# taz.de -- Flüchtlingsaktivisten in Südfrankreich: Im Tal der Hilfsbereiten | |
> Cédric Herrou bringt Flüchtlinge über die italienische Grenze und lässt | |
> sie auf seinem Bauernhof wohnen. Ist er ein Schlepper? | |
Bild: Teilt auch die letzte Mandarine: Cedric Herrou hat sein Grundstück zu ei… | |
BREIL-SUR-ROYA taz | Als die Sonne aufgeht an diesem Novembermorgen, lässt | |
Cédric Herrou seine 250 Hühner ins Freie und schaut nach, wie viele | |
Menschen heute mit ihm frühstücken werden. | |
Es ist kurz nach sieben. Herrou zählt die Schuhe vor seinen drei Zelten, | |
seinen beiden Wohnwagen und dem Matratzenlager in der Holzhütte. Fünfzehn | |
Paare. Fünf mehr als gestern. Sie müssen in der Dunkelheit zu ihm gefunden | |
haben, die Bahngleise entlang von der italienischen Grenze nach Frankreich | |
hinein, in seinen kleinen Ort. Und jetzt wohnen sie hier. | |
„Coffee?“, fragt Cédric Herrou. | |
Fünfzehn Eritreer und Sudaner sitzen Minuten später um einen hölzernen | |
Tisch und tunken Kekse und Brioche in ihren Kaffee. Herrous Bauernhof ist | |
für sie der erste friedliche Ort nach einer monatelangen Flucht. | |
## Europas gastfreundlichster Fleck? | |
Cédric Herrou ist 37 Jahre alt, schütteres Haar, tiefe Augen hinter der | |
Brille. Er sagt, sonst sei er eigentlich ein Einzelgänger. Aber es sind | |
gerade keine Zeiten wie sonst. Die vielen hilflosen Flüchtlinge in seinem | |
Tal lassen ihm keine Wahl, sagt er. „Ich muss ihnen beistehen.“ | |
Er ist nicht der Einzige hier in Breil-sur-Roya im Süden Frankreichs, der | |
Migranten bei sich aufnimmt. In den vergangenen Monaten haben rund zwanzig | |
Familien meist junge Menschen beherbergt, viele weitere kochen für sie. Sie | |
gabeln sie vor ihrem Haus auf oder auf dem Marktplatz, es sind Lehrerinnen | |
und Gemeinderäte, Gemüsebauern und Klempner. Vielleicht ist das hier der | |
gastfreundlichste Fleck Europas. | |
Ausgerechnet hier, wo Tausende Migranten über die Mittelmeerroute und | |
Italien ankommen, haben die Menschen keine Angst vor der Einwanderung. | |
Ausgerechnet hier, in der konservativsten Region Frankreichs, öffnen sie | |
ihnen die Türen – vor den Augen der Gendarme und der Grenzpolizisten. Nicht | |
bei allen kommt die spontane Hilfsbereitschaft gut an, wie sich noch zeigen | |
wird, und die Kritiker sind nicht nur die, die man erwartet. Aber für | |
Cédric Herrou ist die Sache klar. „Der Staat versagt, deshalb müssen wir | |
Bürger für diese Menschen sorgen.“ | |
Herrou ist Bauer, er verkauft Hühnereier und das Öl seiner achthundert | |
knorrigen Olivenbäume, die sich einen steilen Südhang hinaufziehen. Sein | |
Hof liegt zwanzig Kilometer nördlich von Ventimiglia, einer italienischen | |
Stadt am Mittelmeer, die fast an Frankreich grenzt. Ventimiglia ist das | |
Nadelöhr für Tausende Flüchtlinge, die meist über Libyen, das Mittelmeer | |
und Süditalien nordwärts reisen. Die Unterkünfte sind überfüllt und einige | |
berichten, wie sie die Polizei brutal behandelt. In der Stadt selbst sind | |
die Grenzen für Flüchtlinge nach Frankreich seit siebzehn Monaten dicht. | |
Einzig die Straße und die Bahnschienen neben dem Fluss Roya bieten noch | |
eine Alternative. Sie führen in Herrous Dorf Breil-sur-Roya. Dort liegen | |
zwei Eisenbahntunnel direkt nebeneinander. Manche Flüchtlinge kommen über | |
die italienischen Gleise durch einen Tunnel an und nehmen den nur zehn | |
Meter weiter oben liegenden Tunnel, um auf den Schienen nach Frankreich zu | |
