Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Flüchtlingsreferendum in Ungarn: Mit Humor gegen den Hass
> Eine Satirepartei durchkreuzt die flüchtlingsfeindlichen Pläne der
> Orbán-Regierung. Sie ironisiert die Parolen der Rassisten und widerlegt
> ihre Hetze.
Bild: Orban als Mini-Me
Budapest taz | Der Parteichef liegt am Boden. Der junge Mann in Khakishorts
und verwaschenem grauen T-Shirt hat sich auf den dunklen Fliesen
ausgestreckt. Die vielen Menschen um ihn herum diskutieren weiter. Ungarns
Satirepartei hält ihr Plenum ab, und Chef Gergely Kovács braucht einen
Powernap. Aber an Abschalten ist für den 36-jährigen Grafikdesigner in
diesem Moment nicht zu denken, mit geschlossenen Augen spitzt er die Ohren.
Eine Frau sieht die Partei bereits in zwei Jahren ins Parlament einziehen,
ihre Stimme schraubt sich nach oben. Sie beklagt das fehlende
Parteiprogramm. Diese Einlassung scheucht ihn auf.
Das geht Gergely Kovács eindeutig zu weit. Nicht nur weil sich seine Partei
das ewige Leben, Freibier und den Weltfrieden auf die Fahnen schreibt und
dabei auch bleiben wird, sondern weil der freche, angriffslustige Politiker
mit den leichten Geheimratsecken gerne bis mittags schläft. Davon hält ihn
gerade nur eine Sache ab: Die Ungarn stimmen am 2. Oktober bei einem
Referendum über eine EU-Quote zur Verteilung von Asylsuchenden ab. Und
keine oppositionelle Kraft nimmt das ernster als Kovács’ Satirepartei, die
gerne über ganz Ungarn hinweg eine Überführung für Flüchtlinge bauen lassen
würde.
Rund 200 Mitglieder zählt die Gruppierung, ihr offizieller Name lautet
Ungarische Partei des zweischwänzigen Hundes – ein Freund von Kovács hatte
den mutierten Hund mit den roten Augen vor Jahren gezeichnet. Alle zwei
Wochen treffen sich Anhänger und Neugierige in einer Etage eines ehemaligen
Kaufhauses im achten Bezirk, der Josefstadt. Draußen auf der Straße ziehen
junge Leute von Kneipe zu Kneipe, während Obdachlose im Müll nach
Pfandflaschen stöbern. Nur zwei Bushaltestellen entfernt liegt der
Ostbahnhof, der Keleti, an dem im September 2015 Tausende Geflüchtete
wochenlang festsaßen, als keine Züge mehr Richtung Westen fuhren. In den
weitläufigen Katakomben des Keleti herrscht heute gespenstische Stille.
Nirgendwo sonst in Ungarn waren die Geflüchteten vergangenes Jahr so
präsent wie hier.
## Imitation und Überbietung
Die Volksabstimmung hat die rechtsnationalistische Orbán-Regierung
initiiert – sie mobilisiert gegen die EU-Quote. Im September 2015 hatten
die EU-Innenminister entschieden, zunächst 120.000 Asylsuchende, die vor
allem in Italien und Griechenland gestrandet waren, auf alle EU-Länder zu
verteilen. Neben Tschechien, der Slowakei und Rumänien stimmte Ungarn
dagegen und reichte am Europäischen Gerichtshof Klage ein. Dass tatsächlich
die vor einem Jahr benannten 1.294 Asylsuchenden nach Ungarn umverteilt
werden, scheint gegenwärtig mehr als unwahrscheinlich.
Schon seit Monaten plakatiert die ungarische Regierung massiv. Ihre Poster
folgen stets demselben Schema: „Wussten Sie? Dass seit Beginn der
Flüchtlingskrise mehr als 300 Menschen durch Terroranschläge ums Leben
kamen?“ oder: „Wussten Sie? Brüssel will massenhaft illegale Einwanderer,
in Größenordnung einer Stadt, in Ungarn ansiedeln“. Manchmal kleben gleich
ein halbes Dutzend nebeneinander.
Für die Satirepartei eine dankbare Vorlage. Sie fragte plakativ zurück:
„Wussten Sie? In Syrien herrscht Krieg“ oder „Wussten Sie? Ein
durchschnittlicher Ungar sieht in seinem Leben mehr UFOs als Einwanderer“.
Bereits im vorigen Jahr hatte die Partei auf riesigen Werbeflächen
gespottet: „Ich habe die ungarische Antieinwanderungskampagne überlebt.“
Die schrille Imitation brachte ihr Erfolg und Zulauf.
