# taz.de -- OSZE – Schikane: Woche des Wahnsinns | |
> Am Ende hatte man sich beinahe daran gewöhnt: Die Polizei dominierte eine | |
> Woche lang das Hamburger Stadtbild und bestimmte, was man durfte und was | |
> nicht | |
Bild: Innere Sicherheit: Einsatzkräfte begegnen Anwohnern. | |
Die Frau mit dem grünen Rock legt den Kopf in den Nacken und guckt in den | |
Himmel. Langsam verliert sie die Geduld. „Dann sagen Sie mir doch endlich, | |
wo ich mit meiner Tischtennisplatte hingehen kann“, sagt sie zu den | |
Polizisten, die ihr gegenüberstehen. Ein Uniformierter aus | |
Mecklenburg-Vorpommern, der ungefähr zwei Köpfe größer ist als sie, wirkt | |
überfordert. Woher soll er wissen, wo sie hin kann? Seit einer Stunde schon | |
diskutieren verschiedene PolizistInnen aus Schleswig-Holstein und | |
Mecklenburg Vorpommern mit zwei Anwohnerinnen des Karolinenviertels, die am | |
ersten Tag des OSZE-Gipfels direkt vor den Messehallen „einfach nur | |
Tischtennis spielen“ wollen. Erst hatten sie die Platte direkt auf der | |
Straße vor dem Eingang Süd aufgebaut – da wo vor zwei Wochen Barrikaden | |
brannten und der Rußfleck eines brennenden Autoreifens noch die Straße | |
ziert. | |
Die Polizeieinheit aus Schleswig-Holstein, die den südlichen Eingang | |
bewacht, hat entschieden, dass das nicht geht und die Frauen auf den | |
Bürgersteig am Messevorplatz verwiesen. Die beiden bauen ab und fünf Meter | |
weiter wieder auf, doch für den Messevorplatz ist die Polizei aus | |
Mecklenburg-Vorpommern zuständig, und die will sie da auch nicht haben. Die | |
Frau mit dem grünen Rock sieht das nicht ein, sie quengelt: „Wenn Sie hier | |
alle halbe Stunde Ihre Vorschriften ändern …“ Eine Polizistin mit blonden | |
kurzen Haaren in sichtlich genervt und will die Personalien der Frau | |
aufnehmen. „Aus welchem Grund denn?“, fragt die Frau und schaut sich Hilfe | |
suchend um. | |
Auf dem Messevorplatz stehen einzelne Grüppchen von PassantInnen, die das | |
Geschehen am Rande der Sicherheitszone kritisch beäugen. Manche gucken | |
belustigt. Aus einer Baustelle ein paar Meter weiter schallt ein Hörspiel | |
über den Messevorplatz: „Die Konferenz der Tiere“ von Erich Kästner. Zwei | |
spanischsprachige TouristInnen eilen über den Platz, eine sagt zu der | |
anderen: „Toda esa gente esta loca“, diese Leute sind alle verrückt. | |
Die ungeduldige Polizistin droht der Anwohnerin, sie mitzunehmen, wenn sie | |
ihre Personalien nicht sofort rausrückt. „Ich will doch nur spielen und | |
Sport machen, inmitten dieses ganzen Wahnsinns“, ruft die Anwohnerin und | |
beharrt auf einer Erklärung. „Wegen der Maßnahme“, knurrt die Polizistin. | |
Ein anderer Polizeibeamter wendet sich der Frau zu und erklärt, sie brauche | |
eine Sondergenehmigung, um im öffentlichen Raum Tischtennis zu spielen. „Wo | |
immer Sie heute mit Ihrer Platte hier in der Nähe spielen, werte ich das | |
als Versammlung und muss Ihre Personalien aufnehmen.“ | |
Während die Tischtennisplatte langsam im Hamburger Regenwetter einnieselt, | |
diskutieren die PolizistInnen und die Anwohnerinnen weiter. So viel Aufwand | |
