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# taz.de -- Debatte Patriotismus: Update für Deutschland
> Im Gegensatz zu „die Deutschen“ ist „die Bundesrepublikaner“ nicht
> völkisch konnotiert. Ein Plädoyer für einen inklusiven Patriotismus.
Bild: Beim Fußball funktioniert es schon: Da sind wir alle Bundesrepublikaner
Brexit, Trump, Le Pen. Langsam bleibt nur ein westliches Führungsland
übrig, das anscheinend nicht von einer Machtübernahme rechter Populisten
bedroht wird: die Bundesrepublik. Die Menschen in Deutschland dürfen sich
nun aber nicht zurücklehnen. Rechtsextreme Gruppierungen erstarken in
Deutschland. Nichtweiße Menschen, besonders Geflüchtete werden täglich
angegriffen. Die Justiz ermittelt nur in den wenigsten Fällen.
„Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“,
wusste schon Franz Josef Strauß. Dreißig Jahre später erhält die AfD bei
Landtagswahlen zweistellige Wahlergebnisse. Frauke Petry ist zwar noch weit
vom Bundeskanzleramt entfernt, das muss aber nicht selbstverständlich
bleiben. Wir müssen jetzt schon dafür sorgen, dass wir noch nicht mal in
die Nähe einer stramm nationalistischen Kanzlerschaft kommen.
Und die Lösung heißt: ein neuer, inklusiver Patriotismus.
## Als ob Juden keine Deutschen wären
Auf die Werte der „patriotischen Europäer“ können wir in Deutschland
natürlich verzichten. Die dumpfen Pegidisten, die gegen eine vermeintliche
„Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straßen gehen, die in unseren
Städten Unruhe stiften und unser friedliches Zusammenleben gefährden, sind
ein gutes Beispiel wie Patriotismus nicht sein sollte.
Die falsch verstandene und damit gründlich verkackte Version des
Patriotismus, die auf ethnischer Herkunft, religiöser oder sonstiger
Gruppenzugehörigkeit basiert und die im tödlichen Nationalismus kulminiert,
führte fast zur kompletten Eliminierung des deutschen Judentums – und
danach im Zweiten Weltkrieg zum endgültigen Ende aller Deutschen.
Doch wer sind eigentlich diese Deutschen? Seit den antinapoleonischen
Freiheitskriegen konstituierte sich das Deutschsein nicht über einen Staat
(es gab ja zurzeit noch keine deutsche Nation), sondern über Vorstellungen
eines gemeinsamen kulturellen Erbes, über Abstammung und Sprache. Dies
prägt das deutsche Nationalverständnis bis heute. So oft musste ich hören,
dass sich die „Deutschen“ für die „Juden“ einsetzen müssen – als ob…
keine Deutschen wären.
Seit den Koalitionskriegen gegen Napoleon ist viel Wasser den Rhein und die
Elbe hinuntergeflossen. Die Vorstellungen aus dem 19. Jahrhundert von einem
ethnisch-kulturell homogenen Deutschland entsprechen einfach nicht der
Realität im Jahr 2016. Einem Jahr, in dem 17,1 Millionen Menschen mit
Migrationshintergrund registriert werden: das sind 21 Prozent der ganzen
Bevölkerung.
Die Hälfte von ihnen besitzt eine deutsche Staatsangehörigkeit. Diese
Bürger nichtdeutscher Herkunft sind deutlich jünger, jeder dritte Einwohner
unter 18 Jahren hat ausländische Wurzeln. Wir sind nicht nur Currywurst und
Dirndl, sondern auch Soljanka und Hidschab. Wir können auf alles
gleichermaßen stolz sein.
Deutschland braucht also dringend ein Update. Es gibt mehrere
Nichtregierungsorganisationen, die das Konzept des Deutschseins für Bürger
nichtdeutscher Herkunft öffnen wollen. Der Verein DeutschPlus entwickelt
Kampagnen über Bürgerrechte, die im Grundgesetz für alle gewährleistet sein
sollen. Die Neuen Deutschen Medienmacher setzen sich mit zahlreichen
Projekten für mehr Vielfalt in den Medien ein und fördern junge
Journalisten aus Einwandererfamilien.
Das Bündnis Deutscher Soldat vereint Soldaten der Bundeswehr mit
ausländischen Wurzeln. Lieber eine vielfältige Bundeswehr, als eine, die
irgendwann der Petry huldigt. Ich bin ein patriotischer Pragmatiker. Denn
all diese Initiativen senden eine klare Botschaft aus: Wir sind hier, um zu
bleiben.
Kann man aber das Deutschsein überhaupt erweitern, sodass die „Anderen“
auch Patrioten sein können? Werden Ayşe und Mosche nicht weiterhin als „die
Türkin“ und „der Jude“ bezeichnet, obwohl sie juristisch gesehen Deutsche
sind?
Ich möchte hier konstruktiv sein und mal eine Lösung in die Runde werfen,
damit dieser neue Patriotismus seine inklusive Kraft überhaupt entfalten
kann: Bundesrepublikaner.
Im Gegensatz zu „Deutsche“ hat „Bundesrepublikaner“ keine völkische
Konnotation. Es ist lediglich ein Hinweis auf die herrschende Staatsform,
auf die föderale, demokratisch organisierte, rechtsstaatliche und
humanistisch geprägte Republik. Alle Bürger in der Bundesrepublik können
als Bundesrepublikaner/innen benannt werden, unabhängig von ethnischer
Herkunft oder Religion, sogar unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Ein
Bundesrepublikaner ist demnach einfach ein Einwohner der Bundesrepublik –
mit einem Commitment zum Grundgesetz und zu gutmenschlichen Werten, die
universell eigentlich überall gelten sollten.
## Patriot ist, wer zu Bürger- und Menschenrechten steht
Man muss sich nicht zu den Traditionen, kulturellen und „historischen
Werten“ Deutschlands bekennen, um ein Patriot zu sein. Ein Patriot ist
jemand, der zu den demokratischen Grundlagen der Gesellschaft und zur
Verteidigung der Bürger- und Menschenrechte steht. Wahre Patrioten geben
Deutschkurse, sie gehen wählen und dann auch nur demokratische Parteien,
sie leisten zivilen Widerstand gegen Rechtspopulisten, also die
Möchtegernpatrioten.
Unser Land kann erst dann wirklich ein inklusives Einwanderungsland werden,
wenn wir die romantische Idee von einem ethnisch-homogenen Nationalstaat
(„Deutschland“) ins Museum der Menschheitsgeschichte ausstellen lassen und
uns auf die neutrale, demokratische Staatsform („Bundesrepublik“) als einen
Ort für ALLE konzentrieren.
In Deutschland werden Bürger mit ausländischen Wurzeln höchstens toleriert,
in der Bundesrepublik werden wir zum selbstverständlichen Teil der
Gemeinschaft. In Deutschland werden Heime für Geflüchtete angezündet, in
der Bundesrepublik herrscht eine ehrliche und gechillte Willkommenskultur.
In Deutschland wütet der NSU und Behörden decken die Nazis, in der
Bundesrepublik lehnt sich die Zivilgesellschaft selbstbewusst und aus einem
patriotischen Selbstverständnis heraus gegen jeglichen gestrigen,
stinkenden, tödlichen Nationalismus.
28 Dec 2016
## AUTOREN
armin langer
Armin Langer
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