# taz.de -- Die Wahrheit: Ansichten über Clowns | |
> Böse Spaßmacher treiben ihr Unwesen und verschrecken ängstliche Menschen. | |
> Dabei sind Knallchargen aller Art prinzipiell abzulehnen. | |
Bild: Spätestens seit Stephen Kings Horrorroman „Es“ weiß jedes Kind, das… | |
Sie sind wieder da! Laut diversen Medienberichten lebt ein Trend von vor | |
zwei Jahren nun erneut auf: Böse Clowns, die vor allem in den USA nachts | |
durch die Städte ziehen, zum Teil mit Messern und Baseballschlägern | |
bewaffnet, Leute erschrecken, bedrohen, berauben oder gar verletzen. | |
Doch längst gibt es Gegenwehr. Die so unter Generalverdacht geratenen | |
Clowns werden, zum Teil bis in die Kinderabteilungen der Krankenhäuser | |
hinein, gnadenlos verfolgt und verprügelt. Auf Twitter wird dazu geraten, | |
jeden nachts auf der Straße auftauchenden Clown sofort und ohne jede | |
Vorwarnung zu erschießen; in Leipzig wurde, wenn ich die Meldung noch | |
korrekt im Kopf habe, vorige Woche sogar ein Clown von anderen Clowns | |
gefesselt und der Polizei übergeben. | |
## Aufräumen im Clowns-Unwesen | |
Es wurde auch Zeit: Endlich wird mit dem Clowns-Unwesen mal so richtig | |
aufgeräumt! Ich selber fand schon als Kind Clowns durch die Bank | |
schrecklich, und zwar schrecklich langweilig und schrecklich unlustig. | |
Zirkus allgemein fand ich noch toll – in dieser Beziehung unterschied ich | |
mich wohl nicht von den meisten Kindern –, allerdings setzte ich andere | |
Schwerpunkte: Stets hoffte ich mit großer Spannung darauf, dass ein Artist | |
vom Trapez oder Pferd fallen möge, am besten im vollen Galopp, um hart auf | |
die Kante der Manegenumfriedung zu stürzen. | |
Selbstverständlich passierte das selten, aber die Kostbarkeit eines solchen | |
Moments gehörte für mich zum Sensationserlebnis immanent dazu. Dass man | |
geduldig und fleißig darauf warten musste und eben nur bei schätzungsweise | |
jedem fünfzigsten Zirkusbesuch für seine Beharrlichkeit dann auch belohnt | |
wurde. | |
Wenn aber der lang ersehnte Fall gekommen war und erst dieses typische, | |
stark aspirierte Raunen des Entsetzens aus Hunderten von Kehlen um mich | |
herum ertönte, in Verbindung mit einem Plumpsen, vielleicht auch einem | |
hörbaren Knacken oder einem Schmerzensschrei, dann schrie und jubelte ich | |
laut vor Freude, sprang auf und klatschte heftig in meine kleinen Händchen. | |
Die geheime Königsdisziplin wäre natürlich gewesen, wenn ein | |
Raubtierdompteur von seinen Löwen gefressen worden wäre. Doch das trat | |
leider niemals ein, so sehr ich es mir auch gewünscht hätte. | |
Ich versuchte sogar, meinem Traum ein wenig nachzuhelfen, indem ich während | |
der Dressurnummer mit einem hohlen Tintenkillerröhrchen Stecknadeln in | |
Richtung der Tiere blies, um sie gegen den Mann aufzustacheln, der sich | |
hier anmaßte, die stolzen Großkatzen zu demütigen und buchstäblich | |
vorzuführen. Aber es klappte nie. Entweder traf ich nicht oder die Haut der | |
Tiere war zu dick für die kleinen Nadeln. Vielleicht, so denke ich mir | |
heute, wäre es zweckmäßiger gewesen, mit Böllern nach ihnen zu werfen – d… | |
hätte ihnen gewiss Beine gemacht. | |
Mein absoluter Wunschtraum, eine Kombination aus höherer Gerechtigkeit und | |
großartigem Spektakel, blieb erst recht eine unerfüllbare Utopie: dass die | |
Löwen nämlich die Clowns zerfleischten. Was wäre das für eine musterhafte | |
Win-win-Situation gewesen – für mich, für jeden aufrechten Zirkusfan, | |
letztlich für die gesamte Menschheit! Aber nein, stets wurde beim Ablauf | |
des Programms streng darauf geachtet, dass Raubtiere und Clowns sich | |
niemals zur selben Zeit die Manege teilten. Schade. | |
Wie andere Kinder und selbst Erwachsene über die unsäglichen „Spaßmacher“ | |
lachen konnten, ist mir bis heute völlig unverständlich. Die Clowns gingen | |
komisch, stolperten und deklamierten überbetont sinnlosen Schwachsinn. | |
Dumme, unsympathische, hässliche, ungeschickte, laute und vor allem nicht | |
im Allergeringsten lustige Knallchargen konnte man doch jeden Tag umsonst | |
im ZDF sehen, dafür kaufte ich doch keine Eintrittskarte. | |
## Tränen der ohnmächtigen Wut | |
Während die Clowns mit ihrem Quatsch meine wertvolle Lebenszeit | |
verbrannten, hatte ich Tränen der ohnmächtigen Wut in den Augen. Die | |
anderen Kinder lachten blöde. Wie ich sie für ihre Einfalt hasste! Schon | |
damals wurde mir klar vor Augen geführt, wie schwer die Bürde einer weit | |
überlegenen Intelligenz wiegen konnte. Nur zu gern wäre auch ich mit einer | |
ebenso inferioren Hohlbirne zwischen all den anderen Kindern gesessen, als | |
eines von ihnen und mit ihnen zusammen fröhlich gewesen. Aber ich konnte | |
mich doch nicht betrügen, und Alkohol oder Drogen als wohlfeile | |
Katalysatoren, die mich heute wenigstens vorübergehend auf das geistige | |
Niveau der Masse herunterdimmen, kamen für mich kleinen Jungen nicht in | |
Frage. | |
Wenn da mal einer mit einem Baseballschläger oder einer Pistole in der Hand | |
über die Balustrade und in den Zuschauerbereich hineingeklettert wäre und | |
Jagd aufs Publikum gemacht hätte, dann hätte ich das sogar noch | |
vergleichsweise gut gefunden. Alles, nur nicht diese entsetzliche | |
Mittelmäßigkeit und Langeweile, hätte ich mir gedacht und denke es gerade | |
wieder. | |
17 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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