und Nerven dafür, dass die AußenministerInnen derweil entspannt im | |
Ruderclub „Germania“ auf die Alster gucken und Aalrauchmatjes essen können. | |
Im Vergleich zu den vergangenen Tagen ist es mit Beginn des Gipfels ruhiger | |
geworden in Hamburg. Vielleicht hat man sich auch an die Polizeipräsenz | |
gewöhnt: 13.200 PolizistInnen sind in der Stadt, das sind 264 pro | |
AußenministerIn. Aber jetzt sind sie eben da, und auch die MinsterInnen | |
sind da, und es fährt nicht mehr alle halbe Stunde eine Delegation mit | |
Blaulicht und Sirenengeheul quer durch die Stadt, über alle roten Ampeln, | |
und legt den Verkehr lahm. | |
Seit spätestens Dienstag sieht man überall Polizei: An jeder Bahnstation, | |
auf jedem Grünstreifen, jedem Parkplatz, jeder Kreuzung, auf jedem freien | |
Platz der Innenstadt und auf dem Weihnachtsmarkt. Wie können die Leute da | |
überhaupt entspannt Glühwein trinken? | |
Es ist ein bedrückendes Gefühl: Man verlässt morgens das Haus und sieht als | |
erstes Polizei. Man arbeitet und hört Sirenengeheul, macht Mittagspause und | |
läuft an zehn Mannschaftswagen vorbei zum Asia-Restaurant. Man verlässt den | |
Laden, wieder als erstes: Polizeiautos. Vor dem Drogeriemarkt Budnikowsky | |
steht neuerdings ein Sicherheitsdienst. Wegen OSZE? Na, wenn sie meinen. | |
Man versucht, im Fahrradladen irgendein Ersatzteil zu kaufen: „Sorry, haben | |
wir nicht und wird auch diese Woche nicht geliefert, wegen OSZE.“ | |
Sporttrainig? Fällt diese Woche aus, wegen OSZE. Ist denn die ganze Stadt | |
im Ausnahmezustand? | |
Abends die Nachrichten auf Twitter: totales Verkehrschaos. „Stehe seit ’ner | |
Stunde am Dammtor, geht gar nichts mehr“, schreibt ein Freund. Ein anderer, | |
der im Schanzenviertel arbeitet, wird zwischen Montag und Donnerstag vier | |
Mal kontrolliert und muss seine Personalien vorzeigen. Wieder ein anderer | |
kassiert beim Montagabendspaziergang nahe der Messe einen Platzverweis und | |
eine Drohung: „Ich kenne dich“, sagt ein Polizist im Dunkeln hinter der | |
Messe zu ihm und droht, ihn sofort in Gewahrsam zu nehmen, sollte er ihn | |
während des Gipfels irgendwo antreffen. | |
In den Tagen vor dem Gipfel wirkt Hamburg wie eine Stadt zwischen | |
kribbelnder Erwartung, nervöser Anspannung und Paranoia. Entspanntes | |
„Tatort“-Gucken ist bereits am Sonntag vor dem Gipfel unmöglich. Seit 14 | |
Uhr belagern PolizistInnen die Hafenstraße auf St. Pauli. Sie schleichen um | |
die Häuser, wobei ein halbes Dutzend dauerhaft vor einem privaten Wohnhaus | |
steht, mit Taschenlampen die Balkons ableuchtet, in die Zimmer späht. Die | |
BewohnerInnen sind genervt. Ist das der normale Ausnahmezustand oder schon | |
OSZE-Training? Gegen 20 Uhr stellen NachbarInnen große Boxen auf den Balkon | |
und beschallen die PolizistInnen mit Rap von Haftbefehl. Fernsehgucken ist | |
jetzt auch akustisch unmöglich. | |
Am Montag kommt eine Warnung per SMS-Verteiler, aber sie kommt zu spät. | |
„Achtung: Auf dem Fuß- und Radweg vom Fernsehturm zur S-Bahn Sternschanze | |
verstecken sich im Dunkeln zehn Wannen und ein Sondereinsatzkommando. | |