wandern, in Richtung Nizza. Oder sie bleiben bei Herrous Hof hängen. | |
Ausgerechnet im Royatal hat das Regionalparlament versäumt, Unterkünfte für | |
Flüchtlinge zu beschließen. Es sieht so aus, als wollten die Behörden die | |
vielen Neuankömmlinge nicht wahrhaben. Wenn französische Grenzpolizisten | |
sie festnehmen, werden sie meist wieder nach Italien gebracht. Es ist ein | |
Katz-und-Maus-Spiel zwischen zwei Staaten, die möglichst wenig Migranten | |
aufnehmen wollen. Französische Politiker rühmen sich damit, seit Januar | |
25.000 Flüchtlinge ins Nachbarland zurückgeschickt zu haben. | |
Die meisten Menschen im Royatal finden das nicht gut, sie widersetzen sich. | |
Auf Herrous Hof kochen sie nun das gemeinsame Mittagessen. Es gibt scharf | |
gewürztes Kürbisgemüse mit Kartoffeln und Salat, hübsch angemacht auf | |
Keramikgeschirr. Zwei Helfer aus dem Tal sind gekommen, Freunde von Herrou, | |
und schaufeln zwanzig Teller voll. Nach dem Essen machen die Gäste den | |
Abwasch, leeren den Komposteimer, rücken Stühle wieder gerade. Manche | |
helfen auch ein bisschen auf dem Hof, füllen etwa die Hühnernäpfe mit | |
frischem Wasser. Aber so richtig anpacken können sie nicht. Das wäre | |
illegale Arbeit und der Bauer würde sich strafbar machen. | |
Augenblicklich ist Herrou sehr darauf bedacht, kein Gesetz zu brechen. Er | |
ist inzwischen angeklagt wegen „Beihilfe zum Eintritt und Aufenthalt von | |
Flüchtlingen mit illegalem Aufenthaltsstatus“. Ihm drohen fünf Jahre Haft | |
und eine Geldstrafe von 30.000 Euro. Es ist das Strafmaß für professionelle | |
Schleuser, die Geld dafür nehmen, Flüchtlinge zu transportieren. Für | |
selbstlose Helfer, nette Schleuser wie Herrou und seine Nachbarn, ist das | |
Gesetz eigentlich nicht gemacht. | |
Seitdem erst eine Lokalzeitung und dann auch nationale Medien über ihn | |
berichtet haben, ist Cédric Herrou berühmt geworden. Bei einer Anhörung am | |
vergangenen Mittwoch versammelten sich einige Hundert Menschen vor dem | |
Gerichtsgebäude in Nizza, um ihn zu unterstützen. | |
## Dem Helfer drohen 30.000 Euro Strafe | |
Herrou fragte die Richterin, was er machen solle, wenn am Abend wieder | |
Flüchtlinge vor seiner Tür stehen. „Rufen sie die Polizei“, riet sie ihm. | |
Herrou winkte ab. Damit sei den Flüchtlingen nicht geholfen. Die Richterin | |
hat erstaunt geguckt über Herrous einfache Logik, die nicht zu ihren | |
Paragrafen passt, berichtet seine Anwältin Françoise Cotta. Sie ist | |
optimistisch. „Er zieht keinen Vorteil aus seinen Aktionen und kann für die | |
Hilfe von Schutzbedürftigen nicht verurteilt werden. Im Grunde übernimmt er | |
die Aufgaben des Staates. Der Staat sollte ihm danken.“ | |
Herrou hat all das nicht geplant. Am Tag nach der Grenzschließung bei | |
Ventimiglia nahm er wie üblich zwei Anhalter mit, das war am 15. Juni 2015. | |
Es waren aber keine Touristen wie sonst, sondern Flüchtlinge. In seinem | |
weißen Lieferwagen sagten sie, dass sie keine Unterkunft für die Nacht | |
hätten. Er nahm sie mit, baute ihnen ein Zelt auf und war selbst ein wenig | |
überrascht, wie einfach alles war. | |
Am nächsten Morgen nahm er wieder zwei Menschen mit, die nächsten kamen von | |
alleine. Damals ahnte er noch nicht, dass er monatelang Gäste haben würde, | |
jede Nacht, manchmal ein paar Dutzend auf einmal. Inzwischen geben sich | |
Flüchtlinge untereinander seine Adresse weiter. | |
Und das Engagement steckt an. Im Royatal werden Menschen aktiv, die sich | |
