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# taz.de -- Ulf Schönheim über regionale Nahrung: „Wir bauen einen eigenen …
> Ulf Schönheim, Mitbegründer der Regionalwert-Aktiengesellschaft, über
> ökologische Dividenden und solidarische Landwirtschaft
Bild: Die Regionalwert Aktiengesellschaft will Ernährungssouveränität zurüc…
taz: Herr Schönheim, ist die Vorstellung, sich in einer globalisierten Welt
regional mit Lebensmitteln zu versorgen, nicht anachronistisch?
Ulf Schönheim: Jein. Das ist ja nur ein Rechenwerk. Wir sagen ja nicht, wir
wollen die Region zu 100 Prozent regional ernähren, sondern haben anhand
der Studie erst mal nur die Frage geklärt: Geht das überhaupt?
Bei der Regionalwert AG Hamburg, die Sie mit gegründet haben, ist aber
schon die Idee, eine Versorgung aus der Region zu ermöglichen, oder?
Wir wollen uns einfach ein Stück Ernährungssouveränität zurückholen. Es ist
ja nicht so, dass wir den Aktionären versprechen, dass wir sie von den
Höfen versorgen, sondern dass wir die Bürgerinnen und Bürger über die
Aktienausgabe mit den Höfen, mit Lebensmittelverarbeitern, mit den Händlern
und Gastronomen vernetzen und sagen: So, liebe Leute, das sind Betriebe,
die das vernünftig machen, die zusammenarbeiten, die euch über die Aktie
zum Teil gehören, und wenn ihr da einkaufen und essen geht, wirtschaftet
ihr euch letztlich in die eigene Tasche und tut was für eure Region.
Gibt es nicht bereits Modelle, über die man viel direkter mit ökologischen
Erzeugern oder Händlern in Beziehung treten kann?
Es gibt etwa die solidarische Landwirtschaft – ein tolles Konzept – aber
damit bekommen sie nicht unbedingt einen jungen Bauern auf einen Hof. Das
geht mit unserem Konzept. Nicht jeder landwirtschaftliche Betrieb eignet
sich für eine solidarische Landwirtschaft.
Was ist das Besondere an Ihrem Konzept?
Wir sind eine Bürger-Aktiengesellschaft. Wir wollen das Ganze im Verbund
lösen. Es gibt haufenweise Probleme in der regionalen Land- und
Lebensmittelwirtschaft, angefangen bei der Hofnachfolge. 70 Prozent der
Höfe haben keinen Nachfolger. Da ist das Thema Preisdruck: Die Landwirte
sind die letzten in der finanziellen Nahrungskette. Alle anderen können den
Preisdruck immer lustig weitergeben. Und die Probleme, die kleine Landwirte
haben, haben ja auch kleine Verarbeiter: Bäckereien, Molkereien,
Schlachtereien. Da hat ja eine ungeheure Konzentration stattgefunden.
Und wie kann eine Regionalwert AG kleinen Betrieben helfen?
Wir sind Eigenkapital- und Netzwerkpartner. Ein junger Mensch, der
Landwirtschaft gelernt und Praxiserfahrung hat, aber keinen Hof in der
eigenen Familie besitzt oder das nötige Kleingeld, um einen Hof kaufen zu
können, kann zu uns kommen. Es können aber auch Betriebe zu uns kommen, die
keinen Nachfolger in der Familie haben. Die können wir zusammenbringen, die
Hofübernahme mitfinanzieren und auch gleich das Vermarktungsnetzwerk
mitbringen. Das ist der Unterschied zu Initiativen, die sich ausschließlich
das Sichern von Boden für die ökologische Landwirtschaft auf die Fahnen
geschrieben haben.
Wollen Sie sich komplett aus dem herkömmlichen landwirtschaftlichen Markt
ausklinken?
Wir bauen einen eigenen Markt auf. Der soll und wird nicht hundertprozentig
sein. Wir wollen auch keine funktionierenden Vermarktungswege zerstören
oder ersetzen. Wenn ein Betrieb eine funktionierende Vermarktung hat, soll
er sie gerne fortführen. Wir wollen nur anregen, dass möglichst viel unter
den Partnerbetrieben gehandelt wird und das auch transparent machen. So
kann der Aktionär sehen: Wie haben meine Betriebe zusammengearbeitet? Was
ist ökologisch und sozial rausgekommen?
Hätten Sie dafür ein Beispiel?
In unserem Betrieb hat zum 1. November eine junge Frau ihre Ausbildung zur
Landwirtin angefangen. Irgendwann wird sie vielleicht im Netzwerk mal einen
eigenen Betrieb übernehmen.
Wie kann ich das als Aktionär sehen?
