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# taz.de -- Referendum über Flüchtlinge in Ungarn: Abschottung wird gewinnen
> Ungarns Regierungschef Orban will keine Flüchtlinge aufnehmen. Beim
> Referendum am Sonntag will er sich das vom Volk bestätigen lassen.
Bild: Wurde da auch „Nein“ angekreuzt? Ungarin bei der Briefwahl
Budapest ap | Am Ziel des Referendums in Ungarn besteht kein Zweifel:
Ministerpräsident Viktor Orban erhofft sich die Unterstützung der
Bevölkerung für das Vorhaben seiner Regierung, eine Umverteilung von
Flüchtlingen in der Europäischen Union strikt abzulehnen. „Wollen Sie, dass
die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die
verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn
vorschreiben kann?“, lautet die Frage am Sonntag. Es wird damit gerechnet,
dass eine klare Mehrheit der Wahlberechtigten mit „Nein“ antworten wird.
Orban will den Zuzug muslimischer Flüchtlinge nach Europa stoppen mit der
Begründung, sie gefährdeten die christliche Identität und Kultur in Ungarn
und in ganz Europa. In der vergangenen Woche schlug er vor, Europa solle
eine „gigantische Flüchtlingsstadt“ in Libyen errichten. Dorthin sollten
Flüchtlinge deportiert werden, um dann ihre Asylanträge in Europa zu
stellen. Ein Nein im Referendum stärkt nach Angaben des Regierungschefs die
ungarische Souveränität. Gleichzeitig hofft er, dass durch den öffentlichen
Druck in seinem Land andere EU-Länder ermutigt werden, ähnliche
Abstimmungen anzusetzen.
Damit das Referendum gültig wird, müssen mindestens 50 Prozent der 8,27
Millionen Wahlberechtigten eine gültige Stimme abgeben. Die Regierung hat
deshalb in den vergangenen Wochen für die Abstimmung getrommelt und auf
Wahlplakaten und in Fernsehspots für die Teilnahme geworben. Auch Minister
und Abgeordnete forderten landesweit die Bürger auf, sich zu beteiligen.
Dennoch ist noch nicht klar, ob das notwendige Quorum zusammenkommt.
Allerdings gilt es als sicher, dass auf einer Mehrheit der abgegebenen
Stimmzettel ein Nein angekreuzt sein wird.
Die rechtsextreme Partei Jobbik unterstützt die Regierung in ihrer Haltung
gegen Flüchtlinge. Die meisten anderen Oppositionsparteien und viele
Organisationen haben die Wähler dagegen aufgefordert, entweder ungültige
Stimmen abzugeben oder gar nicht erst zur Abstimmung zu gehen. „Als Bürger
ist es wichtig zu zeigen, dass man teilnehmen will“, sagt die Kovorsitzende
der Organisation Ungarisches Helsinki-Komitee. „Weil dieses Referendum aber
so abscheulich ist, fordern wir die Menschen auf, eine ungültige Stimme
abzugeben.“
## Asyl für 508 Menschen
Im vergangenen Jahr kamen fast 400.000 Flüchtlinge auf der Durchreise in
Ungarn an, auf dem Weg nach Westeuropa. Dann errichtete das Land Zäune und
führte neue Bestimmungen ein, die die Zahlen deutlich zurückgehen ließen.
In den ersten vier Wochen im September meldete die Polizei entweder keine
oder nur eine Grenzverletzung durch einen Flüchtling an zwölf Tagen. Asyl
wurde im vergangenen Jahr nur 508 Menschen gewährt; in diesem Jahr wird mit
einer ähnlichen Zahl gerechnet.
Die satirische Partei des zweischwänzigen Hundes macht sich auf Postern und
Flugblättern lustig über das Referendum und bezieht sich dabei auch auf die
Flüchtlingszahlen in Ungarn. Ihr Slogan: Der durchschnittliche Ungar sieht
in seinem Leben häufiger Ufos als Einwanderer.
Trotzdem geht die Angst um unter den Roma, den armen Rentnern, den jungen
Familien und den Bewohnern von Sozialwohnungen. Ihnen erzählen
Regierungsvertreter immer wieder, dass ihnen Zuschüsse gestrichen oder
Renten gekürzt würden, wenn Ungarn verpflichtet wäre, Flüchtlinge
aufzunehmen. Zusätzlich wiederholt das staatliche Fernsehen oft Monate alte
Berichte über Angriffe von Flüchtlingen.
„Das Bild von großen Flüchtlingsgruppen, die im vergangenen Jahr ‚fast den
Himmel verdeckten‘, ist bei vielen Menschen noch präsent und wird
zweifelsohne von der Regierungspropaganda untermauert“, sagt Attila Tibor
Nagy vom Zentrum für faire politische Analyse. „Der Regierung helfen auch
Angriffe in Deutschland und Frankreich, die sie gerne in Erinnerung ruft,
um zu zeigen, dass Einwanderer gefährlich sind.“
## Unklare Folgen
Den Wahlkampf lässt sich die Regierung etwas kosten. Wie viel genau, das
will sie erst nach der Abstimmung öffentlich machen. Allein die technischen
Kosten, also der Druck der Stimmzettel und die Herstellung der Wahlurnen,
belaufen sich auf 4,9 Milliarden Forint (15,9 Millionen Euro). Die
Gesamtkosten schätzen Beobachter auf mindestens 13 Milliarden Forint (42,1
Millionen Euro). Die Partei des zweischwänzigen Hundes und andere
oppositionelle Gruppen arbeiten dagegen mit einem Budget von je rund 90.000
Euro, die aus Spenden stammen.
Unklar bleibt dabei, welche Folgen ein gültiges Referendum haben könnte,
sollte die Bevölkerung der Haltung der Regierung zustimmen. Zwar wurden
mögliche Verfassungszusätze erwähnt, Einzelheiten blieben jedoch um
Dunkeln.
Regierungssprecher Zoltan Kovacs weist die Möglichkeit zurück, dass ein
ungültiges Referendum Orban schaden könnte. Eine große Zahl von
Nein-Stimmen würde die offizielle Position gegen die Flüchtlingsquoten
unterstreichen, auch wenn die Mindestbeteiligung verfehlt würde, erklärt
er. „Das Referendum kann kein Fehlschlag werden.“
Der Jobbik-Vorsitzende Gabor Vona sagt dagegen, Orban müsse zurücktreten,
falls das notwendige Quorum verfehlt werde. Der ehemalige sozialistische
Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany sieht in diesem Fall den Regierungschef
zumindest beschädigt.
In Brüssel sei bereits bekannt, dass die ungarische Öffentlichkeit
Einwanderer nicht haben wolle, erklärt der strategische Direktor der
Denkfabrik Republikon-Institut, Toth Csaba. „Innenpolitisch würde eine
niedrige Beteiligung eine schwere Niederlage für den Ministerpräsidenten
bedeuten, besonders nach solch einer großen Kampagne.“
2 Oct 2016
## AUTOREN
Pablo Gorondi
## TAGS
Ungarn
Schwerpunkt Flucht
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Viktor Orbán
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