Der Student mit den Dreadlocks und diversen Festivalbändchen am Handgelenk
ist zum ersten Mal beim Plenum dabei. In der Reihe vor ihm sitzt eine
Mutter mit ihren Teenagerkindern. Sie wirken vertraut mit dem Setting und
nippen reihum an einem Bier. Keine andere demokratische Oppositionskraft in
Ungarn kann gegenwärtig eine so unterschiedliche Schar an Menschen
zusammenbringen. Und genau davon lebt die Partei: Nur Zeit, Geld und
Kreativität der Crowd machten die Kampagne mit ihren mehr als 200.000
gedruckten Postern und den vielen gemieteten Plakatflächen möglich. Die
bereits 2006 entstandene Partei verließ endgültig ihre ursprüngliche
Street-Art-Nische.
## „No-go-Areas in der Josefstadt? Die Leute lachen
Aber auch die Regierung mobilisiert bis hinab zur Basis. Der Josefstädter
Bürgermeister Máté Kocsis, ein junger, eleganter Fidesz-Mann, hat zum
Bürgerforum in das Gebäude eines Schulbuchverlags geladen. Er selbst ist an
diesem Abend verhindert, dafür spricht Kulturstaatsminister Péter Hoppál.
„Ob in der Tram, am Arbeitsplatz oder unter Freunden: Überall müssen wir
jetzt eindeutige Antworten geben. Verteidigen wir unsere Heimat,
verteidigen wir Ungarn, stimmen wir beim Referendum mit Nein,“ schwört
Hoppál seine bürgerliche Klientel in Hemd und Bluse ein.
Er rechnet laut vor: Die Zahl der Migranten – er spricht nicht von
Flüchtlingen – wird sich womöglich verdoppeln oder verdreifachen, die
Quellen seien schließlich unendlich. Für jene die Asyl erhielten, plane die
EU einen großzügigen Nachzug auch der Großfamilie. Zudem hätte man es bei
Migranten mit ganz anderen Geburtenzahlen zu tun: „Aus einer Person werden
schnell 30.“
Kein Wort hier fällt zufällig oder unbedarft. Alles ist abgestimmt mit den
Powerpointfolien an der Wand. Zu sehen sind die verdunkelten Konterfeis der
EU-Politiker Jean-Claude Juncker und Martin Schulz vor einem endlos
erscheinenden Flüchtlingstreck. Hoppál spricht seine Zuhörer direkt an:
„Können Sie sich No-go-Areas wie in Großbritannien, Schweden und
Deutschland auch in ihrer Josefstadt vorstellen?“ Die Anwesenden lachen
höhnisch auf, schließlich seien manche Straßenzüge ihrer Gegend schon jetzt
unbetretbar wegen der Roma und der vielen unsanierten, verlotterten
Altbauten, erklären sie.
## „Wir sind einverstanden mit Orbán“
Ähnliches bekommt man zu hören, wenn man mit den Josefstädtern auf der
Straße spricht. Sie hätte zwar im vergangenen Jahr keine schlechten
Erfahrungen gemacht, trotzdem aber Angst vor Geflüchteten, sagt eine
zweifache Mutter, die mit ihren Töchtern auf dem Spielplatz sitzt. Am
Referendum will sie aber nicht teilnehmen, weil sie mit Orbáns Politik
nicht einverstanden ist. Genauso wie ein älterer Rom im rosa Hemd: Er will
keine Flüchtlinge, wenn schon die Ungarn selbst kein Geld, keine
Möglichkeiten, keine Arbeit hätten. Andere sagen kurz und knapp: „Wir
gehen, man muss gehen, wir sind einverstanden mit Orbán.“ Ein junges, vor
Kurzem zugezogenes Paar wird vermutlich ungültig stimmen. Sie hätten
letztes Jahr viel Zeit am Keleti verbracht, dort geholfen und die
Atmosphäre sehr genossen.
Dass die deutliche Mehrheit der Wählenden die EU-Quote ablehnen wird, ist
ausgemachte Sache. Rechtskräftig ist das Referendum allerdings nur, wenn
mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten gültig abstimmen. Das Quorum
scheint nicht gewiss. Neben der Satirepartei und mehreren demokratischen
Oppositionsparteien ruft auch ein Bündnis von 22 NGOs dazu auf, ungültig zu
wählen oder das Referendum zu boykottieren. Die extrem rechte Partei Jobbik
fordert wie die Regierung zum Nein auf, kritisiert aber zugleich, dass
Orbán mit seiner Flüchtlingspolitik von anderen drängenden Problemen wie
Korruption, Bildung und Gesundheitspolitik ablenke.
Über den verstopften Ringstraßenabschnitt der Josefstadt fährt ein Lkw mit
dem Slogan: „Die Zwangsansiedlung erhöht die Terrorgefahr.“ Er trägt das
Wappen des achten Bezirks. Bürgermeister Kocsis sagt auf Anfrage der taz:
„Die Quote könnte zu einer größeren Terrorkrise führen, die öffentliche
Sicherheit senken, unsere Kultur gefährden.“ 2009 wurde er, damals 29,
Bürgermeister des Bezirks.
