# taz.de -- Lob des Berufspolitikers: Nicht ohne seine Lehrjahre | |
> Über den Typus des Berufspolitikers wird oft die Nase gerümpft. Dabei | |
> zeigt diese Woche doch sehr klar, wie dringend wir ihn brauchen. | |
Bild: Es ist beruhigend, dass er genau weiß, welche Anforderungen sein neues A… | |
Wenn jemand in den letzten Jahren das Wort „Berufspolitiker“ in den Mund | |
nahm, wollte er oder sie damit Verachtung zum Ausdruck bringen. Gut | |
möglich, dass sich das bald ändert. Obama, Steinmeier, Trump: Das waren die | |
politischen Namen der letzten Woche, in alphabetischer Reihenfolge. Welcher | |
der drei hat den Eindruck erweckt, die „Ängste und Sorgen der Menschen“, | |
von denen in diesen Tagen viel die Rede ist, tatsächlich ernst zu nehmen – | |
und wer nicht? Ja. Genau. | |
Wie es aussieht, wenn jemand Regierungschef wird, der kein Berufspolitiker | |
ist und auch noch stolz darauf, lässt sich derzeit bei Donald Trump | |
besichtigen. Wer da keine Sehnsucht nach Professionalität bekommt, kennt | |
keine Furcht. Genauso gut kann man einen Mann mit Elektroarbeiten | |
beauftragen, der erklärt, er wisse zwar nicht, was ein Stromkreis sei, aber | |
es gehe ihm ohnehin vor allem um Widerstand gegen die deutsche | |
Handwerksordnung. | |
Es liegt natürlich eine gewisse Ironie darin, dass die ganze Welt derzeit | |
einem Mann beim Lernen zuschaut, der Fernsehpopularität mit einer Serie | |
erreichte, die – ins Deutsche übersetzt – „der Lehrling“ hieß. Aber I… | |
ist bekanntlich die Waffe der Machtlosen. Und dieser „Lehrling“ wird schon | |
bald sehr viel Macht bekommen. Er kann es sich leisten, Witzeleien seiner | |
ohnmächtigen Gegner zu ignorieren. | |
Obama, Steinmeier, Trump. Der Besuch des scheidenden US-Präsidenten Barack | |
Obama wurde inszeniert wie ein Hollywood-Melodram. Wenn es ans | |
Abschiednehmen geht, dann sollen alle Fehler und Kränkungen vergessen sein. | |
Zumal dann, wenn der Held beteuert, „unsere“ Heldin sei die Einzige, die er | |
je wirklich geliebt habe. Ist das nicht zum Heulen schön. Na ja. Zum Heulen | |
sicherlich. | |
## Die letzten Wächter? | |
Zur Erinnerung: Der Friedensnobelpreisträger Obama hatte bereits 2014 über | |
500-mal den Abschuss unbemannter Drohnen auf mutmaßliche Terroristen | |
genehmigt. Der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve zufolge | |
starben dabei allein in Pakistan und im Jemen mehr als 1.000 Menschen, | |
darunter etwa 150 Kinder. Seine gute Freundin, die deutsche Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel, war die treibende Kraft beim Flüchtlingsabkommen zwischen | |
der EU und der Türkei. Das vor allem dem Ziel dient, Hilfesuchende von | |
einem rechtsstaatlich sicheren Raum fernzuhalten und sie statt dessen in | |
einem Land festzusetzen, das mittlerweile alle Kriterien einer Diktatur | |
erfüllt. | |
Merkel und Obama: Die letzten Wächter von Demokratie und Menschenrechten? | |
Gemach. So schlecht ist es um die Wertedebatte in der Welt nun auch nicht | |
bestellt, dass einem überhaupt niemand anders mehr zu diesen Themen | |
einfiele als die beiden. | |
Und dennoch war der Abschiedsbesuch von US-Präsident Obama in Europa | |
eindrucksvoll. Gerade weil er, Wochen vor seinem Auszug aus dem Weißen | |
Haus, die lahmste Ente – „the lamest duck“ – ist, die es derzeit überh… | |
gibt. Wenn er je Veranwortungsbewusstsein nachgewiesen hat und Sorge um | |
sein Land und den Rest der Welt: dann jetzt [1][in Athen] und Berlin. | |
Man kann nur ahnen, was es Obama gekostet hat, auf jede süffisante Spitze | |
seinem Nachfolger gegenüber zu verzichten. Seine Behauptung, „die | |
amerikanische Demokratie“ sei „größer als jede Einzelperson“, war der | |