vorher nie aufgelehnt haben. Henry und Cécile Paicheler zum Beispiel. Sie | |
sind treue Kunden von Herrou auf dem Wochenmarkt. Erst spendeten sie nur | |
Kleider und Essen. Eines Morgens aber, als die pensionierte Lehrerin ihre | |
Frühstückscroissants beim Bäcker kaufte, sah sie, wie acht junge Menschen | |
mit zerrissenen Sandalen auf dem Platz auftauchten. „Ich habe sie mit zu | |
uns in die Wohnung genommen, das schien mir das Richtige zu sein“, sagt | |
sie. Fünf Eritreer, zwei Sudaner und eine Äthiopierin fielen nach ihrem | |
Marsch über die Gleise auf die rasch zusammengeschobenen Matratzen im | |
Wohnzimmer und schliefen sofort ein. | |
## „We love you, Mama“ | |
Erst am Nachmittag wachten sie wieder auf, Cécile Paicheler kochte ihnen | |
einen großen Topf Couscous, die Gäste bekreuzigten und bedankten sich vor | |
jedem Bissen. Sie blieben zwölf Tage. Cécile Paicheler und ihr Mann konnten | |
sich kaum mit ihnen unterhalten, weil sie nur ein paar Brocken Englisch | |
sprachen. Also hörten sie zusammen Musik aus ihrer Heimat, die Jugendlichen | |
tanzten dazu. Dann brachten die beiden ihre Gäste mit dem Auto nach Nizza | |
und bezahlten ihnen Zugtickets nach Marseille. Drei Tage später meldete | |
sich die Gruppe aus Paris. Auf ihrem Nachttisch hatten sie eine Nachricht | |
hinterlassen, geschrieben mit wasserfestem Filzstift: „We love you, Mama.“ | |
Mit der pragmatischen Hilfe der Menschen im Royatal können die etablierten | |
Flüchtlingsorganisationen nicht viel anfangen. Offenbar sind sie, die mit | |
den französischen Behörden zusammenarbeiten, überfordert mit dem, was hier | |
passiert. Denn hier gibt es keine feste Statuten und Regeln. „Was machst | |
du, wenn plötzlich ein Flüchtling bei dir im Zelt erfriert?“, fragt ein | |
Aktivist der Französischen Menschenrechtsliga an diesem Novembertag auf | |
Herrous Terrasse, als die Kälte bei Sonnenuntergang unter die Haut kriecht. | |
Herrou dürfe die Flüchtlinge nicht einfach über die Grenze transportieren. | |
Und wo seien überhaupt die Sanitäranlagen? | |
Der junge Mann empfiehlt, mit den etablierten NGOs zusammenzuarbeiten. | |
Herrou aber hat keine Zeit für Bürokratie und auch keine Lust darauf. Er | |
macht einfach sein Tor auf. | |
Wer zu Herrous altem Steinhaus möchte, muss erst einige steinige | |
Serpentinen zu Fuß hochlaufen. Herrou hat vor sechs Jahren bewusst einen | |
schwer zugänglichen Bauernhof gekauft, er suchte die Abgeschiedenheit, die | |
Ruhe auf dem Land. Nun hat er jeden Tag „Besucher“, wie er sie nennt. Und | |
er scheint glücklich darüber zu sein. Vielleicht hat ihn sein einfaches | |
Leben in den Bergen, in einem Haus mit alten und selbst gezimmerten Möbeln | |
und einer Eingangstreppe aus morschem Bauholz die Bedürfnisse der | |
Flüchtlinge klarer sehen lassen. „Sie haben Hunger, also koche ich für sie. | |
Sie sind erschöpft, also gebe ich ihnen ein Bett. Sie sind nach einer | |
nächtlichen Wanderung durchgefroren, also gebe ich ihnen was zum Anziehen.“ | |
Hin und wieder möchte er mal wieder alleine sein, sagt Cédric Herrou. Aber | |
er habe sich noch nie in seinem Leben so wertvoll gefühlt. | |
## Probleme? Gibt es nicht, heißt es | |
Die Bewohner des Tals mit den schroffen Felshängen haben schon immer mit | |
Flüchtlingen gelebt – und vielleicht deshalb keine Angst vor ihnen. In der | |
Vergangenheit waren sie selbst oft plötzlich außerhalb ihres eigenen | |
Landes. Denn die Städte vom Mittelmeer an flussaufwärts wechselten im Laufe | |
