# taz.de -- Die Wahrheit: Die Sorgen der Arschlöcher | |
> Viel Verständnis für null Substanz plus Rassismus: Lustig wird es nicht, | |
> nehmen wir Vollpfosten jetzt und in Zukunft ernst. | |
Bild: Zuschauen, entspannen, nachdenken: besorgte Bürger am 9. November bei Th… | |
Wir sind schuld. „Wir“, das sind Linke oder Liberale mit Abitur, | |
Freischwimmer und schmalem Vorstrafenregister. Wir sind schuld an Trump und | |
an Petry, an Le Pen, Kaczyński und Orbán. Das liest man dieser Tage oft, ob | |
von [1][Elisabeth Raether in der Zeit] oder von [2][Deborah Feldman in der | |
taz]: Unsere Überheblichkeit und unsere spöttische, im Grunde aber hilflose | |
Arroganz gegenüber den – um hier einen allgemein verständlichen | |
Arbeitsbegriff zu wählen – Arschlöchern habe erst zu diesem globalen | |
Erstarken totalitärer Strukturen geführt. | |
Denn man müsse die Sorgen und Nöte dieser Arschlöcher unbedingt ernst | |
nehmen. Und zwar auch noch die dümmsten und unbegründetsten. Die besonders. | |
Wir sollen auf die gesellschaftlich Abgehängten zugehen, die wirklichen wie | |
die eingebildeten, sie fürsorglich bei der Hand nehmen und zart ans Licht | |
der Erkenntnis führen. Das ist die Verantwortung, die wir als Privilegierte | |
haben. | |
Schon wenn die Angsthasen und Sorgenkaninchen mit für uns simplen Begriffen | |
wie LGBTQIAPAOPEG (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, Queer, Intersex, | |
Asexual, Plus, All, Other, Possibly, Existing, Groups) konfrontiert werden, | |
entwickeln sie eine ganz dolle Wut und auch furchtbar schlimme Angst. Weil | |
die Vollpfosten sich nicht so viele Buchstaben merken können, würde nun | |
wieder die bürgerliche Arroganz behaupten. Vermeiden wir jedoch den alten | |
Fehler und nehmen stattdessen die Ängste der Hirnverbrannten ernst, | |
erblicken wir nur Homophobie und Furcht vor jeder Form von Veränderung, ob | |
sie die Trottel nun groß betrifft oder nicht. | |
Sie ziehen trotzdem ihre Schlüsse daraus: „Müssen unsere Kinder jetzt alle | |
zwangsschwul werden, weil wir nicht mehr ‚Weihnachtsmarkt‘ sagen dürfen?�… | |
fragen nun die Schwachköpfe. Dass man etwas „nicht mehr sagen“ dürfe, ist | |
eine ihrer Lieblingslegenden. „Darf ich jetzt etwa keiner Schlampe mehr auf | |
den Arsch hauen?“, sorgen sich wiederum andere Sensibelchen um einen | |
angemessenen Umgang zwischen den Geschlechtern. Und irgendeine | |
rotgrüngenderversiffte Drecksau hat auch Pippi Langstrumpf umgeschrieben. | |
## Im Verbund gegen die noch Schwächeren | |
Wir müssen die Ängste der Arschlöcher ernst nehmen, die so groß sind, dass | |
sie sich nicht mehr gegen die Mächtigen verbünden können, die ohnehin | |
dasselbe gewählt haben, sondern nur gegen die noch Schwächeren, die | |
Außenseiter und allenfalls noch gegen arrogante Intellektuelle. Diese | |
hochnäsigen Besserwisser sind es, die einen echten sozialen Protest von | |
unten gegen oben verhindern. Im Rassismus, diesem hehren Aufschrei der | |
gequälten Seelen armer und reicher weißer Menschen, liegt nun zwangsläufig | |
der letzte Ausweg, den ihnen die Klugscheißer gelassen haben. | |
„Wertvolle Stimmen“, „Denkzettel“, „Wachmacher“ sind das in den Aug… | |
Faschoflüsterer vom Verantwortungsfeuilleton. Auch müssten wir endlich | |
begreifen, dass natürlich dort die Furcht vor dem Fremden am größten ist, | |
wo das einzige entfernt ausländerähnliche Wesen ein einsamer Dönermann ist, | |
der aus Selbstschutz so überangepasst agiert, dass man ihn fast schon | |
selber für einen Nazi halten möchte. | |
Auch das ist unsere Schuld. Warum haben wir uns über die Idioten lustig | |
gemacht? Wieso sind wir im Minirock in diese üble Bar gegangen? Alles ist | |
