| # taz.de -- Internet-Professor über Vergessen: „Nicht Perfektion, sondern Pr… | |
| > Internet-Experte Viktor Mayer-Schönberger fordert: Google soll den Weg | |
| > zur gesuchten Webseite erschweren, aber nicht verhindern. | |
| Bild: Google erinnert sich – auch ohne Links | |
| taz: Herr Mayer-Schönberger, wegen eines Urteils des Europäischen | |
| Gerichtshofs (EuGH) muss Google jetzt Links löschen. Entspricht dies Ihrer | |
| Vorstellung von einem Recht auf Vergessenwerden? | |
| Viktor Mayer-Schönberger: In meinem Buch „Delete“ hatte ich über die | |
| Wichtigkeit des Vergessens geschrieben, und gefordert, dass wir dem | |
| Vergessen etwa durch ein Ablaufdatum an Information wieder eine Chance | |
| geben. Ich hatte aber auch geschrieben, dass Individualrechte, wie etwa das | |
| Recht auf Vergessen, so inhaltlich richtig sie auch sein mögen, oftmals an | |
| der fehlenden Bereitschaft der Menschen scheitern, ihre Rechte auch wenn | |
| notwendig vor Gericht einzufordern. Insofern hatte ich keine großen | |
| Erwartungen an das - in dieser Form bereits in der Datenschutz-Richtlnie | |
| der EU vor 20 Jahren - enthaltene „Recht auf Vergessen“. Ich erwartete aber | |
| auch, dass aufgrund der konkreten Sachlage der EuGH so urteilen würde. | |
| In den vergangenen Tagen hat Google mit dem Auslisten von Texten britischer | |
| und deutscher Medien aus ihren Suchergebnissen begonnen. Zeigen diese Fälle | |
| nicht, dass das Recht auf Vergessenwerden eben doch in scharfer Konkurrenz | |
| zu Meinungs- und Pressefreiheit stehen können? | |
| Nein, das denke ich nicht. Denn schon im Anlassfall vor dem EuGH hat schon | |
| die spanische Datenschutzbehörde die Klage gegen das Online-Medium mit dem | |
| Hinweis auf die Meinungsfreiheit verworfen. Google wurde verurteilt, weil | |
| Google ausdrücklich im Verfahren angegeben hat, dass Google kein Medium ist | |
| und die Suchergebnisse auch kein Ausdruck der Meinungsfreiheit sind, | |
| sondern vollautomatische Ergebnisse eines Algorithmus. Da konnte dann der | |
| EuGH die in der Datenschutz-Richtlinie enthaltene Ausnahmeregelung für | |
| Zwecke der Meinungsäußerung nicht anwenden. Insoweit ist das Ergebnis für | |
| Google auch hausgemacht. Dass Google jetzt in der Implementation ebenfalls | |
| so schlimm daneben greift ist finde ich erschütternd. | |
| Ist es glücklich, dass die Entscheidungen, ob einem Antrag auf | |
| Vergessenwerden stattgegeben werden kann, nun in den Händen des | |
| Privatkonzerns Google liegt? | |
| Aus wirtschaftlicher Sicht hat Google ein hohes Interesse möglichst wenig | |
| Inhalte zu vergessen, denn sonst verlieren die Menschen das Vertrauen in | |
| die Suchmaschine - und damit käme Google in wirtschaftliche | |
| Schwierigkeiten. Insofern gibt es (jedenfalls theoretisch) einen | |
| ausreichend starken Mechanismus der internen Kontrolle. Ich habe die | |
| Hoffnung, dass sich nach einer tumultuösen Anfangsphase die Verfahren in | |
| diesem restriktiven Sinn einspielen werden. | |
| Welchen Einfluss hat Ihrer Ansicht nach die Tatsache, dass | |
| Google-Suchergebnisse personalisiert sind, individuell an die | |
| prognostizierten Interessen des Suchenden angepasst? | |
| Das ist schwer zu sagen, weil wir den Grad der Personalisierung nicht | |
| kennen. So gibt es eine Studie aus den USA, nach der die Personalisierung | |
| kaum unterschiedliche Ergebnisse liefert, die Behauptung der | |
| „Personalisierung“ also vor allem ein Marketinginstrument von Google ist. | |
| Hier brauchen wir mehr Daten, um klarer zu sehen. | |