der Jahrhunderte mehrfach die nationale Zugehörigkeit. Grenzen und Staaten | |
wurden für die Leute hier unwichtiger als anderswo. | |
Politisch sind die Bewohner Breil-sur-Royas ohnehin ein Stachel im Fleisch | |
einer Region, in der viele rechtsextreme Bürgermeister regieren und in der | |
ein Bürgermeister von Nizza schon einmal bei Fußballspielen ausländische | |
Fahnen verbietet. | |
Linke Kandidaten sind so unpopulär, dass sie meistens formal als Parteilose | |
antreten. Im Royatal aber bekam schon der erste sozialistische Präsident | |
Francois Mitterand in den 1980er Jahren mehr als 80 Prozent der Stimmen – | |
ein landesweiter Rekord. „Wir sind eigenständig“, sagt Michel Masseglia, | |
der Vizebürgermeister von Breil-sur-Roya, er gehört der | |
Mitte-links-Mehrheit an. Im Rathaus spricht er voller Wohlwollen von den | |
Flüchtlingen. Auf die Frage, ob er selbst schon welche aufgenommen habe, | |
lacht er nur. Selbst die Polizei sei in seinem Tal humanistisch gesinnt. | |
„Sie begrüßen es, wenn sich die Bewohner so gut kümmern.“ Probleme? Gibt… | |
nicht, sagt er. | |
Tatsächlich haben die neuen Herbergsleute die Menschen im Tal auf ihrer | |
Seite. Heute spendet der kleine Supermarkt seine unverkauften Waren, der | |
Bäcker seine Baguettes und viele Bürgerinnen und Bürger geben Jacken, | |
Unterhosen, Zahnbürsten und Kinderspielzeug. Der Pastor predigt am Sonntag, | |
den Flüchtlingen zu helfen. Krankenschwestern kommen kostenlos zu den | |
inoffiziellen Matratzenlagern, um Wunden zu verbinden. Studierende, die | |
ihre Eltern am Wochenende besuchen, geben den jungen Flüchtlingen | |
Französisch-Kurse. Nur das regionale Parlament, der Conseil Régional, der | |
sich eigentlich um die Menschen kümmern müsste, ist nicht präsent. | |
## Die meisten kommen aus Eritrea | |
Dabei sind es meist minderjährige Menschen, die nach Breil laufen. Vor | |
Kurzem übernachtete ein 16-jähriges Mädchen bei Herrou, das im siebten | |
Monat schwanger war. Oder eine Mutter mit zwei kleinen Kindern. Heute sind | |
acht minderjährige Eritreer bei Herrou. Auf einer Landkarte auf ihrem | |
Smartphone zeigen sie das kleine Land in Ostafrika, aus dem die meisten | |
Flüchtlinge ins Royatal kommen. Die UNO bezichtigt den Einparteienstaat | |
Eritrea, Bürger zu foltern, willkürlich zu töten und verhaften zu lassen. | |
Daniel und Jueghe sind beide sechzehn Jahre alt, ihre Nachnamen wollen sie | |
lieber nicht nennen. Sie haben sich auf ihrer Flucht kennengelernt. Zuerst | |
sind sie über den Sudan nach Libyen geflohen, zu Fuß oder in Bussen. | |
Manchmal hätten sie in Rote-Kreuz-Lagern übernachten können, manchmal in | |
Höhlen oder bei Schleusern. „Je reicher du bist, desto schneller kommst du | |
hier an“, sagt Jueghe. Er trägt einen Pulli mit einem Aufdruck des | |
Nizza-Marathons, den hat er hier geschenkt bekommen. Daniel will nach Paris | |
und hat noch keine weiteren Pläne, Jueghe möchte zu einem Cousin nach | |
Frankfurt und dort studieren, am liebsten was mit Finanzen. | |
Seine Familie sei „etwas wohlhabend“ gewesen, wie er es ausdrückt, deshalb | |
habe er schon nach acht Monaten in einem Schlauchboot Italien und damit | |
Europa erreicht. „Ihr habt es gut hier“, sagt er, und versichert, dass er | |
gerne besser Englisch sprechen würde, damit ihn „the white people“ besser | |
verstehen können. Immer wieder zeigt er mit dem Finger auf Libyen. „Es war | |
schrecklich dort“, sagt er, keine Polizei, kein Gesetz, nichts, nur | |
