Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Fresse halten!
> Selbst in der großen, weitschweifigen Welt des Smalltalk ist nichts so
> obsolet wie die ewige Wehklage über das Wetter.
Bild: Kritiker der wetterbasierten Gesprächsführung greifen oft zu drastische…
Der Sommer war mal wieder viel zu heiß. Und viel zu kalt! Viel zu nass und
viel zu trocken. Erst zu nass, dann zu heiß, dann zu nass, dann zu kalt,
dann zu trocken. Und dann noch viel zu normal! Egal, wie gewöhnlich oder
außergewöhnlich es ausfällt: Stets ist das Wetter Gegenstand ausgiebiger
Klagelieder, und natürlich ist das Wetter in München schlechter als im
braven Berlin, denn in München leben auch die schlechteren Menschen (Söder,
Seehofer, Beckenbauer). Der Teufel trägt Lederhose. Und ob es einen Gott
gibt, wird die bitte auch in diesem Jahr in Sachsen zu erwartende Sintflut
zeigen. Alle Hoffnung ruht nun auf dem Herbst.
Irritierend ist nicht nur, dass einer nicht zu beeinflussenden Banalität so
viel Gewicht beigemessen wird, irritierend ist auch der Tonfall, in dem
dies geschieht: durch die Bank ein weinerliches Lamento, als wäre man von
einem Betrüger (Natur? Gott? Teufel?) um sein imaginäres Recht auf schönes
Wetter gebracht worden. Aber so eine irrationale Reaktion auf den
unabänderlichen Lauf der Natur kennt man ja bereits vom Tod. Buhu, buhu, es
regnet. Buhu, buhu, ich sterbe.
Das ist exakt dieselbe wehleidige Attitüde, das gleiche Theater, ganz
furchtbar: Menschlein will nicht Menschlein sein. Davon abgesehen – kleines
Detail am Rande – würden wir ohne Niederschläge sowieso alle sterben. Dann
wäre sogar mal Grund für dieses kreuzdämliche Buhu, doch die
Dürrekatastrophe halten wir nun per definitionem stupidum für „schönes
Wetter“. Nach zehn Jahren ohne Regen robbt der letzte Lederhosenträger über
den rissig aufgesprungenen Grund des Chiemsees und ächzt aus verdorrter
Kehle: „Mei, heia homma freili wieda a Pfundsweda . . .“
Die AfD sagt ja, es gibt keinen Klimawandel. Donald Trump behauptet
dasselbe, ebenso wie diese nur aus Haut und Knochen bestehende Alte mit dem
Turban aus gefärbten Windeln auf dem Kopf, die täglich an meinem Haus
vorüberläuft und dabei entweder schreit, dass die Türken unser Trinkwasser
vergiften und Gott eine Fotze ist, oder entgegenkommende junge Mütter
anspuckt. Wenn es doch mal kurz still wird, kackt sie wahrscheinlich gerade
an ihren Lieblingskackbaum vor der Bäckerei. Also die sagt das ebenfalls:
kein Klimawandel, never! Sie schreit es sogar, wie alles andere auch. Es
geht nichts über zuverlässige Zeugen.
## Grundloses Tschilpen
Das Wettergelaber hat noch zugenommen, seit die heimische gute Sitte,
einander so lange anzuschweigen, bis alle besoffen sind, zunehmend von der
angelsächsischen Gewohnheit des Smalltalks aufgeweicht zu werden droht –
zentrales Thema: klaro. Dabei gibt es nichts Langweiligeres, als sich über
das Wetter zu unterhalten. Wer über keine ausreichenden Themen (Traumata,
Sexfantasien, Stuhlbeschaffenheit ) für ein ordentliches Gespräch verfügt,
sollte besser „die Fresse halten“, wie der Hamburger zu sagen pflegt. Denn
wer nachdenkt, statt in einem fort grundlos vor sich hin zu tschilpen wie
ein Sperling, vermag womöglich Eindrücke und Gedanken zu sammeln, zu ordnen
und im Geiste so weit auszuformulieren, dass es am Ende doch zu einer
echten Unterhaltung langt. Vorher macht das keinen Sinn.
Wie das Wetter war, ist ohnehin vollkommen irrelevant. Es ist vorbei. Sich
am Wetter von gestern festzuhalten, deutet auf ein krankhaftes Verhältnis
zur Nostalgie hin, das einer konstruktiven, gegenwartsbezogenen
Lebensführung diametral entgegensteht. Nicht wenige Betroffene haben mit
pädophilen Neigungen zu kämpfen, bei anderen hängt im Keller noch das Bild
vom Führer.
Und wie das Wetter morgen wird, sagt uns der sogenannte „Wetterbericht“.
Dabei bereiten Meteorologen die von Wetterstationen zur Verfügung
gestellten Daten informativ und populärwissenschaftlich auf. Es handelt
sich – das soll hier ausdrücklich betont werden – um hochkompetente
Naturwissenschaftler, die beruflich nichts anderes tun als das.
Anschließend kann man mit einem Sektchen in der Hand die Botschaft
laienhaft nachplappern. Man kann es aber auch ebenso gut sein lassen –
schließlich hat das Gegenüber die Sendung ja gesehen. Und wenn nicht, dann
hat es wohl kein Interesse. Kann man denn die Leute nicht einfach mal fünf
Minuten lang in Ruhe lassen? Ich denke, das würde auch die Mordrate senken.
## Vorschlag zur Güte
Apropos Mordrate. Hier noch ein Gratisvorschlag für ein Gesprächsthema, bei
dem es immerhin um Leben und Tod geht: DriveNow. Vielmehr deren Kunden und
ihre Fahrkünste. Diese als „beschissen“ zu bezeichnen, würde Scheiße noch
beleidigen. Kaum steigen sie in ein Auto des Carsharing-Unternehmens,
mutieren sie zu Trockennasenprimaten zweiter Ordnung. Geht die Zündung an,
schaltet das Hirn ab. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass diese denken,
sie könnten rasen, drängeln und töten, ohne erwischt zu werden, obwohl sie
über das Nummernschild genauso leicht zu ermitteln sind wie jeder andere
Autofahrer? Drive now, think later.
Dass die Wagen das Kennzeichen der Schlechtwetterhauptstadt München tragen,
passt jedenfalls wie Arsch auf Eimer.
23 Sep 2016
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Wetter
Nostalgie
München
Fahrrad
Clowns
Panik
Schimpansen
Psychologie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Krone der Köpfung
Es gibt viel zu viele Unfälle im Straßenverkehr. Allerdings übersehen
würdelose Radfahrer gern das Elend der Insekten.
Die Wahrheit: Ansichten über Clowns
Böse Spaßmacher treiben ihr Unwesen und verschrecken ängstliche Menschen.
Dabei sind Knallchargen aller Art prinzipiell abzulehnen.
Die Wahrheit: Der jüngste Tag
Nach dem neuen Zivilschutzplan der Bundesregierung gerät in
Berlin-Kreuzberg nicht nur die Vorratslage außer Kontrolle.
Die Wahrheit: Gelehrige Äffchen
Taktische Intelligenz ist bei Primaten tierisch verbreitet. Ob Bonobo oder
Storch, Apfel oder Birne – sie besitzen alle erstaunliche Fähigkeiten.
Die Wahrheit: Wespe mit Herpes
Der neue Star der radikal Ehrlichen heißt Vera Sommer und ist ein Ausbund
an Wahrhaftigkeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.