Spätestens seit er Obdachlosigkeit zur Ordnungswidrigkeit erklärte, gilt er
vielen als rigoroser Hardliner. Für die Referendums-Kampagne tourt der
Orbán-Vertraute sogar durch die Provinz. Blickt er zurück auf das
vergangene Jahr, erinnert er sich an Massen von Flüchtlingen in seinem
Bezirk, die auf frisch renovierten Plätzen campten, im Brunnen badeten,
Spielplätze als Klo benutzten, laut waren und Feuer machten. „Ihre bloße
Präsenz machte den Leute Angst“, sagt er, wohl wissend, dass Staat und
Stadt den Flüchtlingen zunächst keinerlei Infrastruktur bereitstellten.
„Die Linken und extrem Liberalen haben schlicht Angst vor dem Willen des
Volkes“, sagt Kocsis. „Die Satirepartei ist keine seriöse Partei und
dementsprechend sollten wir sie behandeln.“
## Noch ein Feindbild mehr
Darüber würde Gergely Kovács schlicht lachen. „Ich habe mich gelangweilt,
als ich von dem Referendum erfahren habe“, sagt er und macht eine Pause,
bevor er schnell ein beteuerndes „wirklich“ hinzufügt, um die sonst so
allgegenwärtige Ironie eindeutig auszuschließen. „Es ist eine Hasskampagne
gegen die Geflüchteten. Und Hass kann man nicht mit Hass beantworten.
Angesichts der Flüchtlinge ist Orbán der Glückspilz schlechthin.“ Seine
Regierung habe schon immer nach Feindbildern Ausschau gehalten: „Nach den
Obdachlosen, den Drogenabhängigen, den Schwulen, der EU, Banken und
ausländischen Unternehmen, kann er jetzt auch mit Flüchtlingen hausieren
gehen.“
Nach dreieinhalb Stunden ist das Plenum vorbei. Die Aktivisten strömen mit
dicken Plakatstapeln unter dem Arm und Stickern in den Hosentaschen aus dem
Gebäude. Sie wirken unverbraucht. Jetzt schlägt ihre Stunde.
1 Oct 2016
## AUTOREN
Andreas Koob
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Ungarn
Referendum
EU-Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Flucht
Ungarn
Viktor Orbán
Schwerpunkt Flucht
Ungarn
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Ungarn
Budapest
Ungarn
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aus Le Monde diplomatique: An der schwarzen Donau
Der ungarische Nationalismus floriert, politische Gegner werden
eingeschüchtert. Ultrarechte versammeln sich bei Pop-Events für die ganze
Familie.
Kommentar Referendum in Ungarn: Über die eigene Schwelle gestolpert
Orbáns Referendum ist an den hohen Hürden gescheitert, die er selbst
eingeführt hat. Für seine Politik war das Ergebnis ohnehin unerheblich.
Flüchtlingsreferendum in Ungarn: Eigentor für Orbán
Trotz der massiven Kampagne gingen zu wenige Ungarn wählen – das Referendum
ist ungültig. Regierungschef Orbán zelebriert dennoch.
Referendum über Flüchtlinge in Ungarn: Abschottung wird gewinnen
Ungarns Regierungschef Orban will keine Flüchtlinge aufnehmen. Beim
Referendum am Sonntag will er sich das vom Volk bestätigen lassen.
Roma vor dem Referendum in Ungarn: Nach unten treten
Um das Quorum für das Anti-Flüchtlingsreferendum zu erreichen, setzt Orbáns
Fidesz auch Roma unter Druck. Einige beugen sich.
Wiener Flüchtlingsgipfel: Flüchtlingsabwehr lautet die Devise
Beim Flüchtlingsgipfel sind alle zufrieden mit der Schließung der
Balkan-Route. Griechenland soll geholfen werden.
Luxemburgs Außenminister Asselborn: „Ungarn aus der EU ausschließen“
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn fordert Ungarns
EU-Ausschluss wegen der Flüchtlingspolitik. Ungarn reagiert prompt.
Intendant am Budapester Neuen Theater: Rechtsextremist Dörner bleibt
Seine erste Ernennung führte 2011 zu Protesten, seither hat das Neue
Theater in Budapest an Renommee verloren. Doch György Dörner darf
weitermachen.
Flüchtlings-Referendum in Ungarn: Eine Quote oder keine Quote?
Die ungarische Regierung lehnt eine quotierte Verteilung von Flüchtlingen
in der EU ab. Anfang Oktober soll in einem Referendum die Bevölkerung dazu
befragt werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.