Wir veröffentlichen in jedem Jahr einen sozial-ökologischen Bericht. Zur
Hauptversammlung kommt jeder Betriebsleiter und sagt den Aktionären, was er
mit deren Geld erwirtschaftet hat: Wie habe ich mit den anderen Betrieben
zusammengearbeitet? Warum arbeitet die Gärtnerei mit dem Händler zusammen
und der Gastronom mit dem Bauern? Die Aktionäre bekommen natürlich eine
Dankeschön-Tüte von ihren Betrieben. Wir haben bestimmte
Nachhaltigkeitsindikatoren, nach denen jeder Betrieb einmal im Jahr
berichten muss.
Ihr Modell beruht also darauf, dass ich Geld gebe, um hinterher Produkte zu
kaufen, die teuer sind als auf dem herkömmlichen Markt?
Zu dem normalen Preis, den der jeweilige Anbieter verlangt – und von dem
man ausgehen kann, dass es der Preis ist, den er braucht, um seinen Betrieb
vernünftig bewirtschaften zu können.
Aber ich muss schon bereit sein, einen höheren Preis zu bezahlen?
Das hängt vom Produkt ab. Thema faire Milch: Natürlich ist der Preis der
Meierei Horst bei Edeka teurer als die eigene Billigmarke, weil die Bauern
bestimmte Nachhaltigkeitskriterien einhalten, indem sie etwa die Kühe auf
die Weide schicken und weitgehend durch eigenes Futter ernähren. Den
billigen Milchpreis bezahlt ja irgendjemand woanders. Der ist aber nur am
Regal niedriger. Den wahren Milchpreis zahlt der Sojabauer in Südamerika
mit seinem Land und seiner Gesundheit, den bezahlt die Kuh als
Hochleistungsrasse, den bezahlt der Bauer, weil er keinen vernünftigen
Preis für seine Milch bekommt und den bezahlt auch der Verbraucher, weil
die Milch ein schlechtes Produkt ist. Nur Milch, die grasbasiert erzeugt
wird, hat die entsprechenden Omega-3-Fettsäuren.
Wie ist denn der Zuspruch in Hamburg?
Durch die Aktienausgabe haben wir 2016 rund 850.000 Euro eingeworben. Wir
sind jetzt mit rund 250.000 Euro an Reservierungen in die zweite
Aktienausgabe gegangen. Das zieht jetzt gegen Ende unserer Aktienausgabe am
8. Januar gerade an.
Über wie viele Aktionäre sprechen wir?
Wir haben 230 Bestandsaktionäre und 80 bis 100, die neu zeichnen werden.
Sie sind eine Aktiengesellschaft. Können meine Aktien steigen?
Nein, wir sind nicht börsennotiert.
Warum haben Sie dann eine Aktiengesellschaft gegründet?
Weil wir unseren Betrieben Kapitalstabilität gewährleisten wollen. Bei
einer Genossenschaft kann es Ihnen theoretisch passieren, dass Ihre
Genossen ihre Anteile kündigen. Das kann Ihnen bei einer Aktiengesellschaft
nicht passieren, denn Aktien sind nur verkaufbar.
Wozu ist das gut?
Wir wollen den Betrieben signalisieren, dass wir ihre langfristigen Partner
sind. Die Aktien die wir ausgeben, sind vinkulierte Namensaktien, das heißt
jeder Aktionär ist uns namentlich bekannt. De facto ist es eine Mischform
zwischen Aktiengesellschaft und Genossenschaft, nur das nach Anteilen und
nicht nach Köpfen abgestimmt wird. Dabei haben wir allerdings einen
Sicherungsmechanismus, damit man nicht majorisiert werden kann. Egal wie
viel Aktien jemand auf der Hauptversammlung vertritt: Er kann maximal 20
Prozent der Stimmrechte ausüben.
Gibt es eine Dividende?
Sozial und ökologisch. Sozial dadurch, dass wir Höfe erhalten und für
Nachfolger sorgen. Ökologische Faktoren wären etwa der Humusaufbau, der zu
unseren Nachhaltigkeitsindikatoren zählt. Unser erstes Ziel ist die grüne
Null, also ein ausgeglichenes Betriebsergebnis bei sozialen und
ökologischen Überschüssen. Nach zehn Jahren haben sie ein ausgeglichenes
Ergebnis in Sicht und können sich mit den Aktionären darüber unterhalten,
was sie mit etwaigen Überschüssen machen.
Was könnte das sein?
Entweder reinvestieren oder eben auszahlen lassen. Die dritte Möglichkeit
wäre, eine große Party zu machen, wie ich neulich mal vorgeschlagen habe.
Ich weiß allerdings nicht, ob das rechtlich geht. Ich fand die Idee nur so
schön.
30 Dec 2016
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Ernährung
Lebensmittel
Aktiengesellschaft
Landwirtschaft
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Slow Food
Bremen
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