# taz.de -- Angela Merkel nach der US-Wahl: Die Mediatorin | |
> Die Bedeutung der Kanzlerin steigt: Sie muss die EU zusammenhalten, Putin | |
> und Erdoğan kontern – und Donald Trump einhegen. | |
Bild: Sie rutscht noch mehr in die Mitte des Weltgeschehens | |
BERLIN taz | Angela Merkel lässt deutlich durchblicken, was sie von dem | |
Überraschungssieg Donald Trumps hält. Sie tritt am Mittwochmittag im | |
Bundeskanzleramt vor die Presse, schaut aus kleinen Augen in die Kameras | |
und liest dann eine kraftvolle Botschaft vom Blatt, verpackt in den | |
protokollarisch gebotenen Glückwunsch an den neu gewählten US-Präsidenten. | |
Deutschland und Amerika seien durch Werte verbunden, sagt Merkel. Sie zählt | |
auf: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des | |
Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, | |
sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Dann schiebt sie nach: | |
„Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der | |
Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit | |
an.“ | |
Das ist eine unmissverständliche Anspielung auf Trumps Gebahren während des | |
schmutzig geführten Wahlkampfes, auf seine Verachtung für politische | |
Gegner, seine rassistischen Sprüche gegen Migranten, seine homophoben | |
Äußerungen oder seine Prahlereien, Frauen sexuell belästigt zu haben. Trump | |
an der Spitze der wichtigsten Ordnungsmacht des Westens – das ist für die | |
deutsche Bundesregierung ein wahr gewordener Albtraum. | |
Merkel drängt der Überraschungssieg Trumps in eine Rolle, die sie | |
vermutlich wenig schätzt. Sie wird plötzlich zur wichtigsten Staatschefin | |
der freien, demokratischen und liberal aufgestellten Welt. Merkel ist die | |
Regierungschefin des wichtigsten Staates in der EU. Seit elf Jahren im Amt, | |
verfügt sie über jede Menge außenpolitische Erfahrung, kennt viele | |
Staatschefs persönlich und ist weltweit geachtet. | |
## Eine entscheidende Figur | |
Nun, da Barack Obama bald schon Vergangenheit sein wird und ein | |
unkalkulierbarer Egomane das Weiße Haus übernimmt, wer bleibt da noch? Der | |
Sozialist François Hollande kämpft in Frankreich gegen die Rechtspopulistin | |
Le Pen und um seine politische Zukunft. Die Konservative Theresa May ist in | |
Großbritannien mit dem Brexit und seinen Folgen beschäftigt. Und Justin | |
Trudeau, der jugendlich wirkende Kanadier, spielt nicht in der | |
Gewichtsklasse Merkels. | |
Merkel, die die Weltbühne im Laufe ihrer Kanzlerschaft zunehmend für sich | |
entdeckt hat, rückt also in der internationalen Bedeutung nach oben, sie | |
wird immer mehr zu der Frau, die Männer wie Putin oder Erdoğan kontern | |
muss. Und sie ist eine entscheidende Figur, wenn es darum geht, das | |
zerstrittene Europa zu einen. | |
Eine gut zusammenarbeitende, geschlossen agierende EU, darauf weisen im | |
Moment viele Außenpolitiker hin, wird in Zukunft wichtiger denn je sein. Zu | |
unklar ist, wie Trump die amerikanische Außenpolitik gestalten wird. Selbst | |
der Sprecher des Auswärtigen Amtes räumt am Mittwoch ein, man sei „nicht | |
viel schlauer als die Öffentlichkeit“. Die Bundesregierung habe die | |
Aussagen von Trump im Wahlkampf verfolgt. „Seine Äußerungen zum Thema | |
Außenpolitik waren spärlich und hier und da schwer interpretierbar.“ | |
Klar ist, wenn Trump auch nur ansatzweise wahr macht, was er angekündigt | |