| In einem Interview sagten Sie, dass eine Information, die in einer | |
| Google-Suche nicht mehr auftaucht, von 99 Prozent der Bevölkerung nicht | |
| mehr gefunden werden kann und somit faktisch gelöscht ist. Also geht es | |
| am Ende um nicht mehr als einen digitalen Sichtschutz für Informationen, | |
| obwohl sie tatsächlich noch im Netz existieren? | |
| Ja. Es geht um eine Art digitale Bremsschwelle und darum, dass wir nicht | |
| mehr über diese Suchergebnisse geradezu stolpern, sondern etwas gezielter | |
| danach suchen müssen. Früher musste man auch in Archive von Zeitungen um | |
| alte Berichte auszugraben. Selbst mit dem Recht auf Vergessen muss ich nur | |
| bei Google.com suchen, um auch „vergessene“ Ergebnisse wieder angezeigt zu | |
| bekommen. Das erfordert gerade einmal zehn Sekunden an Mehrarbeit - und ist | |
| eine ganz kleine Hürde - aber vielleicht ausreichend genug, dass wir im | |
| täglichen Suchen nur dann bei Google.com nachsuchen, wenn es uns wirklich | |
| wichtig erscheint. Das mag die richtige Richtung einer Balance von Erinnern | |
| und Vergessen zeigen. | |
| Die Seite [1][hiddenfromgoogle.com] sammelt Links zu ausgelisteten Texten | |
| und führt auch die Namen derer auf, die mutmaßlich auf diese Auslistung | |
| gedrängt haben. Durch den [2][Streisand-Effekt] könne man eben keine | |
| Informationen aus dem Netz tilgen, sagen Kritiker des Rechts auf Vergessen. | |
| Was entgegnen Sie? | |
| Es geht nicht um Perfektion, sondern um Pragmatik - also darum, dass | |
| Ergebnisse in aller Regel nicht auf den ersten zwei, drei Ergebnisseiten | |
| erscheinen. Und der Streisand-Effekt lebt eben gerade davon, dass wir etwas | |
| als erinnerungswürdig einstufen - genau das sollte aber für die meisten | |
| Fälle des Rechtes auf Vergessens nicht zutreffen. Das Argument geht also | |
| ins Leere - ganz abgesehen von der empirischen Zweifelhaftigkeit des | |
| Streisand-Effekts. | |
| Ergibt es angesichts immer neuer Meldungen über Datensammlungen der NSA | |
| überhaupt noch einen Sinn, sich der unbegrenzten Auffindbarkeit von Daten | |
| über die eigene Person entgegenzustemmen? | |
| Ja. Natürlich. Wir dürfen nie aufgeben. Das sind wir unseren Kindern | |
| schuldig. Ein Rechtsbruch wird ja nicht dadurch „geheilt“, dass ich aufgebe | |
| dagegen anzukämpfen. | |
| Abgesehen von Google, welcher Weg ist Ihrer Ansicht nach für die | |
| Durchsetzung eines Recht auf Vergessenwerdens vielversprechender: | |
| Gesetzliche Regelungen oder [3][Privacy-By-Design]-Lösungen wie Snapchat? | |
| Ich habe eine Präferenz für Lösungen, die von den Nutzerinnen auch einfach | |
| angenommen werden können. Privacy-by-design ist da der falsche Begriff, | |
| denn es geht primär nicht um die technische Umsetzung (die ist zumeist | |
| trivial), sondern darum, dass am Markt entsprechende Nachfrage nach | |
| Privatheit der Menschen auch durch ein entsprechendes Angebot befriedigt | |
| werden kann. Das bedeutet vor allem auch Monopolen entgegen zu wirken (und | |
| dort wo es sie gibt diese jedenfalls datenschutzrechtlich klar in die | |
| Verantwortung zu nehmen), und die Nachfrage durch gezielte Aufklärung der | |
| Menschen zu fördern. | |
| 15 Jul 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://hiddenfromgoogle.com | |
| [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt | |
| [3] http://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/%22PrivacyByDesign%22.pdf?… | |
| ## AUTOREN | |
| Meike Laaff | |
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