Weiterleiten!“ Linke AktivistInnen wollen sich vor unangenehmen | |
Zusammenstößen mit der Polizei warnen. Aber die Stadt ist längst belagert. | |
Mit dabei: Sondereinheiten wie das Unterstützungskommando (USK) aus Bayern, | |
schwer bewaffnet und bekannt für gewaltsames Vorgehen bei Demonstrationen. | |
Auch Einheiten aus Thüringen und Sachsen sind dabei. Etwa aus Heidenau, | |
Bautzen, Tröglitz, Clausnitz, Freital? So genau weiß man das nicht, aber | |
sicher ist, dass man einigen von ihnen nicht auf einer Demo gegenüberstehen | |
möchte. Hamburgs SPD-Innensenator Andy Grote hat den berüchtigten Hardliner | |
Hartmut Dudde zum Polizei-Einsatzleiter während des OSZE-Gipfels gemacht. | |
Dudde steht selbst laut konservativen Medienberichten für Polizeitaktiken, | |
die auf Eskalation setzen, Gerichte erklärten mehrere seiner Einsätze im | |
Nachhinein für rechtswidrig. Wie man dieses Signal deuten solle, fragt der | |
Journalist Benjamin Laufer den Innensenator auf Twitter. „Als Signal der | |
Wertschätzung und des Interesses an wichtiger Kommunikationsarbeit“, | |
antwortete Grote. | |
Überhaupt: Twitter. Die Polizei hat Ende November eine | |
Social-Media-Offensive gestartet. Unter dem Hashtag #OSZEHAM16 twittern | |
verschiedene Polizeiteams Nachrichten rund um ihren Einsatz beim Gipfel. | |
Das reicht von Fotos freundlich guckender PolizistInnen vor Infoständen | |
über Bilder vom Toilettenwagen, Freunden und Helfern in Warnwesten bis zu | |
ernst dreinblickenden Beamten zusammen mit dem Innensenator. Ein User | |
schlägt vor, das Hashtag zu unterwandern und stößt auf Begeisterung. Alle | |
möglichen Leute verschlagworten jeden belanglosen Tweet mit dem Hastag | |
#OSZEHAM16. „Ich war gerade auf dem Klo #OSZEHAM16“ „Ich werde jetzt koch… | |
und dazu ein Glas Wein trinken #OSZEHAM16“. Dazu kommen Links zu Artikeln | |
über Polizeigewalt, Polizeiskandale und Videos von Angriffen auf | |
Polizeieinheiten. Aber auch: „Könnt ihr mal eure scheiß Hubschrauber | |
runterholen, ich weiß ihr habt nichts zu tun, aber es gibt Leute, die | |
schlafen wollen #OSZEHAM16“. Für die Polizei ist das Hashtag unbrauchbar. | |
Jemand twittert einen Funfact: „Die ganzen zugereisten Polizeikräfte und | |
ihr Gefolge finden sich nun auf Tinder & Co. #OSZEHAM16“. | |
Das virtuelle Geschehen kann man live auf einer Twitter-Wall verfolgen, die | |
im linken Kulturzentrum Centro Sociale an die Wand projiziert wird. Das | |
selbstverwaltete Centro hat seine Türen als „Café am Rande der | |
Sicherheitszone“ von Mittwoch bis Freitag geöffnet. Durchgefrorene | |
DemonstrantInnen erholen sich bei Eintopf, Kaffee und Kuchen, informieren | |
sich, tauschen sich aus. Und? „Alles ruhig“, da sind sich die meisten | |
einig. | |
Im Centro Sociale liegen Flyer aus, die erklären, woran man welche | |
Polizeieinheit erkennt. Man muss schließlich wissen, mit wem man zu tun | |
hat. Im Sommer ist in Hamburg G20-Gipfel, da sieht man sich vielleicht | |
wieder. | |
10 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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