| # taz.de -- Flüchtlinge in Ungarn: Orbán will ein Exempel statuieren | |
| > Der Syrer Ahmed H. steht am Mittwoch in Budapest vor Gericht. Er ist | |
| > wegen illegalen Grenzübertrittes angeklagt. Ihm drohen 20 Jahre Haft. | |
| Bild: Afghanischer Flüchtling in Röszke | |
| Berlin taz | Ein Gericht in Budapest verhandelt am Mittwoch wohl zum | |
| letzten Mal im Fall der „Röszke 11“. Das Vergehen der Gruppe von | |
| Flüchtlingen aus dem Nahen Osten: Mit Tausenden weiteren Menschen waren sie | |
| am 16. September 2015 über die serbisch-ungarische Grenze gelaufen. Just | |
| zuvor hatte die ungarische Regierung den Grenzübergang in dem Ort Röszke, | |
| auf halbem Weg zwischen Belgrad und Budapest, geschlossen. | |
| An den offenbar willkürlich heraus gegriffenen elf Personen will die | |
| Orbán-Regierung ein Exempel statuieren. Im Juli wurden zehn von ihnen wegen | |
| „illegaler Einreise“ zu Haft von ein bis drei Jahren, teils auf Bewährung, | |
| verurteilt. Übrig bleibt H.: Ihm drohen als angeblichem Rädelsführer 20 | |
| Jahre Haft. | |
| Als damals die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute auf einen | |
| Höchststand stieg, schlug Ungarn einen harten Kurs ein: Die Regierung | |
| begann mit dem Bau eines Zauns, am 15. September 2015 trat ein Gesetz in | |
| Kraft, das „illegale Einwanderung“ als Straftat mit bis zu drei Jahren Haft | |
| bedroht. | |
| H. selbst ist kein Flüchtling. Er zog 2006 nach Zypern. Dort heiratete er | |
| die Zypriotin Nadia Philipides, sie bekamen zwei Töchter, die 5 und 7 Jahre | |
| alt sind. | |
| ## Knüppel und Wasserwerfer | |
| Der größte Teil von H.s Familie aber lebte in Idlib nahe Aleppo. Im Sommer | |
| 2015 wurde die Lage dort schlimmer, Bombardierungen nahmen zu. H.s Eltern, | |
| ein Bruder, dessen Frau, ihre drei Kinder sowie ein Neffe, verließen die | |
| Stadt. In Istanbul stieß H. zu ihnen. „Er wollte sie nicht allein reisen | |
| lassen,“ sagt Philipides. Die Gruppe setzte mit dem Boot über nach Lesbos, | |
| mit der Fähre ging es weiter nach Thessaloniki, über Mazedonien und Serbien | |
| kamen sie am 16. September in Röszke an. „Ahmed war immer bei ihnen.“ | |
| Tausende Flüchtlinge sitzen an diesem Tag in Röszke fest – und öffnen | |
| schließlich den Zaun. Die ungarischen Grenzer ziehen sich zunächst zurück, | |
| dann gehen sie mit Knüppeln, Wasserwerfer und Tränengas gegen die Menschen | |
| vor. Als H. sich das nächste Mal bei seiner Frau meldet, ist er in einem | |
| serbischen Krankenhaus. Die ungarischen Polizisten hatten ihn schwer | |
| geschlagen. | |
| Es war der letzte Anruf, den sie von ihm bekam. H. sagte, seine Familie sei | |
| schon in Ungarn, er werde am nächsten Tag mit dem Bus über Kroatien folgen. | |
| Drei Tage später meldet sich H.s Bruder. Auf dem Bahnhof von Budapest | |
| hatten Polizisten H. festgenommen. | |
| Elf Personen werden wegen „illegalen Grenzübertritts“ und „Teilnahme an | |
| Massenunruhen“ in Röszke angeklagt, unter ihnen Faisal F., ein irakischer | |
| Mann im Rollstuhl und ein altes syrisches Ehepaar in Begleitung zweier | |
| Söhne, die Frau ist halb blind und schwer krank. | |
| ## Polizeivideo als Beweis | |
| Philippides reist nach Budapest, darf ihren Mann einmal besuchen, danach | |
| herrscht monatelange Kontaktsperre. Die Staatsanwaltschaft wirft H. vor, | |
| Anführer der „Unruhen“ gewesen zu sein. Beweis soll ein Polizeivideo sein. | |
| Es zeigt H. mit einem Megafon, was er ruft, ist nicht zu hören. H. sagt, er | |
| habe das Megafon vom Boden aufgehoben. Er wird von einem Pflichtverteidiger | |
| vertreten. | |
| Auf dessen Bitte schickt Philippides Geburtsurkunden, Zeugnisse, | |
| Lohnzettel. „Es ist unerträglich, vor allem für die Kinder“, sagt sie der | |
| taz. „Ich hoffe, dass es ein Urteil gibt, wenn wir in Berufung gehen | |
| müssen, dauert das noch viele Monate, das halte ich nicht aus.“ Ihr Mann | |
| habe nichts getan. | |
| 29 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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