unsere Schuld. Hätten wir nur den Arschlöchern zugehört und uns auf sie | |
eingelassen! Folgerichtig machen wir uns auf die Suche nach einem solchen, | |
um Wiedergutmachung an ihm zu betreiben. | |
Und da sitzt schon eines. Mit einem Bier. An einer Bushaltestelle. Was für | |
ein aus Überheblichkeit geborenes Klischee! | |
„Heil Trump“, piepst der kapitale Hornochse. „Deutschland den Deutschen, | |
Ausländer raus.“ Och, goldig! Wie der piepst. Von den Argumenten mal ganz | |
abgesehen, fällt es schon schwer, so ein Gepiepse ernst zu nehmen. Aber | |
gut. „Die Ängste ernst nehmen, die Ängste ernst nehmen, die Ängste ernst | |
nehmen.“ Das ist unser verdammtes Mantra. Wir setzen uns neben das | |
Rindvieh, schenken ihm ein Lächeln und streicheln ihm über den Unterarm. Es | |
soll Vertrauen fassen. Schließlich hat es schon Sorgen und Ängste genug. Da | |
soll es nicht auch noch vor uns Angst haben. | |
## Es gut meinen | |
„Willst du einen Negerkuss?“, fragen wir, um gleich mal auf zwei Ebenen | |
Zutrauen aufzubauen. Wir reichen ihm einen. „Ab heute wollen wir deine | |
Ängste ernst nehmen.“ Behutsam betten wir den Spinner auf die | |
Haltestellensitze wie auf eine Therapeutencouch. „Erzähl uns deine Ängste | |
und Sorgen“, fordern wir ihn mit warmer Stimme auf. „Vielleicht auch deine | |
Träume und deine Wünsche.“ | |
„Kein so’n LTG-Blabla mit linksdrehender Volksverschwulung, die Chemtrails | |
mit Aluraketen vom Himmel schrubben, Merkel muss ins Lager, Deutschland in | |
den Grenzen des Pleistozäns, Ken Jebsen soll Reichskanzler werden, die | |
Flüchtlinge dürfen nicht mehr in Turnhallen schlafen, die viel größer sind | |
als die Wohnung, die uns das Amt bezahlt, deutsche Frauen sollen wieder | |
Apfelkuchen backen, mit Sahne bitte, der Islam muss – schwupps – einfach | |
verschwinden und, ach ja“, piepst er weiter, „wir möchten nicht mehr | |
Arschlöcher genannt werden.“ | |
„Ist okay.“ Wir wundern uns ein bisschen, schließlich ist er doch ein | |
Arschloch. „Aber wie denn dann: Arschgesicht? Arschgeige? Nazi?“ | |
„Nee!“ Er schüttelt den Kopf. „Auf keinen Fall. Nazi ist auch doof. Aber | |
Besorgter Bürger wäre schön.“ | |
Na gut, besorgter Bürger. Zuhören. Entspannen. Nachdenken. In unsere Mitte | |
aufnehmen, das Gespräch suchen. Bei der Hand nehmen. Verstehen. Denn es | |
sind eigentlich gute Menschen, auch wenn man es den rassistischen Pöblern | |
nicht anmerkt, in die sich die oftmals stolzen Unterdrückten von einst | |
verwandelt haben, die die elitären Schlauschwätzer zuweilen wirklich und | |
wahrhaftig noch beschämen konnten. | |
Unsere eigenen Sorgen nehmen wir übrigens auch ernst. Sehr ernst sogar. Und | |
deshalb nehmen wir den besorgten Bürger nicht nur bei der Hand, sondern | |
ziehen ihn sanft, aber bestimmt hinter uns her. Er quengelt. Offenbar will | |
er in eine andere Richtung. Nach rechts, vermuten wir mal. | |
Also packen wir energischer zu. Erstaunlich widerstandslos stolpert die | |
Nulpe hinter uns her. Halten die sich denn gar nicht mehr fit in ihrer | |
Hitlerjugend? Der Turnbeutelvergesser kann ja kaum den rechten Arm heben. | |
Wir ziehen ihn zur S-Bahn, im Bahnhof die Treppe hoch und auf den | |
Bahnsteig. Ein Zug fährt ein. Direkt vor dem springen wir auf die Gleise. | |
Das Arschloch nehmen wir fürsorglich mit. Schließlich kennen wir unsere | |
Verantwortung. | |
14 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/2016/33/demokratie-klassenduenkel-rassismus-populismus/k… | |
[2] /Trumps-Wahlerfolg-bei-Unterschichten/!5353396 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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