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# taz.de -- Recht auf Vergessen: Peter T. versucht zu verschwinden
> Ein Mörder will seinen Namen aus online verfügbaren „Spiegel“-Berichten
> streichen lassen. Nun entscheidet das Verfassungsgericht.
Bild: In alten Artikeln ist der Fall noch zu finden. Ob sich das ändert?
Können Straftäter verlangen, dass ihr Name – nach einigen Jahren – in
digitalen Presse-Archiven anonymisiert wird? Diese Frage wird das
Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr für den spektakulären
Apollonia-Fall entscheiden.
Der Mord geschah vor 36 Jahren auf hoher See, auf der Yacht „Apollonia“,
unterwegs von Gran Canaria Richtung Karibik. Eine zusammengewürfelte
sechsköpfige Segelcrew war mit dem Hochsee-Törn völlig überfordert.
Nach einigen zermürbenden Tagen eskalierte die Situation im Dezember 1981.
Der Segler Peter T., ein ehemaliger Lokführer, erschoss den Schiffseigner
und seine Freundin. Ein Jahr später wurde Peter T. vom Landgericht Bremen
wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Spiegel berichtete damals mehrfach über das Aufsehen erregende
Gerichtsverfahren. Dabei kritisierte der Gerichtsreporter Gerhard Mauz das
harte Bremer Urteil. Er sah in Peter T. einen „in seelische Zwänge
eingebundenen Menschen“ und hätte wohl eine mildere Strafe für gerecht
gehalten.
## Apollonia-Prozess
Doch seit einigen Jahren klagt Peter T. (der 1997 aus der Haft entlassen
wurde) gegen den Spiegel. Denn die einstige Berichterstattung nannte ihn
mit vollem Namen. Und weil der Spiegel seit 1999 alle alten Ausgaben online
zugänglich gemacht hat, sind die Texte über den Apollonia-Prozess heute
problemlos auffindbar. Man muss nur Peter T.s vollen Namen in die
Google-Suche eingeben. Auch das Wikipedia-Schlagwort „[1][Apollonia
(Kriminalfall)]“ führt zu einem Spiegel-Artikel.
Das Oberlandesgericht Hamburg urteilte 2011 zugunsten von T.: Der Spiegel
müsse den Namen aus den Artikeln entfernen. Die öffentliche
Berichterstattung verletze T.s Persönlichkeitsrecht. Es wirke
„stigmatisierend“, wenn sein Name im Zusammenhang mit den begangenen Morden
genannt werde, T. drohe „soziale Abgrenzung und Isolierung“.
Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil Ende 2012 wieder auf. Es
gebe ein „anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit“,
zeitgeschichtliche Ereignisse auch anhand der unveränderten Medienberichte
recherchieren zu können.
Wenn alle „identifizierenden Darstellungen“ in Online-Archiven gelöscht
werden müssten, dann werde „Geschichte getilgt“ und ein Straftäter
„vollständig immunisiert“, argumentierte der BGH. Es genüge auch nicht, d…
Dokumentation auf Printarchive zu beschränken. Da T. in den
Spiegel-Berichten „nicht stigmatisiert“ werde, dürfe das Magazin seine
damaligen Artikel auch heute noch unverändert online bereithalten.
## Grundsatzentscheidung
Peter T., heute wohl 78 Jahre alt, gibt aber nicht auf; er hat
Verfassungsbeschwerde erhoben. Seit 2015 kündigt der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts eine Grundsatzentscheidung an, in diesem Jahr
soll es nun wirklich klappen. Federführend ist Richter Johannes Masing, der
für Meinungsfreiheit und Datenschutz zuständig ist – also für beide Rechte,
die hier gegeneinander abzuwägen sind.
In Karlsruhe läuft das Verfahren unter dem Schlagwort „Recht auf
Vergessen“. Bisher hat man damit vor allem ein Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2014 assoziiert. Diese Entscheidung bezog sich
allerdings nur auf Suchmaschinen. Bürger können seitdem beantragen, dass
Google unliebsame Treffer nicht mehr in die Trefferliste zum eigenen Namen
aufnimmt.
Seitdem gab es allein aus Deutschland Anträge, rund 323.000 Webseiten
entsprechend zu sperren. In 52 Prozent der Fälle gab Google dem Antrag
statt. Beim Bundesverfassungsgericht geht es aber nicht um Links der
Suchmaschinen, sondern um die Korrektur der eigentlichen Quelle, also der
Online-Archive der Medien.
Mit Interesse betrachten die Verfassungsrichter dabei die Dissertation von
Martin Diesterhöft über das „Recht auf medialen Neubeginn“. Diesterhöft
hält das BGH-Urteil für falsch. Nach einem gewissen Zeitablauf sollen die
von einem Medienbericht Belasteten einen „Änderungsanspruch“ haben und eine
Anonymisierung ihres Namens verlangen können.
## Technisch anspruchsvoll
Auch wenn der Medienbericht ursprünglich rechtmäßig war, müssten Autor und
Verleger den Artikel „im Blick behalten“, so Diesterhöft, und spätestens
auf eine Abmahnung reagieren. Diesterhöft will aber auch die damit
verbundene „Abschreckungswirkung“ für Autoren und Medien minimieren.
Die erste Abmahnung eines Mediums soll kostenlos sein. Außerdem kann er
sich technisch anspruchsvolle Lösungen vorstellen, bei denen Journalisten,
die gezielt nach einem Ereignis (und nicht nach der Person) suchen, doch
den unveränderten Original-Artikel lesen können.
Ob die Richter dieser Lösung folgen, ist aber noch völlig offen.
2 Jan 2017
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Apollonia_(Kriminalfall)
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
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