Banditen. Auf Herrous Bauernhof habe er zum ersten Mal seit langer Zeit | |
verschnaufen können, sagt er. „Es ist so friedlich hier.“ | |
Vielleicht liegt es an den gackernden Hühnern oder der warmen | |
Mittelmeersonne, aber tatsächlich herrscht auf dem Hof mit den vielen | |
gestrandeten Seelen erstaunliche Unbekümmertheit. Sie spielen Karten, | |
hacken Holz fürs Lagerfeuer und tollen mit dem Hund. Sie haben es nicht | |
eilig. | |
## Die Verantwortlichen wissen bescheid – und verstehen | |
Am Morgen noch hatte Herrou den Minderjährigen angekündigt, sie am | |
Nachmittag an Sozialarbeiterinnen zu übergeben, die sie in ein | |
Flüchtlingsheim in Nizza bringen sollten. Am Mittag erhält er einen Anruf | |
aus dem Regionalrat. Nicht die Sozialarbeiterinnen, sondern die | |
Grenzpolizei will die Flüchtlinge empfangen. Herrou lehnt ab. „Die | |
Polizisten bringen sie zurück nach Italien und zwei Tage später sind sie | |
wieder bei mir“, sagt er. Sein Gegenüber scheint das zu verstehen. | |
Die Verantwortlichen wissen, was auf Herrous Bauernhof und in den anderen | |
Häusern im Royatal passiert. Herrou bekam von Polizisten sogar schon | |
Taschenlampen geschenkt. Erst als er in der Presse freimütig zugab, | |
Flüchtlinge nach Frankreich zu transportieren, wurde ein Strafverfahren | |
gegen ihn eröffnet. „Konsumgüter ziehen durch die ganze Welt, ohne dass | |
Menschenrechte beachtet werden“, sagt Herrou. „Aber wenn physisch und | |
psychisch zerstörte Flüchtlinge bei uns auftauchen, ziehen wir die Grenzen | |
hoch.“ Zum ersten Mal wird er politisch. Sonst sagt er oft: Ich bin doch | |
nur ein Bauer. | |
Über die ihm drohende Gefängnisstrafe spricht Cédric Herrou wenig. | |
Besonders zu belasten scheint ihn der Prozess nicht. Er findet es gut, dass | |
er vor Gericht über das „Drama in meinem Tal“ sprechen kann. | |
Von manchem Lokalpolitiker bekommt er Rückendeckung. „Der Staat muss eine | |
geordnete Flüchtlingsunterkunft aufbauen – sonst werden die Bewohner immer | |
wieder privat aushelfen müssen“, sagt der Vizebürgermeister Masseglia. Er | |
findet die Hilfe richtig. Der Chef des Regionalparlaments aber, Eric | |
Ciotti, kritisiert die aufständigen Bewohner. Der konservative Republikaner | |
hat ein Buch mit dem Titel „Autorität“ geschrieben und war Sprecher von | |
Nicolas Sarkozys populistischer Kampagne. „Ich verurteile diese schlimmen | |
Initiativen, mit denen im Herzen unserer Städte Camps mit illegalen | |
Zuwanderern entstehen sollen“, sagt Ciotti. Die „Aktivisten“ würden | |
Flüchtlingen helfen, obwohl doch bekannt sei, dass mit ihnen auch | |
Dschihadisten ins Land kämen. | |
## Von manchen hört Herrou nichts mehr | |
Amnesty International hat auf seine harschen Worte reagiert. Die | |
Menschenrechtsorganisation will Klage einreichen wegen „Vernachlässigung | |
von Minderjährigen“. Offiziell ist der französische Staat – wie jeder | |
andere auch – dazu verpflichtet, Migranten unter 18 Jahren zu versorgen. | |
Aber Frankreich, so der Vorwurf, setzt sie einfach in den Zug nach Italien. | |
Viele von denen, die es hinaus schafften aus dem Royatal, melden sich bei | |
Cédric Herrou, schicken ihm eine Nachricht per Facebook. Andere rufen an, | |
wenn sie in Paris angekommen sind oder in Deutschland. Viele erzählen ihm, | |
dass sie Asyl bekommen haben und bedanken sich tausendfach. Von manchen | |
hört er nichts mehr. | |
1 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Annika Joeres | |
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