hat, wenn er beispielsweise die Rolle der USA in der Nato grundlegend | |
verändert, tariert sich das weltweite Gleichgewicht neu aus. | |
Gerade einmal zwei Minuten und 27 Sekunden nimmt sich Merkel Zeit für ihre | |
kritisch unterlegten Glückwünsche über den Atlantik. Als Herausforderungen | |
an eine Partnerschaft mit den USA nennt sie „das Streben nach | |
wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen, das Bemühen um eine | |
vorausschauende Klimapolitik, den Kampf gegen Terrorismus, Armut, Hunger | |
und Krankheiten, den Einsatz für Frieden und Freiheit“. Auch diese Sätze | |
sind nicht ohne Ironie. Trump streitet zum Beispiel ab, dass der | |
Klimawandel existiert. | |
## Den Frieden bewahren | |
Merkels Gratulation fällt folgerichtig eher pflichtschuldig aus. Und sie | |
kritisiert die „zum Teil schwer erträgliche Konfrontation“ im | |
zurückliegenden Wahlkampf. Wer dieses große Land regiere, mahnt sie Trump, | |
„mit seiner gewaltigen wirtschaftlichen Stärke, seinem militärischen | |
Potenzial, seiner kulturellen Prägekraft, der trägt Verantwortung, die | |
beinahe überall auf der Welt zu spüren ist“. Das ist eine einfache, aber | |
entscheidende Tatsache: Der Kurs der USA beeinflusst Weltpolitik – und | |
damit uns alle. | |
Trump könnte auf vielen Spielfeldern neue Linien zeichnen, an denen Merkel | |
nicht vorbeikäme. Ein Beispiel: Der Republikaner ließ während des | |
Wahlkampfes immer wieder Sympathie für Russlands Präsidenten Putin | |
durchblicken, gleichzeitig drohte er Nato-Mitgliedstaaten, sie sollten für | |
Schutz durch die USA künftig zahlen. Solche Ansagen sorgen in der Ukraine | |
und anderswo für tiefe Verunsicherung. Putin hat die Krim | |
völkerrechtswidrig annektiert. Kann sich die Ukraine noch auf die USA – und | |
die Nato – verlassen? | |
Merkel setzte sich in der EU dafür ein, Russland mit Sanktionen zu belegen. | |
Sie gilt zudem als eine der wenigen, die mit Putin Tacheles reden kann, | |
ohne allzu starke Abwehrreflexe des starken Mannes im Kreml zu erzeugen. | |
Würde sich plötzlich ein US-Präsident mit Putin verbünden, würde das ein | |
komplexes Gleichgewicht torpedieren. Zögen sich die USA noch weiter aus der | |
Rolle der weltweit agierenden Schutzmacht zurück, müsste Europa – allen | |
voran Deutschland – aufrüsten. Merkel wird wissen, wie umstritten ein | |
solcher Kurs bei den friedliebenden Deutschen wäre. | |
In der Bundesregierung gab man sich am Mittwoch Mühe, den allgemein | |
empfundenen Schock herunterzuspielen. Die Hoffnung scheint zu sein, Trump | |
möge im Regierungsamt umschwenken. Aus seiner irrlichternden Radikalität | |
könnte ein moderaterer, vom US-amerikanischen System der Checks and | |
Balances eingehegter Kurs werden. | |
## Ein Push für ihren Machtanspruch | |
Merkel wäre aber nicht Merkel, wenn sie sich darauf verlassen würde. Und so | |
pusht das US-Wahlergebnis auf unvorhergesehene Weise ihren Machtanspruch. | |
Klar ist, dass Angela Merkel angesichts zu erwartender außen- und | |
sicherheitspolitischer Verschiebungen gar nicht anders kann, als erneut | |
ihre Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur zu erklären. Jetzt auf eine andere | |
Kandidatin oder einen anderen Kandidaten zu setzen, wäre politischer | |
Selbstmord der Regierungspartei. Anfang Dezember hält die CDU ihren | |
Bundesparteitag ab, dann wird sich Merkel sehr wahrscheinlich erklären. | |
