheit und Intellektuellenfeindlichkeit und | |
gegen den Mode gewordenen Ansturm gegen Fakten und naturwissenschaftliche | |
Forschungen verteidigen. | |
Immer wieder zieht er den Bogen von der Sklaverei über die Segregation bis | |
in die Gegenwart. Er hält gegen die These von der „postrassistischen | |
Gesellschaft“, die zahlreiche Medien bereits vor acht Jahren einläuteten, | |
als er als erster schwarzer Präsident ins Weiße Haus einzog. | |
Die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß seien besser geworden, sagt er, | |
aber „Rasse ist weiterhin eine mächtige und spaltende Kraft“. Er warnt | |
davor, die weiße Mittelschicht gegen eine Minderheit auszuspielen: „weil | |
darunter alle Arbeiter leiden“. Und er sagt, dass das Land allen schade, | |
wenn es nicht bereit sei, in Immigrantenkinder zu investieren, „weil sie | |
anders aussehen“. | |
## „Vier Jahre mehr“, rufen die Fans | |
Die Stimmung im McCormick Place, wo Obama am Dienstagabend – zehn Tage vor | |
der Amtsübergabe – seine letzte live übertragene Rede als US-Präsident | |
hält, erinnert mehr an Wahlkampf als an das Ende einer Amtszeit. | |
In den Stunden, bevor er spricht, heizen Rockstars ein. Kaum geht er ans | |
Mikrofon, branden Sprechchöre auf: „Four more years“ – vier Jahre mehr. | |
„Das geht nicht“, antwortet Obama, der eine geordnete Amtsübergabe als | |
demokratisches Muss betrachtet. | |
Im Saal sind sowohl die Prominenz der Demokratischen Partei vertreten als | |
auch Tausende, die stundenlang in der eisigen Kälte angestanden haben, um | |
einen Platz zu bekommen. Es fließen Tränen. | |
Gegen Ende seiner Amtszeit ist Obama wieder fast so populär wie bei seinen | |
euphorischen Anfängen im Weißen Haus acht Jahre zuvor. | |
Chicago ist für Obama Zuhause. Er ist in Hawaii geboren, aber in der Stadt | |
im Mittleren Westen hat er seine Karriere gemacht, seine Frau kennengelernt | |
und seine Familie gegründet. | |
In den 80er Jahren war er dort „Organizer“ im mehrheitlich | |
afroamerikanischen Viertel South Side. 2012 feierte er im McCormick Place | |
seine Wiederwahl ins Weiße Haus. | |
## Trump will Tabula rasa machen | |
Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt wird er der South Side mit der Obama | |
Library – der Gedenkstätte, die er wie die meisten anderen ehemaligen | |
US-Präsidenten gründet – ihre größte Attraktion verpassen. | |
Doch zunächst muss Obama die Amtsübergabe an einen Nachfolger organisieren, | |
der seine Politik negiert. Donald Trump hat seit dessen erster Wahl Obamas | |
Legitimität als US-Präsident in Frage gestellt, indem er wider besseres | |
Wissen öffentlich bezweifelte, ob er in den USA geboren sei. | |
Ab dem 20. Januar will er Punkt für Punkt dessen Reformen streichen. Die | |
Republikanische Partei unterstützt ihn bei diesem Drang nach Tabula rasa. | |
Einige besonders ungeduldige Kongressabgeordnete wollen schon vor dem Ende | |
dieses Monats die Gesundheitsreform streichen. | |
Bei seinem Abschied versucht Obama, gute Miene zu diesem Spiel zu machen. | |
Wie in den besten Zeiten seiner Wahlkämpfe taucht er sein Publikum in ein | |
Gefühl ein. | |
Er vermischt die Lobrede auf die Institutionen der US-Demokratie mit einem | |
emotionalen Dank an seine Frau, an seine Töchter und an seinen | |
Vizepräsidenten. Und er zitiert ausführlich den ersten Präsidenten der USA, | |
George Washington, der seinen Landsleuten angetragen hat, die | |
Selbstverwaltung, die Sicherheit, den Wohlstand und die Freiheit ihres | |
Landes immer wieder zu verteidigen. | |
Bei Obama werden die Leitsätze von Washington zu der Aufforderung an seine | |
Landsleute, „sorgfältige Wächter über unsere Demokratie“ zu sein und | |
gewissenhaft das wichtigste Amt überhaupt auszuüben: Bürger. | |
Er selbst verspricht, dass er künftig wieder in dieses Amt zurückkehren | |
will. „Es war die größte Ehre meines Lebens, diesem Land zu dienen“, sagt | |
er, „als Bürger werde ich das weiterhin tun.“ Dann verabschiedet er sich | |
mit dem Slogan seiner optimistischen Anfänge: „Yes, we can.“ | |
11 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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