beruhigendste Satz, der im Hinblick auf seinen Nachfolger möglich ist. | |
Übersetzt: Der Lehrling wird schon lernen. Regt euch nicht zu sehr auf. | |
## Kleptokratie | |
Wird der Lehrling wirklich lernen? Bereits in der ersten Woche nach den | |
Präsidentschaftswahlen in den USA hat [2][Donald Trump] ein Ausmaß an | |
Instinktlosigkeit an den Tag gelegt, das wohl nicht einmal seine schärfsten | |
Kritiker für möglich gehalten hätten. | |
Kleptokratie – wenn es das Wort nicht schon gäbe, es hätte für Donald Trump | |
und seine Familie erfunden werden müssen. Als Kleptokratie wird bei | |
Wikipedia eine „Diebesherrschaft“ bezeichnet, bei der die Herrschenden | |
„sich oder ihre Klientel auf Kosten der Beherrschten bereichern“. Noch | |
Fragen? „Es erscheint mehr und mehr wahrscheinlich, dass das Amt des | |
Präsidenten für Trump sehr lukrativ sein wird“, [3][schreibt Paul Waldman | |
in der Washington Post]. „Wenn das vorbei ist, ist er vielleicht sogar so | |
reich, wie er immer behauptet hat.“ | |
Nein, es geht nicht nur darum, ob seine Tochter die erste Pressekonferenz | |
ihres Vaters zur Werbung für ein Armband ihrer Schmuckkollektion nutzte. Da | |
ist mehr – viel mehr! – drin. Und es geht bei der Frage, was der „Lehrber… | |
Politik“ eigentlich bedeutet, auch nicht darum, ob Verwandte des künftigen | |
Präsidenten ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Wenn es allein das wäre: | |
geschenkt. Damit könnte die Welt leben. | |
Es geht um Prioritäten. Wenn derzeit in Brüssel, in Berlin und vermutlich | |
auch andernorts darüber geklagt wird, dass niemand – und gemeint ist: | |
niemand! – eine Telefonnummer, einen Draht zum Team des künftigen | |
US-Präsidenten hat: dann ist das nicht lustig. Dann ist das auch nicht nur | |
ein Hinweis darauf, dass Trump dem Rest der Welt eindrucksvoll den | |
Stinkefinger zeigt. Sondern dann zeugt das von nichts anderem als von einem | |
Mangel an Fantasie. | |
Donald Trump kann sich offenbar gar nicht vorstellen, dass es Situationen | |
geben könnte, in denen er wirklich dringend erreichbar sein müsste. Auch | |
das ist eine bedrohliche Erkenntnis. | |
## Come on | |
In Deutschland wird – weniger wichtig, aber für ein paar Schlagzeilen | |
hat’sgereicht – [4][der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier | |
demnächst Staatsoberhaupt]. Es gab ein bisschen Kritik am Auswahlverfahren, | |
und diese Kritik hat vor allem bewiesen, dass Populismus nicht von den | |
Populisten erfunden wurde. Sondern dass diese Klaviatur von professionellen | |
Beobachtern des Betriebs auch bespielt werden kann. | |
Konkurrenz um das höchste Amt hätte es geben sollen, sagen einige dieser | |
Beobachter, und: Absprachen der Parteien in Hinterzimmern seien nicht | |
akzeptabel, ob man denn aus dem Widerstand gegen das „Establishment“ in den | |
USA und dem Wahlsieg von Donald Trump nichts gelernt habe. | |
Come on. Das Amt des Bundespräsidenten ist – von sehr wenigen, dramatischen | |
Ausnahmen abgesehen – ausschließlich repräsentativ. Es geht eben gerade | |
nicht um einen Wettstreit konkurrierender Positionen. Sondern, um es knapp | |
zusammenzufassen, nur darum, dass der Präsident – bitte, bitte – nicht | |
peinlich sein möge. | |
Diese Minimalanforderung haben die Staatsoberhäupter bisher in den meisten | |
Fällen erfüllt. Auch Steinmeier wird in dieser Hinsicht vermutlich wenig | |
Fehler machen. Der Wunsch nach einem Wahlkampf im Hinblick auf ein Amt, das | |
dem der Queen in einer Republik entspricht, ist kontraproduktiv – und | |
populistisch. | |
Es ist beruhigend, dass der nächste Bundespräsident eine ziemlich genaue | |
Vorstellung davon hat, welche Anforderungen sein neues Amt an ihn stellt. | |