Anzunehmen ist, dass Trump im Weißen Haus ihr bei der Bundestagswahl | |
strategisch zupasskommt. In einer Welt, in der die Unsicherheiten wachsen, | |
dürften Wählerinnen und Wähler auf das vertraute Politikkonzept setzen. | |
Merkel wäre eine Kandidatin, die seit elf Jahren unter Beweis stellt, dass | |
sie die Nerven behält und eine desillusionierte Realpolitik bevorzugt. Laut | |
einer aktuellen Forsa-Umfrage wünschen 59 Prozent der Bundesbürger, dass | |
Merkel erneut antritt. Gut möglich, dass sich bis zur Wahl im September | |
2017 viele für Merkel entscheiden, die das bislang nicht für möglich | |
gehalten haben. | |
Trumps Wahlsieg dürfte zugleich rechtsorientierte Wählerinnen und Wähler | |
ermutigen. Der Sieg des Populisten zeigt: Wahlen können tatsächlich etwas | |
fundamental ändern. Entsprechend erbittert dürfte der Bundestagswahlkampf | |
werden. | |
Wo und wie sich dann die derzeit im Parlament vertretenen Parteien | |
positionieren, wird spannend. Für simple Antworten zeigt sich ja bislang | |
die Alternative für Deutschland zuständig. | |
10 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
EU-Sanktionen | |
Kanzlerkandidatur | |
Kanzlerkandidatur | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
USA | |
Schwerpunkt TTIP | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Streit über Russland-Sanktionen: Kein Gipfel der Harmonie | |
Nach einem Streit verlängern die EU-Mitgliedstaaten die Sanktionen gegen | |
Russland doch. Beim Abkommen mit der Ukraine bremsen die Niederlande. | |
Merkel-Analyse in fünf Richtungen: Mit der Raute gegen rechts | |
Merkels Kanzlerschaft könnte in die vierte Runde gehen. Was bedeutet das | |
für Europa, die Welt, die Deutschen – und die Zukunft der Rechtspopulisten? | |
Kommentar Kanzlerkandidatin Merkel: Die neue Kohl | |
Merkel will noch mal. Doch das Land hat sich in den elf Jahren ihrer | |
Kanzlerschaft stark verändert. Die AfD wird es ihr nicht leichtmachen. | |
Erneute Kandidatur von Angela Merkel: Norbert Röttgens Geheimnis | |
Im Gespräch mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN kündigte der | |
CDU-Politiker die Kandidatur Merkels an. Der Regierungssprecher bestätigte | |
das nicht. | |
Kanadas Angst nach der US-Wahl: Der Schöne und der Trump | |
Kanadas linksliberaler Präsident Justin Trudeau nennt sich selbst Feminist. | |
Wie soll dieser „Anti-Trump“ mit den USA zusammenarbeiten? | |
Die EU nach dem Sieg Trumps: Großalarm in Brüssel | |
Trumps Triumph ist für die EU ein Schock. Sie will den Republikaner auf | |
gemeinsame Werte verpflichten, so schnell wie möglich – doch wie? | |
Vorbereitungen auf einen Sieg Trumps: German Angst vor dem Milliardär | |
Was passiert in Berlin, wenn Trump neuer US-Präsident wird? Die | |
Bundesregierung gibt sich bedeckt. Bisher gab es so gut wie keinen Kontakt | |
zu ihm. | |
Angela Merkels Alternativlos-Rhetorik: Ton in Ton | |
Immer wieder nennt Merkel ihre Politik alternativlos. Warum | |
Alternativlosigkeit als Regierungsstrategie der Demokratie schadet. | |
Debatte Liberale Demokratie: Mehr Licht für Europa | |
Die liberale Demokratie wurde einst als das Modell der Zukunft erachtet, | |
ein Selbstläufer, der die Welt erobern würde. Es lohnt sich dafür zu | |
kämpfen. | |
Kolumne Kapitalozän: Merkel und das Es | |
Juhu, wir haben schon wieder ein neues Zeitalter: das postfaktische. Man | |
sollte die Dinge besser beim Namen nennen: Neofaschismus ist wieder in. |