| # taz.de -- Schau zum Nazi-Lager Malyj Trostenez: Parallelgeschichten aus Minsk | |
| > Waren Juden unter den Partisanen? In Hamburg erinnert eine | |
| > deutsch-weißrussische Schau an das Todeslager Malyj Trostenez. | |
| Bild: Erschießungsstelle in Trostinez bei Minsk (2014): eine Gedenkaktion von … | |
| Malyj Trostenez, zu Deutsch Klein Trostenez, das klingt niedlich. | |
| Vielleicht deshalb lässt der zwölfjährige Held von Andrei Tarkowskis | |
| Erstlingsfilm „Iwans Kindheit“ den Namenszusatz weg, als er schreit „Warst | |
| du in Trostenez? . . . Im Todeslager? . . . Du begreifst gar nichts!“ | |
| Der Ort liegt zwölf Kilometer vor der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Seit | |
| 1963 erinnert ein Obelisk im nahe gelegenen Bolschoj (Groß) Trostenez an | |
| die Opfer. „201.500 Zivilisten, Partisanen und Kriegsgefangene“ seien | |
| zwischen 1941 und 1944 in dem Vernichtungslager von den Nazis ermordet | |
| wurden, teilt die kurze Inschrift mit. | |
| Tatsächlich wurden im Lager, das seit dem Frühjahr 1942 existierte, vor | |
| allem aber durch Erschießungen im angrenzenden Wald, von den Nazis in | |
| erster Linie Juden ermordet. In Deportationszügen schickten deutsche | |
| Verwaltungsbeamte und Ordnungskräfte ab 1941, kurz nach dem Überfall auf | |
| die Sowjetunion, die jüdische Bevölkerung aus dem Reichsgebiet nach Minsk, | |
| um sie dort entweder umgehend zu erschießen oder vorübergehend im kurz | |
| zuvor errichteten städtischen Ghetto unterzubringen. | |
| Das Dorf bei Minsk mit dem dazugehörigen Waldstück gilt Historikern als | |
| größte Massenvernichtungsstätte auf dem Gebiet der vom Deutschen Reich | |
| besetzten Sowjetunion. | |
| ## Die vergessenen Toten | |
| Ein sichtbares Erinnern, das auch die jüdischen Opfer erwähnt, war erst | |
| jetzt, 75 Jahre später, möglich. In Hamburg läuft in der Hamburger | |
| Hauptkirche St. Katharinen noch bis 7. Dezember 2016 eine Ausstellung, die | |
| anschließend nach Minsk wandern wird. Sie hat nicht nur die | |
| Vernichtungspraxis der Nazis in der weißrussischen Hauptstadt zum Thema, | |
| sondern nimmt auch die unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Ost und | |
| West mit in den Blick. Möglich gemacht hat sie eine Initiative von | |
| Historikern aus Belarus und Deutschland unter Federführung des | |
| Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks IBB. | |
| Seit 1991 unterstützt das IBB „Johannes Rau“ Historiker in Weißrussland | |
| dabei, die Errichtung einer größeren Gedenkstätte in Malyj Trostenez | |
| möglich zu machen, die den Toten des Holocaust gewidmet ist. Kein leichtes | |
| Unterfangen, zumal Alexander Lukaschenko, der seit 1994 das Land regiert, | |
| es mit Wladimir Putin hält. | |
| Seine staatliche Erinnerungspolitik orientiert sich an der russischen, | |
| namentlich der Feier des Großen Vaterländischen Kriegs und der im Kampf | |
| gefallenen oder in Kriegsgefangenenlagern der Nazis zu Tode gekommenen | |
| Soldaten. Der eliminatorische Antisemitismus hatte in ihr bisher keinen | |
| Platz. | |
| ## Biografische Skizzen als Stellvertreter | |
| Beim Gang zwischen den 18 mannshohen Stelltafeln in Grau und Grün, die nun | |
| auch den Segen des belarussischen Außenministeriums haben und später in | |
| eine umfassendere Ausstellung in Malyj Trostenez integriert werden sollen, | |
| springt schnell ins Auge, dass es sich um eine Kompromissdarstellung | |
| handelt. | |
| „Zwischen 50.000 und 206.500 Menschen wurden dort getötet, verscharrt, | |
| später exhumiert und verbrannt“, heißt es eingangs. Welche Zahl der | |
| Realität am nächsten kommt, die kleinere, von seriösen Historikern | |
| erhobene, oder die hoch gegriffene, die angelehnt ist an die Zahl einer | |
| sowjetischen Untersuchungskommission von 1946, bleibt dem Betrachter | |
| überlassen. | |
| Sieben biografische Skizzen, die das zentrale Stück der Ausstellung | |
| ausmachen, porträtieren überwiegend jüdische Opfer, doch neben ihnen | |
| stehen, gleichwertig, andere. Von welchen Opfern also überhaupt zu sprechen | |
| ist, ob von jüdischen Zivilisten, von der belarussischen Zivilbevölkerung, | |
| deren Todesopfer für die gesamte Besatzungszeit in die Millionen gehen, ob | |
| von Partisanen egal welcher Provenienz oder von Soldaten der Roten Armee, | |
| gerät in der Darstellung immer wieder durcheinander. | |
| Dabei gibt die Ausstellung durchaus einen Überblick sowohl über einen | |
| Teilaspekt des Holocaust, der immer noch wenig bekannt ist, als auch über | |
| die mörderische Besatzungspolitik von Wehrmacht, SS und Hilfstruppen, | |
| welche die Ermordung hierher verschleppter Juden überhaupt erst möglich | |
| machte. | |
| ## In Denunziation geübt | |
| Timothy Snyder hat in dem Buch „Black Earth“ auf eine „unheilvolle | |
| Koninzidenz“ hingewiesen. Die Nazis trafen nämlich in den westlichen Teilen | |
| der Ukraine und Weißrusslands auf eine bereits in Denunziation unbeliebter | |
| Landesbewohner geübte Bevölkerung. | |
| Dort hatte der Große Terror unter Stalin in den Jahren 1937/38 rund 300.000 | |
| Tote gefordert, oftmals Angehörige der polnischen Minderheit. Es wird | |
| angenommen, dass nicht wenige dieser Ermordeten ebenfalls in der Erde des | |
| Waldes um Malyj Trostenez verscharrt liegen. | |
| Ob die zukünftige Gedenkstätte bei Minsk dazu dient, die Toten des NKWD nun | |
| um so lauter zu beschweigen, oder ob sie der Anfang ist zu einer | |
| Erinnerung, die allen Ermordeten dieser Bloodlands des 20. Jahrhunderts | |
| gerecht wird, muss sich erst noch zeigen. Dass es überhaupt so weit kam, | |
| verdankt sich auch der derzeitigen zaghaften Öffnung der | |
| Lukaschenko-Regierung nach Westen hin. Man wünscht sich in Minsk nämlich | |
| eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen. | |
| 24 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Christiane Müller-Lobeck | |
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