Er ist halt Berufspolitiker. Und Demokratie bedeutet nicht – oder sollte | |
nicht bedeuten – , dass alle ohne Vorbereitung jedes Amt jederzeit | |
übernehmen können. | |
Sondern: Jeder und jede soll an die Spitze des Staats gelangen können, | |
unabhängig von Vermögen, Beziehungen, familiärem Hintergrund. Aber nicht | |
ohne Lehrjahre. Der „Berufspolitiker“ mag verachtet werden. Aber er ist | |
unverzichtbar – wie Donald Trump in diesen Tagen beweist. | |
19 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5355424/ | |
[2] /!t5204455/ | |
[3] https://www.washingtonpost.com/blogs/plum-line/wp/2016/11/16/welcome-to-the… | |
[4] /Steinmeier-wird-offizieller-Kandidat/!5355499/ | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
## TAGS | |
Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Donald Trump | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Schwerpunkt Türkei | |
Europa | |
Christoph Butterwegge | |
Kanzlerkandidatur | |
Bundespräsident | |
Bundespräsident | |
Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Bundespräsident | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Macht: An der Seite Donald Trumps | |
Machtwechsel in den USA: Wer auf der Seite der Demokratie bleiben will, | |
muss jetzt an Donald Trumps Seite stehen. | |
Kolumne Macht: „Oh Gott, sie wird doch wohl nicht …“ | |
Manipulationen bei der US-Präsidentenwahl? Möglich. Aber man sollte das | |
Ergebnis am besten nicht mehr in Zweifel ziehen. | |
Frauenrechte in der Türkei: An der Seite des Mannes | |
Die Politik und Rhetorik der AKP tötet Frauen oder lässt sie verarmen. | |
Dennoch gibt es viele AKP-Unterstützerinnen. Wie kann das sein? | |
Studie zum Populismus in Europa: Deutsche sind am wenigsten rechts | |
Zwölf EU-Länder im Vergleich: Hierzulande sind die Menschen noch am | |
unempfänglichsten für populistische Parolen. | |
Präsidentschaftskandidat der Linken: Butterwegge gibt den Anti-Etablierten | |
In einem Interview empfiehlt sich Armutsforscher Christoph Butterwegge als | |
Alternative zum herrschenden Politikbetrieb. Er will die soziale Frage als | |
eigenen Schwerpunkt setzen. | |
Kanzlerin wird Kandidatin: Merkel tritt wieder an | |
Angela Merkel will weiter regieren. Beim Parteitag in Essen tritt sie | |
wieder als CDU-Chefin an. Sie erklärt sich auch zur vierten | |
Kanzlerkandidatur bereit. | |
Kandidat zu Bundespräsidentenwahl: Ein Richter will ins Schloss | |
In Sachen Beliebtheit kann es kaum einer mit Steinmeier aufnehmen. Außer | |
vielleicht Exfernsehrichter Alexander Hold. Er tritt für die Freien Wähler | |
an. | |
Kandidat_innen für Gauck-Nachfolge: Merkel wollte Birthler | |
Medienberichten zufolge hat die Kanzlerin der früheren | |
Stasiakten-Beauftragten die Kandidatur als Bundespräsidentin angeboten. | |
Doch Birthler sagte ab. | |
Linkspartei mit eigenem Kandidaten: Steinmeier nicht mehr alternativlos | |
Der renommierte Armutsforscher Christoph Butterwegge soll für die | |
Linkspartei als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl antreten. | |
Steinmeier wird offizieller Kandidat: Ein Präsident fürs Wir-Gefühl | |
CDU, CSU und SPD – alle stehen hinter dem Kandidaten Steinmeier. Nur | |
Ex-Guantánamo-Häftling Kurnaz wartet weiterhin auf eine Entschuldigung. | |
Kommentar Steinmeiers Türkei-Besuch: Vermeintliche Solidarität | |
Die Bundesregierung will Erdoğan als Torwächter Europas halten. Steinmeiers | |
Soli-Signale an die türkische Opposition sind eine Farce. | |
Kommentar Bundespräsidentenwahl: Heinrich, Horst, Karl und Joachim | |
Für den Posten im Schloss Bellevue, der bisher immer mit Männern besetzt | |
war, wurde reflexhaft wieder ein Mann gesucht. Warum keine Frau? |